Süddeutsche Zeitung

Iran:Hinrichtung wegen "Kriegsführung gegen Gott"

In Iran wurde ein 23-jähriger Teilnehmer der regimekritischen Proteste erhängt. Trotz internationaler Kritik geht Teheran weiter brutal gegen Demonstrierende vor.

Von Nicolas Freund

Seit Beginn der Proteste in Iran ist am Donnerstagmorgen das erste Todesurteil gegen einen Demonstranten vollstreckt worden. Dem 23-jährige Mohsen Shekari war vorgeworfen worden, eine Straßenblockade errichtet und ein Mitglied einer paramilitärischen Miliz mit einer Waffe angegriffen zu haben. Vom Islamischen Revolutionsgericht wurde er wegen "Kriegsführung gegen Gott" zum Tod durch Erhängen verurteilt.

Die Hinrichtung hat international entsetzte Reaktionen ausgelöst. Laut Experten des UN-Menschenrechtsrates habe Shekari keinen fairen Prozess bekommen und die Strafe sei völlig unverhältnismäßig. Auch Amnesty International sprach von einem "unfairen Scheinprozess". Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte am Donnerstag bei einem Treffen mit ihrem irischen Amtskollegen in Dublin: "Wir sehen ja bereits seit Wochen, dass die Unterdrückung und Willkür des iranischen Regimes immer brutaler wird. Todesstrafen werden als Instrumente des Terrors eingesetzt, Menschen zu Hunderten und zu Tausenden verhaftet." Teheran habe mit dem "perfiden Schnellverfahren" und dem Todesurteil "ein grausames Exempel" statuieren wollen.

Das Auswärtige Amt hat den iranischen Botschafter einbestellt. Der iranische Außenminister Hussein Amirabdollahian warf Deutschland wiederum Heuchelei und die Förderung von "Terror" in Iran vor. Derzeit sollen in Iran zwölf Menschen aus ähnlichen Gründen, wie sie in Shekaris Fall hervorgebracht wurden, in der Todeszelle sitzen, viele weitere könnten mit ähnlichen Anklagen und Urteilen zu rechnen haben.

Eine abschreckende Wirkung des Urteils auf die Demonstranten ist derweil zweifelhaft. Seit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini, die im September nach ihrer Verhaftung durch die iranische Sittenpolizei wegen eines angeblich nicht korrekt sitzenden Kopftuchs wohl an schweren Kopfverletzungen gestorben war, kommt es in dem Land zu Demonstrationen und heftigen Zusammenstößen zwischen Protestierenden, Polizei und Milizen.

Mehr als 470 Menschen sollen nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen bei den Straßenkämpfen bisher getötet worden sein, Tausende sind verhaftet worden. Die Polizei und Milizen setzen auch scharfe Munition gegen die Demonstranten ein. Offizielle iranische Stellen sprechen von 200 Toten.

Zu Beginn dieser Woche waren neue Proteste und eine Art Generalstreik angekündigt gewesen, die vor allem die Wirtschaft treffen sollten. So wurde dazu aufgerufen, von Montag bis Mittwoch keine Einkäufe zu tätigen, um das Finanz- und Bankensystem zu stören. Kurze Hoffnung auf ein mögliches Einlenken des Mullah-Regimes hatte außerdem am vergangenen Wochenende die Meldung ausgelöst, dass die berüchtigte Sittenpolizei, die in Iran die Einhaltung religiöser Vorschriften überwacht, aufgelöst werden könnte. Ob diese Ankündigung umgesetzt wurde oder umgesetzt werden wird, ist bislang nicht bekannt. Eine offizielle Bestätigung steht aus.

Chameneis Schwester unterstützt die Proteste

Zuletzt hatten sich auch mehrere prominente Iraner zu Wort gemeldet und sich auf die Seite der Demonstranten gestellt. Ex-Präsident Mohammed Chatami sagte, die Regierung müsse auf die Demonstranten zugehen, "bevor es zu spät ist". Auch Badri Hosseini Chamenei, die Schwester des politischen und geistlichen Staatsoberhaupts Ajatollah Ali Chamenei hat sich gegen das Regime ausgesprochen. "Ich denke, es ist an der Zeit, zu erklären, dass ich gegen die Taten meines Bruders bin", heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Brief. Sie rief die Revolutionsgarde dazu auf, die Waffen niederzulegen und das Volk zu unterstützen. Ihre Tochter Farideh Moradchani war nach einem ähnlichen Aufruf Ende November festgenommen worden.

Wie es nun um die Proteste bestellt ist, ist derzeit unklar, auch welche Wirkung der Generalstreik gezeigt hat. Die Führung Irans versucht mit den Vorwürfen gegen Deutschland und dem Verweis auf angebliche "wirtschaftliche Forderungen des Volkes", von den eigentlichen Gründen für die Proteste abzulenken, dazu gehören die willkürliche Gewalt vor allem gegen Frauen und die massive Einschränkung von Freiheitsrechten.

Gleichzeitig geht das Regime weiter brutal gegen die Demonstranten vor. Laut einer Recherche des britischen Guardian schießen iranische Sicherheitskräfte mit Schrotmunition, wie sie eigentlich für die Jagd auf Vögel und andere kleine Tiere eingesetzt wird, auf die Protestierenden. Ärzte, Krankenschwestern und Rettungskräfte berichten dem Guardian, besonders bei Frauen würde gezielt auf das Gesicht, die Brüste und die Genitalien geschossen. Mehrere Demonstranten sollen durch Geschosse bereits erblindet sein, viele müssen sich komplizierten, langwierigen und schmerzhaften Operationen unterziehen, um oft Dutzende kleine Metall- und Plastikteile zu entfernen.

Die Gewalt des Regimes scheint die Proteste dabei nicht einzudämmen, sondern eher noch anzufachen und die Demonstrantinnen und Demonstranten in ihrer Haltung zu bestärken. Inzwischen sollen nach Augenzeugenberichten vor allem in der Hauptstadt Teheran viele Frauen nur mit einem über die Schultern gelegten Schal oder ganz ohne Kopftuch auf die Straße gehen. Die Polizei und die Milizen sollen darauf in den allermeisten Fällen schon gar nicht mehr reagieren.

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