Lassen die Verantwortlichen des iranischen Regimes jemanden wie Nahid Taghavi verhaften, ist es, als würde der Mensch verschwinden. Auf dem Handy ihrer Tochter in Deutschland, Mariam Claren, kamen keine Nachrichten mehr an. Vor Ort, in Teheran, konnte keiner ihrer Verwandten sie mehr erreichen. Erst am nächsten Tag erfuhren sie es, als ihre Brüder zu ihrer Teheraner Wohnung fuhren. Die war verwüstet, und mitten im Chaos fanden sie einen Zettel der Revolutionswächter: Nahid Taghavi, stand darauf, war verhaftet worden. Ihren deutschen Pass hatten sie ihr gleich weggenommen.
Es war Oktober 2020. Taghavi, damals 66 Jahre alt, eine Architektin, eine deutsche Staatsbürgerin, pendelte, seit sie im Ruhestand war, zwischen Köln und Teheran. Klar, sie war keine Anhängerin der Islamischen Republik. Andererseits war sie zwar Feministin, aber kaum politisch aktiv. Weswegen sie auch nichts dabei fand, mal in Deutschland zu wohnen und mal in dem Land, in dem sie aufgewachsen war.
Ein zynisches Spiel ist es, wie das iranische Regime mit Menschen wie Taghavi umgeht: ein Spiel mit ihrer Angst und der ihrer Familien. Mal will das Regime jemanden freipressen, wenn es eine ausländische Staatsbürgerin festnimmt, so war es gerade im Fall der italienischen Journalistin Cecilia Sala. Mal ist unklar, was das Regime will, und diese Unklarheit ist von den Machthabern wohl beabsichtigt, gegenüber Inhaftieren, Angehörigen, Regierungen.
Nach Nahid Taghavis Verhaftung dauerte es elf Tage, bis ihr Bruder einen Anruf bekam, zehn Sekunden lang: Sie lebe, sagte Nahid Taghavi. Sie sei im Evin-Gefängnis. Dort also, wohin das Regime politische Gefangene bringt. Monate vergingen, man hielt sie in Isolationshaft gefangen, unterzog sie Verhören ohne rechtlichen Beistand. Es war schon Sommer, als sie ein Richter zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilte. Wegen „Propaganda gegen den Staat“, einer jener Straftatbestände, mit denen das Regime verurteilt, wen immer es möchte.
In der Haft erkrankte sie schwer
In der Haft litt Taghavi unter „weißer Folter“, also solcher, die Menschen psychisch brechen soll. Sie sah kein Tageslicht, während kurzer Hofgänge verband man ihr die Augen. In ihrer Zelle, wo das Licht nie ausging, musste sie auf dem Boden schlafen, ohne Matratze. Bald litt sie unter Bluthochdruck und Diabetes. Ihre Zellengenossin, die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, bat in einem Brief um medizinische Behandlung für Taghavi.
Sie kam dann ein paarmal vorübergehend frei, eine elektronische Fußfessel tragend und mit der Auflage, sich von ihrer Wohnung maximal einen Kilometer zu entfernen. Im Februar vergangenen Jahres endete einer dieser sogenannten Hafturlaube früher als geplant, schon nach 50 Tagen. Einen Grund nannte das Regime dafür nicht. Es spielte mit Taghavi: Mal ließ es sie kurz frei, dann brachte es sie zurück ins Gefängnis.
Es war im Herbst 2024, als die iranische Justiz verkündete, sie habe Jamshid Sharmahd hingerichtet, einen anderen Deutschen, den es entführt und inhaftiert hatte; später hieß es, Sharmahd sei vor der Hinrichtung gestorben. Offenbar legte das Regime keinen Wert mehr auf das Verhältnis zu Deutschland. Nahid Taghavi war da mal wieder im Hausarrest, ihre Familie hatte Angst um sie. Antwortete die Mutter eine Weile nicht auf Nachrichten, so erzählte es Mariam Claren der SZ, frage sie sich: Ist sie zurück in Evin, im Gefängnis?
Claren gab nie Ruhe, ähnlich wie Jamshid Sharmahds Tochter Gazelle. Sie reiste zu den Vereinten Nationen nach New York, gab Interviews. Vor dem UN-Gebäude sagte sie, ihr Kampf gehe weiter, selbst wenn ihre Mutter freikommen sollte. „Die Arbeit hört erst auf“, sagte sie, „wenn das Evin-Gefängnis ein Museum ist.“ Anfang dieser Woche stand Claren am Kölner Flughafen, als ihre Mutter dort landete. Sie war so plötzlich freigekommen, wie sie damals gefangen genommen worden war.