Süddeutsche Zeitung

Iran:Der große Wettlauf

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Sigmar Gabriel ist der erste hochrangige westliche Politiker, der nach Abschluss des Atomabkommens nach Iran gereist ist. Auf ihn folgen in Kürze viele ausländische Kollegen.

Von S. Braun, C. Gammelin und P.-A. Krüger, Berlin/Kairo

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich zum Abschluss seiner Reise nach Iran verteidigt. Man müsse jetzt, da das Atomabkommen geschlossen sei, jenen den Rücken stärken, die sich auf den Westen zubewegt hätten, sagte er. Einerseits müsse man alles tun, damit der Deal auch umgesetzt wird. Andererseits sei es enorm wichtig, diejenigen zu belohnen, die für die Vereinbarung einträten. Aus Gabriels Umfeld hieß es, bei den Gesprächen mit vier Ministern und Wirtschaftsvertretern in Iran seien keine Verträge unterschrieben worden, Gabriel sei vor allem in politischer Mission unterwegs gewesen. Noch gehe es darum, nach dem großen Schritt der Annäherung Gespräche anzubahnen und Türen zu öffnen.

Damit reagierte der Minister auf Kritik, wonach seine Reise - nur wenige Tage nach dem Durchbruch in den Atomverhandlungen mit Iran - zu früh gekommen sei. Solche Kritik hatte unter anderem der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft geübt, Reinhold Robbe. Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Wehrbeauftragte sagte dem Tagesspiegel, die rasche Visite Gabriels erwecke den Eindruck, "dass es Deutschland in erster Linie um Wirtschaftsinteressen geht". Der Grünen-Politiker Volker Beck warnte vor einem "prinzipienlosen Buhlen um Wirtschaftsaufträge". Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemak, sprach von einem "gefährlichen Signal in die Region". Israel sei irritiert, "wie leichtfertig über die Krisen in der Region und die problematische Rolle Irans hinweggeschaut" werde.

Gabriel hatte Iran aufgefordert, das Existenzrecht Israels anzuerkennen.

Italiens und Frankreichs Außenminister planen Reisen, der britische Kollege noch mehr

Am letzten Tag seiner Reise besuchte der Vizekanzler die historische Stadt Isfahan. Sie zählt zum Unesco-Weltkulturerbe. Auch in Anerkennung der jahrtausendealten Kultur des Landes besichtigte Gabriel Sehenswürdigkeiten der Stadt und kaufte bei einem Streifzug über den Basar Präsente für Frau und Tochter.

Der letzte Besuch eines deutschen Wirtschaftsministers in Iran liegt 13 Jahre zurück. Gabriel war nun mit Vertretern aus Wirtschaftsverbänden, Wissenschaft und Unternehmen gekommen. Sie trafen mit der iranischen Industrie- und Handelskammer sowie mit Unternehmern zusammen. Laut Gabriel soll versucht werden, nach Aufhebung der Sanktionen gemeinsam und bei Einhaltung der damit verbundenen Verpflichtungen auf iranischer Seite die gemischte Wirtschaftskommission wiederzubeleben. Deutschlands oberster Wirtschaftslobbyist, BDI-Präsident Ulrich Grillo, zeigte sich "sehr beeindruckt". Es gebe eine junge, gut ausgebildete Mittelschicht, die den Anschluss an die Weltgemeinschaft suche - politisch wie wirtschaftlich. Grillo mahnte die Politik, darauf zu achten, dass die Sanktionen auf internationaler und auf europäischer Ebene gleichzeitig abgebaut würden. Es dürfe keine Wettbewerbsverzerrungen geben. Hintergrund ist, dass Deutschland nicht das einzige Land ist, das vorsichtig zur Normalität zurückkehren will. Gabriel war zwar der erste hochrangige westliche Politiker, der nach Abschluss des Atomabkommens in Wien nach Iran reiste. Allerdings waren schon lange vor der endgültigen Einigung etliche EU-Außenminister in Teheran, unter ihnen der Spanier José Manuel García-Margallo. Die Franzosen schickten im Februar 2014 eine 130-köpfige Wirtschaftsdelegation, in welcher der Ölkonzern Total, der Anlagenbauer Alstom, die Telekommunikationsgruppe Orange sowie französische Autobauer vertreten waren.

Zuletzt kam Ende Februar Italiens Außenminister Paolo Gentiloni. Und das Klinkenputzen geht weiter: Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hat sich für die kommende Woche angekündigt. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier will nach Teheran reisen, das Datum ist noch offen. Sein britischer Kollege Philip Hammond kündigte an, die seit 2011 geschlossene Botschaft seines Landes in Teheran bis Jahresende wiedereröffnen zu wollen.

US-Außenminister John Kerry dagegen, dem wichtigsten Architekten des Deals, dürfte die Reise in seiner Amtszeit nicht mehr vergönnt sein. Er muss zunächst im Kongress versuchen, die republikanische Mehrheit von den Vorzügen des Abkommens zu überzeugen - oder zumindest sicherstellen, dass der Senat ein Veto von Präsident Barack Obama nicht überstimmen kann. Antiamerikanische Rhetorik, wie sie der Oberste Führer Ali Chamenei zum Ende des Ramadan bemühte, ist wenig hilfreich. "Sehr beunruhigend", nannte Kerry dessen Worte. "Ich weiß nicht, wie ich es anders auslegen soll, außer es für bare Münze zu nehmen", sagte Kerry dem TV-Sender Al-Arabija. Chamenei hatte das Abkommen nicht infrage gestellt, er sagte aber, es werde nichts an der "Politik gegenüber den arroganten USA" ändern oder an Irans Unterstützung für Palästinenser, Jemen oder Syriens Herrscher Baschar al-Assad.

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SZ vom 22.07.2015
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