Süddeutsche Zeitung

Soziale Medien in Iran:Das letzte Netz

  • Irans Außenminister Mohammad Dschawad Zarif hat seinen Rücktritt bekanntgegeben - auf Instagram.
  • Das Netzwerk ist eines der letzten nicht blockierten sozialen Netzwerke in Iran.
  • Twitter, Facebook oder Telegram sind teils seit Jahren gesperrt.

Von Christian Simon

In der westlichen Welt klagen viele über die Dauerbeschallung durch soziale Netzwerke. Internetnutzer in Iran stehen vor dem umgekehrten Problem: Das Regime des Landes betreibt eine der striktesten Internetzensuren der Welt. Facebook und Twitter sind seit Jahren blockiert und höchstens über illegale VPN-Netzwerke zu erreichen. Es mag also verwundern, dass Irans Außenminister Mohammad Dschawad Zarif seinen Rücktritt am Montag ausgerechnet auf Instagram bekanntgab.

Das Netzwerk ist eine der letzten Social-Media-Bastion in dem islamischen Land. Mehr als 24 Millionen Nutzer hat Instagram dort - und ist vor allem für Frauen interessant. Von ihnen wird primär die Haushaltsführung erwartet, doch als Influencerin auf Instagram haben sie eine Möglichkeit, finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. LGBT-Aktivisten nutzen Instagram als Verbindung in die restliche Welt. Nicht ohne Risiko: Die Internetpolizei Fata überwacht das Netzwerk und hat in der Vergangenheit Nutzer für "sündhaftes Verhalten" festgenommen. Drei junge Mädchen wurden sogar für ein Tanzvideo ausgepeitscht.

Facebook und Twitter sind seit 2009 gesperrt

Andere Netzwerke werden mehr oder weniger heimlich genutzt, was bisweilen absurd anmutet. Denn während Twitter für die Bevölkerung gesperrt ist, twittert die iranische Führungsriege inklusive des Präsidenten Rohani und des ehemaligen Präsidenten Ahmadinedschad aktiv und auf Englisch für Hunderttausende Follower; auch viele junge Iraner umgehen die Sperren. Selbst der religiöse Führer Ayatollah Khamenei hat einen offiziellen Account. Doch nur Instagram ist frei und für alle Iraner legal zugänglich.

Trotzdem wurde auch Instagram gelegentlich geblockt. Als Anfang 2018 Zehntausende gegen die Regierung auf die Straße gingen, war das Netzwerk vorübergehend nicht erreichbar - um "den Frieden zu sichern", wie das Staatsfernsehen berichtete. Kurz darauf war es wieder da. Facebook und Twitter sind seit der sogenannten "Grünen Revolution" infolge der Präsidentschaftswahlen 2009 gesperrt, der in Iran für seine Verschlüsselung beliebte Messenger Telegram ist seit Anfang 2018 nicht mehr erreichbar.

Dem als liberal geltenden Außenminister Zarif blieb also unter den sozialen Netzwerken nur Instagram, um sich an die Bürger zu wenden. Mehr als 130 000 Likes und fast 100 000 Kommentare hat der Beitrag mit seinem Rücktritt am Dienstagmorgen. "Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich meinen Dienst nicht fortsetzen kann, und für alle Fehler meiner Amtszeit", schreibt Zarif. Irans Präsident Hassan Rohani hat den Rücktritt allerdings noch nicht angenommen.

Die Internetpolizei greift auch ohne Sperrung ein

Bald könnte es vorbei sein mit der ungewöhnlichen Freiheit. Bloomberg berichtete im Januar, das höchste Cyberspace-Komitee des Landes habe eine Sperrung Instagrams beschlossen - ob und wann die tatsächlich kommt, ist jedoch noch unklar. Zwischen moderaten und konservativen Politikern ist der Umgang mit den sozialen Netzwerken weiterhin ein Streitpunkt - die Strafverfolgungsbehörden könnten jedoch auch eigenverantwortlich handeln, wird ein Offizieller zitiert. Viele davon unterstehen direkt Khamenei.

Es gibt auch Berichte über ein neues Phänomen im iranischen Instagram: Weibliche Instagramstars löschen allzu freiheitlich anmutende Fotos und posten stattdessen Selfies im Hijab. Auch ohne ein offizielles Statement der Fata wird spekuliert, dass es sich dabei um Maßnahmen der Tugendwächter handelt. Die hatten erst kürzlich angekündigt, das Netzwerk "heilen" zu wollen. Der Freiraum auf Instagram könnte also auch ohne eine Blockade bald verschwinden.

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