Iran:Die Proteste in Iran stellen Europa vor ein Dilemma

Proteste im Iran

Proteste gegen die Regierung an der Universität von Teheran

(Foto: dpa)

Die Iraner demonstrieren aus unterschiedlichsten Gründen, Europa kann die Lage in dem Land kaum überblicken. Aber angesichts von zunehmender Gewalt zu schweigen, ist auch keine Option.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Bei den Protesten in Iran gehen Menschen aus unterschiedlichsten Motiven und mit verschiedensten politischen Vorstellungen auf die Straße: Monarchisten, die sich einen Schah zurückwünschen. Sozialisten, die von der Revolution träumen. Menschen, die sich über Lebensmittelpreise empören. Progressive, die gegen strenge islamische Vorschriften demonstrieren. Viele Demonstranten verbindet der Zweifel, ob die Islamische Republik und der Oberste Führer Ali Chamenei bereit sind, auf Forderungen einzugehen. Sie stellen die Systemfrage. Das ist eine Provokation, auf die das Regime immer mit Gewalt reagiert hat; es wird, so ist zu befürchten, auch diesmal so sein.

"Gleichheit, Freiheit, Iranische Republik!" In diesem Slogan von Studenten in Teheran kristallisiert sich die Kritik am Regime. Die Revolutionäre im Jahr 1979 hatten fast wortgleich noch eine "Islamische Republik" gefordert. Dieses politische System aber, einst auf Ausgleich im Rahmen einer islamischen Ordnung angelegt, ist heute völlig ausgehöhlt. Es ist zum Spielplan für das Ringen um Macht und Pfründe zwischen Fraktionen des Establishments degeneriert. Die Menschen, denen es dienen sollte, sind vergessen.

Ultrakonservative haben sich Positionen im Sicherheitsapparat und der Justiz gesichert, haben parallele Machtzentren und Wirtschaftskonglomerate gestärkt: religiöse Stiftungen, revolutionäre Organisationen. Sie üben großen Einfluss auf Chamenei aus und stehen über dem Zugriff des Präsidenten. Seit mehr als einem Jahrzehnt versuchen sie, alle anderen politischen Strömungen zu marginalisieren, zuvorderst die Reformisten. Das wird nirgends so klar wie in dem Verbot für alle Medien, auch nur den Namen von Ex-Präsident Mohammed Chatami zu nennen. Er verkörpert für viele Iraner immer noch die Hoffnung auf gesellschaftliche Liberalisierung und mehr Gerechtigkeit.

Niemand kann sagen, wen man da unterstützt

Der Aufstand der grünen Bewegung nach der nur durch massiven Betrug zu bewerkstelligenden Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2009 diente ihnen als willkommener Anlass, Polizeistaat und Macht der Revolutionsgarden auszubauen. Mir Hossein Mussawi, politischer Erbe Chatamis und Herausforderer Ahmadinedschads, wird bis heute ohne Urteil in Hausarrest gehalten.

Die Wahl Hassan Rohanis zum Präsidenten, seine Verhandlungen mit dem Erzfeind USA über das Atomprogramm und seine überzeugende Bestätigung im Amt waren bittere Niederlagen für die Ultrakonservativen. Rohani ist zwar mitnichten ein Reformer, bestenfalls ein pragmatischer Vertreter des Systems. Die jüngsten Proteste aber spielen sich im Kontext des Machtkampfs im System ab: Die Ultras wollten sich den weitverbreiteten Frust über die schlechte Wirtschaftslage zunutze machen, um Rohani durch organisierte Proteste zu schwächen. Sie haben sich aber verkalkuliert und schnell die Kontrolle verloren. Und es ist nicht klar, ob das Regime sie zurückgewinnen kann.

Diesmal demonstrieren nicht vor allem liberale Großstädter; der Unmut bricht sich bei vielen Kundgebungen in kleinen Orten Bahn. Überdies gehen augenscheinlich viele Angehörige der verarmenden Arbeiterklasse und unteren Mittelschicht auf die Straße, die das Regime immer zu seinen Unterstützern rechnete. Rohani hat Attacken der Ultrakonservativen auch damit pariert, dass er erstmals öffentlich machte, welche Summen aus dem Staatshaushalt an von ihnen dominierte Organisationen gehen. Überdies verstehen viele Menschen, dass die Revolutionsgarden ihre expansive Außenpolitik von Irak über Jemen bis Libanon und Syrien mit jenen Öleinnahmen finanzieren, mit denen der Staat sonst ihr Leben verbessern könnte.

Für Europa ergibt sich daraus eine verzwickte Lage: Lauthals die Proteste zu unterstützen, wie es jetzt US-Präsident Donald Trump in der opportunistischen Hoffnung auf einen Sturz des Regimes tut, spielt den Konservativen in Iran in die Hände. Chamenei stellt die Proteste als Werk ausländischer Aufwiegler dar - gemeint sind natürlich die USA, Großbritannien und auch Irans regionaler Rivale Saudi-Arabien. Dazu kommt, dass niemand sagen kann, wen man da eigentlich unterstützen würde. Angesichts von zunehmender Gewalt und von Menschenrechtsverletzungen zu schweigen, ist auch keine Option. Angebracht ist ein wenig Demut: Selbst die Geheimdienste und Iran-Experten tun sich schwer, die Vorgänge dort zu interpretieren und ihren weiteren Verlauf zu prognostizieren. Umso begrenzter sind die Möglichkeiten, sie zu beeinflussen.

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