Angefangen hat alles mit einer vermeintlichen Affäre. Als der Geschäftsmann Helmut Hofer am 21. September 1997 nach Teheran reiste, wurde er bereits am Flughafen erwartet. Ein Dutzend Männer umringten ihn, führten ihn ab und brachten ihn später in das iranische Foltergefängnis Evin. Der Vorwurf: Sex mit einer unverheirateten, also jungfräulichen Muslimin. Ein Verstoß gegen die Scharia, auf den für Nichtmuslime die Todesstrafe durch Steinigung steht. Eine Finte des Mullah-Regimes, denn die junge Frau, mit der Hofer intim geworden sein soll, hatte den Fall selbst angezeigt, was quasi einem Selbstmord gleichkommt.
Das war laut Hans-Jakob Schindler der erste Fall der sogenannten Geiseldiplomatie, der in Deutschland bekannt wurde. Schindler sitzt in Anzug und Krawatte in einer Berliner Kneipe, eine Zigarette zwischen den Fingern. Sechs Jahre lang, von 2005 bis 2011, hat er an der deutschen Botschaft in Teheran gearbeitet. Sechs Jahre, in denen auch einige Deutsche aus der Geiselhaft entlassen wurden. Mit der „Geiseldiplomatie“ kennt er sich also aus. Doch von Diplomatie im eigentlichen Sinne, sagt Schindler, seien die Iraner in diesen Fällen weit entfernt. „Ich würde das eher als Menschenhandel bezeichnen.“ Die Inhaftierung von Deutschen und Deutschiranern sei mittlerweile Teil der iranischen politischen Taktik.
Iran hat lange versucht, den Drahtzieher des Mykonos-Attentats freizupressen
Als Gefangene oder Häftlinge könne man die Menschen, die bisher in den Gefängnissen saßen, deshalb auch nicht bezeichnen. „Sie sind Geiseln des Regimes“, sagt Schindler, der heute das „Counter Extremism Project“ leitet, einen Thinktank mit dem Schwerpunkt Terrorismus. Schließlich gehe es den Iranern nicht darum, den deutschen Verhafteten einen fairen Prozess zu machen, sondern sie mit fadenscheinigen Beweisen zu verurteilen, um sie als politisches Faustpfand zu missbrauchen.
So war das auch im Fall von Helmut Hofer. „Die Idee der Iraner war, ihn gegen den Terroristen Darabi und seine Mittäter auszutauschen“, sagt Schindler. Kazem Darabi hatte das Mykonos-Attentat in Berlin federführend geplant, bei dem vier kurdische Exilpolitiker getötet wurden. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Deutschland ließ sich nicht von Iran erpressen. Helmut Hofer kam erst im Jahr 2000 frei.
Fünf Jahre später saß Darabi immer noch in Deutschland im Gefängnis, Hans-Jakob Schindler war gerade an der deutschen Botschaft in Teheran angekommen. Kurze Zeit später traf eine Nachricht in der Botschaft ein. Der deutsche Hochseeangler Donald Klein war verhaftet worden. Der Vorwurf: illegales Betreten iranischen Sicherheitsgebiets. Er soll bei einer Angeltour in Sperrgebiet geraten sein. 2005 wurde er wegen illegalen Grenzübertritts zu 18 Monaten Haft verurteilt, 2007 kam er nach 16 Monaten und damit verkürzter Haftstrafe frei. Ein gutes halbes Jahr später wurde Darabi nach dem regelmäßigen Haftprüfungstermin nach Iran abgeschoben. Spekulationen, ob es einen Deal mit Iran gab, wies die Bundesregierung damals zurück.
„Das Wichtigste ist, schnell und diskret zu handeln.“
Wie geht man mit solchen Situationen um? Hans-Jakob Schindler spricht von drei Phasen bei Geiselverhandlungen. „Das Wichtigste ist, schnell und diskret zu handeln.“ Wenn dies in den ersten zwei Wochen nicht zu einer Freilassung führe, helfe nur eines: „Öffentlichen Druck auf die iranische Regierung ausüben.“ Es sei wichtig, Iran immer wieder zu zeigen, dass sein Vorgehen nicht in Ordnung ist, sagt Schindler, der fließend Farsi spricht. Denn nur dann werde es den Geiseln Zugeständnisse machen, wie etwa Telefonate mit der Familie oder im besten Fall eine frühere Haftentlassung.
Die entführten Menschen und deren Leid müssten im Mittelpunkt der öffentlichen Berichterstattung stehen. Schließlich sei den Iranern ihre Reputation wichtig und die Angst vor weiteren Wirtschaftssanktionen groß. Wenn das nichts helfe, komme gezwungenermaßen die dritte Phase: Menschenhandel ohne Diplomatie, die Gefangenen werden von Iran entmenschlicht, sind nur noch Handelsware.
Problematisch sei, dass sich Deutschland aus Iran zurückgezogen habe und wirtschaftlich kaum noch eine Rolle spiele, sagt Schindler. „Damit fehlt es den Deutschen an Druckmitteln.“ Generell erlebe Deutschland im Nahen Osten einen Bedeutungsverlust. In den vergangenen Jahren habe sich die Bundesrepublik nach Meinung des Terrorismusexperten etwas zu sehr zurückgezogen und zurückgehalten. „Daher spielt Deutschland aktuell kaum eine Rolle mehr bei Verhandlungen in der Region“, sagt er.
Ob das auch bei der Hinrichtung des Deutschiraners Jamshid Sharmahd eine Rolle gespielt hat, kann Schindler nicht beurteilen. Er sieht aber einen zusätzlichen Grund für die erschwerte Situation: Die Macht des Mullah-Regimes gerät seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 immer mehr ins Wanken. Spätestens nach den Rückschlägen, die Iran in letzter Zeit hinnehmen musste, sei Schindler klar gewesen, dass das Regime mit Sharmahd ein Zeichen setzen würde, die Hinrichtung war also sehr wahrscheinlich. Schließlich musste das Regime weiter zeigen, dass es immer noch stark ist und sich gegen den Westen durchsetzen kann. Aber: „Auch die Bevölkerung muss weiter eingeschüchtert werden, damit sie das Regime nicht für schwach hält und damit seine innere Kontrolle infrage stellt.“