Iran-Atomkrise:"In drei Jahren waffenfähig"

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Iran ist bei der Entwicklung atomarer Waffentechnik viel weiter fortgeschritten als bisher angenommen. Das berichtet die Los Angeles Times, die sich unter anderem auf ein vertrauliches Dokument der französischen Regierung beruft.

Von Rudolph Chimelli

(SZ vom 5. August 2003) Das angeblich drei Monate alte Dokument spreche davon, dass Iran dem Besitz von waffenfähigem, angereichertem Uran oder Plutonium sehr nahe sei. Befreundete Regierungen würden, so wird im Bericht zitiert, von Paris "zur ernstesten Wachsamkeit bei ihren Exporten nach Iran und im Umgang mit vorgeschobenen Firmen" angehalten.

Nach Meinung von Experten, auf die sich die Zeitung bezieht, könnte Iran bereits in zwei oder drei Jahren Atomwaffen herstellen. Andere Sachverständige behaupten, die politische Führung in Teheran habe darüber noch keine Entscheidung getroffen. Die iranische Atomindustrie habe durch die Hilfe und Experten aus Russland, China, Nordkorea und Pakistan große Fortschritte gemacht.

Im Kontrast zu den alarmierenden Meldungen steht der derzeitige Besuch einer Delegation der internationalen Atomenergiebehörde in Teheran. Am Montag begann die entscheidende Verhandlungsrunde über die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum Atomwaffensperrvertrag.

Der iranische Vertreter bei der Wiener Behörde, Ali Akbar Salehi, hatte seiner Regierung vor wenigen Tagen empfohlen, dem Protokoll, das uneingeschränkte Inspektionen gestattet, noch im August zuzustimmen. Iran verlangt im Gegenzug, dass der Westen das Land bei der Entwicklung seines Atomprogramms zu zivilen Zwecken unterstützt.

Atomenergie von den USA empfohlen

Die Ursprünge der iranischen Atomwirtschaft gehen bis in die sechziger Jahre zurück. Damals wurde dem Land von Washington die Nutzung von Atomenergie empfohlen. Die amerikanischen Argumente lauteten zu jener Zeit, Iran solle sein Erdöl für wertschöpfende Industrien wie Petrochemie und Pharmazeutik nutzen. Unausgesprochen blieb dabei die entscheidende Erwägung, iranische Öl solle so weit wie möglich für den Weltmarkt verfügbar bleiben.

Auch an die militärische Nutzung der Atomwirtschaft hatte die iranische Führung lange vor der islamischen Revolution gedacht. "Wir werden sicher Atomwaffen haben, und früher als irgend jemand glaubt", sagte Schah Mohammed Resa Pahlewi in den siebziger Jahren. So gab es Projekte für die Zusammenarbeit der iranischen Monarchie mit Israel, unter anderem zur Bereitstellung israelischer Technik für Boden-Boden-Raketen, die auch zum Transport von Atomsprengköpfen geeignet gewesen wären.

Dokumente über vertrauliche Gespräche zwischen Experten aus Teheran und Tel Aviv, über die auch die USA nicht informiert waren, wurden nach der Revolution veröffentlicht. Anfang dieses Jahres behauptete die Teheraner Zeitung Keyhan, der Schah habe 1977 mit dem damaligen israelischen Verteidigungsminister Schimon Peres vereinbart, dass Israel auf iranischem Territorium atomgeeignete Raketen ausprobieren dürfe. Das Blatt liegt auf einer Linie mit dem geistlichen Führers Ayatollah Ali Chamenei. Eine Bestätigung für die Behauptung aus anderer Quelle gibt es nicht.

Frage des Gleichgewichts

Obwohl Teheran offiziell jedes Interesse bestreitet, besteht bei verschiedenen politischen Kräften weitgehend Einigkeit, dass Iran zur Entwicklung von Atomwaffen genau so berechtigt sei wie andere Staaten. "Es ist grundsätzlich eine Frage des Gleichgewichts", sagt Mustafa Tadschsadeh, ein führender Reformdenker. "Auf der einen Seite sagt Israel: Wenn wir die Atomwaffe nicht haben, haben wir keine Sicherheit. Und wir sagen: So lange Israel sie hat, haben wir keine Sicherheit."

Das erste Projekt, dessen Verwirklichung die Iraner lange vor der Revolution in die Hand nahmen, war der Reaktor von Buschehr am Persischen Golf. Er wurde von der Siemens-Tochter KWU gebaut und war mehr als zur Hälfte fertig, als wegen der Revolution von 1979 die Arbeiten eingestellt wurden.

Jahre später wandte sich das islamische Regime wegen Fertigstellung abermals an Siemens. Die Deutschen lehnten ab - auch auf Druck von Washington. Seither bauen die Russen Buschehr zu Ende. Westliche Fachleute bedauern heute, dass die iranische Atomtechnik damit ihrem Einblick entzogen wurde. Der Reaktor soll im kommenden Jahr ans Netz gehen.

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