Süddeutsche Zeitung

Iran:Hardliner im Präsidentenpalast

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In Teheran übernimmt Ebrahim Raisi die Regierung während einer Ballung von Krisen und Protesten. Doch die Hardliner sehen darin vor allem die Chance, nun ungehindert ihre Agenda durchzusetzen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Seine erste Wahlkampfrede Ende Mai widmete Irans neuer Präsident Ebrahim Raisi der massiven Wirtschaftskrise - dem Thema, das die meisten Menschen in Iran bewegt. Er versprach, binnen vier Jahren vier Millionen Jobs zu schaffen, vier Millionen Wohnungen zu bauen und der ärmeren Hälfte der Bevölkerung zinsgünstige Kredite. Zudem kündigte er an, das Gesundheitswesen stärker zu subventionieren und die Mieten zu drücken.

Was der 60 Jahre alte Kleriker und Jurist nicht groß erklärte: wie er seine ambitionierten Pläne umsetzen und vor allem finanzieren will. Von expansiver Geldpolitik sprach er. Die Zentralbank soll also Geld drucken, um steigende Staatsausgaben zu finanzieren. Doch die Inflation von fast 40 Prozent frisst ohnehin schon die Gehälter auf.

Die Abwärtsspirale hat sich seither noch beschleunigt. Wenn der Hardliner an diesem Dienstag vom Obersten Führer Ajatollah Ali Chamenei in sein Amt eingeführt wird, übernimmt er das Land in einer Ballung akuter Krisen - sie nähren die ohnehin große Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die sich gegen das gesamte Regime richtet, und befeuern Proteste.

Die fünfte Corona-Welle wütet in Iran. Mit zuletzt mehr als 30 000 registrierten Neuinfektionen und offiziell 350 Toten pro Tag sind die Zahlen höher als je zuvor. Die scheidende Regierung von Präsident Hassan Rohani sah sich gezwungen, die Hauptstadt Teheran und andere Regionen in einen neuen Lockdown zu schicken und Geschäfte zu schließen. Viele aber können es sich längst nicht mehr leisten, nicht zu arbeiten, und ignorieren die Anordnungen.

Felder und Plantagen verdorren, das Vieh verdurstet

Dazu kommen die Proteste gegen Wasserknappheit in der Provinz Khusestan, wo Hunderte Dörfer für Trinkwasser auf Tankwagen angewiesen sind, Felder und Plantagen verdorren und das Vieh verdurstet. Sie halten seit Mitte Juli unvermindert an. Auf Abhilfe ist frühestens mit Regen im späten Herbst zu hoffen, das räumt die Regierung ein. Iran durchlebt den trockensten und heißesten Sommer seit mehr als 50 Jahren.

Die Talsperren, mit denen die wichtigsten Flüsse der eigentlich wasserreichsten Provinz an ihrem Oberlauf in die zentraliranische Hochebene umgeleitet werden, sind leer - was zusätzlich zu Stromausfällen führt, weil Wasserkraftwerke nicht mehr laufen. Zugleich gelten die Staudämme als Symbol für Korruption und staatliches Missmanagement.

Die Lage in Khusestan ist für das Regime doppelt heikel: Dort liegen die wichtigsten Ölfelder und zwei Drittel der Gasvorkommen - die wichtigsten Devisenquellen. Dennoch gibt es viel Armut und Arbeitslosigkeit. Die schiitischen Araber, in Khusestan die Mehrheit, sehen sich von der Zentralregierung diskriminiert.

Mit ihnen solidarisierten sich im Vielvölkerstaat als erstes iranische Aserbaidschaner, mit 15 bis 20 Prozent Bevölkerungsanteil die landesweit größte Minderheit. Inzwischen greifen die Proteste auf andere Provinzen und Großstädte über, auch auf Teheran, obwohl die Behörden die Internetverbindungen in Khusestan gedrosselt haben.

Selbst der Oberste Führer hat zugestanden, dass man den Menschen in Khusestan die Proteste nicht vorwerfen könne, sondern sich ihrer Anliegen annehmen müsse. Dessen ungeachtet schickt das Regime Sondereinheiten der Polizei und der Revolutionsgarden, die scharf schießen. Mindestens neun Menschen wurden bislang getötet, Hunderte verhaftet. Die Menschen skandieren: "Keine Angst, keine Angst, wir stehen alle zusammen!" und "Tod dem Diktator!" - gemeint ist Chamenei.

Eine konservative Wende, wie sie in Iran viele unter Raisi erwarten, könnte die Lage noch verschärfen. Denn die weitere Beschränkung gesellschaftlicher Freiheiten lehnen viele Iranerinnen und Iraner ab, vor allem die jungen. In den Jahrzehnten seiner Karriere in der Justiz hat Raisi sich überdies mit unerbittlicher Repression profiliert.

Die Legitimität des Regimes ist schwer beschädigt, nachdem der Wächterrat, ein von Chamenei kontrolliertes Gremium von Juristen und Klerikern, alle ernst zu nehmenden Gegenkandidaten Raisis von der Wahl ausgeschlossen hatte. Was ihn qualifizierte, ist weder politische Erfahrung noch Wirtschaftskompetenz, sondern vor allem ergebene ideologische Linientreue. Das wissen die Iraner.

Die Ultrakonservativen dominieren bereits das Parlament - wofür ebenfalls der Wächterrat gesorgt hatte - und nun auch die Regierung. Im Sicherheitsapparat und dem Büro des Obersten Führers haben sie seit jeher das Sagen. Doch bei der Präsidentenwahl gaben nur 48,5 Prozent der Berechtigten ihre Stimme ab - ein Absturz um 25 Prozentpunkte und die niedrigste Wahlbeteiligung seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979. Dessen ungeachtet versuchen sie nun, ihre reaktionäre gesellschaftspolitische Agenda durchzufechten.

Empörung über Pläne für noch mehr Internetzensur

Vor allem empören sich Millionen Iranerinnen und Iraner aber über ein geplantes Gesetz, das die Internetzensur radikal ausweiten und verschärfen sowie den Zugang zu sozialen Medien drastisch erschweren würde. Die Abgeordneten haben das Gesetz im Prinzip beschlossen, die Details sollen aber noch ausgearbeitet werden. Vorgesehen ist unter anderem, sogenannte VPN-Tunnel zu verbieten, die den Zugriff auf Internetseiten ermöglichen, die in Iran gesperrt sind. Ob populäre Nachrichtendienste wie Whatsapp oder die Plattform Instagram gesperrt werden, ist noch umstritten. Der lang gehegte Plan der Hardliner ist ein Netz für Iran, das abgekoppelt ist vom Rest der Welt. Für die Menschen ist es ein Albtraum - entsprechend heftig sind die Proteste, die bis in Rohanis Kabinett reichen.

Schon gibt es Spekulationen, dass Raisi das Gesetz stoppen werde, um seine Popularität aufzupolieren. Denn die Wirtschaftsmisere, Irans größtes Problem, wird er auf die Schnelle nicht lindern können. Zwar reden die Hardliner einer Widerstandswirtschaft das Wort, die Iran abkoppelt vom Westen und immun machen soll gegen Sanktionen. Aber kurzfristig bleibt auch Raisi kaum eine erfolgversprechende Alternative zu einem Deal mit den USA über die Rückkehr zum Atomabkommen. Das würde Iran weitgehende Erleichterungen bei den Sanktionen bringen und Zugriff auf dringend benötigte eingefrorene Guthaben im Ausland.

Eine Rolle spielen dürften dabei auch die Sanktionen, mit denen Washington Raisi persönlich belegt hat wegen seine Beteiligung an schwersten Menschenrechtsverletzungen, zuletzt 2009 bei der gewaltsamen Niederschlagung der grünen Revolution.

In Schweden beginnt wenige Tage nach Raisis Amtsantritt ein Prozess, der seine Vergangenheit wieder in den internationalen Fokus bringen wird. Angeklagt ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Gefängnisses Gohardascht bei Teheran. Dort und in anderen Haftanstalten wurden auf Befehl von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini 1988 Tausende politische Häftlinge hingerichtet, die Mehrzahl Angehörige der regimefeindlichen Volksmudschahedin. Raisi gehörte einer vierköpfigen Kommission an, die über die außergerichtlichen Todesurteile befand. Aussagen in dem Prozess könnten Licht in dieses dunkle Kapitel werfen.

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