Flüchtlinge:Warum irakische Christen auch im Frieden nicht in ihre Heimat zurück wollen

An Iraqi Christian boy from Mosul, who fled with his family from violence in their country, writes at Mar Elias Monastery Church in Amman

Ein christlich-irakischer Junge, der mit seiner Familie aus Mossul flüchten musste, ist in einer Kirche in der jordanischen Hauptstadt Amman untergekommen.

(Foto: REUTERS)

Tausende irakische Christen haben in Jordanien Zuflucht vor dem IS gefunden - doch sie fallen auch dort oft durch das Raster der Helfer.

Reportage von Andrea Bachstein, Amman

Er hat sich eigentlich schon verabschiedet, rennt aber noch mal her, ganz aufgewühlt, bitte, er will noch den Namen eines Schicksalsgenossen aufschreiben, und einen anderen und noch einen. Vielleicht, meint er, hilft es ja irgendwie, wenn man in Deutschland von ihnen hört. Amer Elias Ayub ist Iraker, Christ und verzweifelt. Um zu erzählen warum, war er wieder hierher gekommen mit zwölf anderen in das, was Pfarrer Rifat Bader "das Loch" nennt.

Der schlichte Versammlungsraum der Heilig-Herz-Jesu-Kirche in Naour am Südrand von Amman ist kein Loch. Aber auch keine Wohnung für 50 Leute mit Kindern. Im Spätsommer 2014 war er das aber monatelang. Amer Elias Ayub und die anderen, die an diesem Tag gekommen sind, gehörten zu den Bewohnern.

Wie sie jetzt am hellen Sandstein der Kirchenmauern entlanggehen, gleicht das fast der Szene auf dem Bild in Pfarrer Baders Büro, gemalt von einem der 50 Bewohner, die Acrylfarben glänzen noch frisch: ein Zug verschreckter Leute, voran Maria und Josef samt Jesuskind, hinter ihnen, im selben Sandsteingelb der Kirche, eine mächtige Mauer. Über ihre Zinnen ragt ein Kirchturm, von der anderen Seite blickt eine riesige Statue auf die Szene. Eine assyrische Türhüterfigur, die Zinnen sind die des alten Ninive. Sie gehört heute zur Millionenstadt Mossul im Nordirak.

Am 10. Juni 2014 überrannte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Mossul und nahm im August die Orte der Umgebung ein. Alle, die bei Pfarrer Bader Zuflucht fanden, kommen von dort. Jordanien ließ damals tausend irakische Christen mit Sondervisa ins Land, jordanische Kirchen beherbergten sie. 8000 irakische Christen leben im Land, eine kleine Minderheit unter den laut Regierung 1,5 Millionen Flüchtlingen.

"Am 8. August 2014, als der IS bei uns vorrückte, das war die schrecklichste Nacht, wie der Weltuntergang für uns, binnen Stunden mussten wir aus unseren Häusern", erzählt Amer Elias Ayub im Gemeinderaum der Heilig-Herz-Jesu-Kirche. Wer blieb, hatte die Wahl: zum Islam konvertieren, die Töchter den Kalifatskämpfern als Beute lassen oder von IS-Schlächtern umgebracht werden wie 1300 andere Christen dort.

Zwei Jahre nach der Flucht haben sie Mühe mit dem Hoffen

Jordanien war ihre Rettung. Pfarrer Rifat Bader, als Leiter des Zentrums für Studien und Medien der Kirche in Jordanien ein profilierter Geistlicher, wurde ihr Schutzpatron. Alle Familien, die "im Loch" lebten, haben heute dank Spenden andere Unterkünfte, sie müssen im haschemitischen Königreich nicht um ihr Leben fürchten, leiden keinen Hunger. Dafür haben sie jetzt, bald zwei Jahre nach der Flucht, Mühe mit dem Hoffen.

Flüchtlinge: Er ist zum Schutzpatron der geflohenen Christen geworden: Pfarrer Rifat Bader, Geistlicher der jordanischen Kirche.

Er ist zum Schutzpatron der geflohenen Christen geworden: Pfarrer Rifat Bader, Geistlicher der jordanischen Kirche.

(Foto: A. Bachstein)

Als der Satz fällt, sie säßen wie in einer Falle, nicken alle 13 in der Runde. Sie sind Jordanien dankbar, doch sie sitzen hier fest. Sie kamen mit Visum, sind nicht als Flüchtlinge anerkannt. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) habe mit den meisten ein erstes Interview geführt, erzählen sie. Doch dabei blieb es, für eine Anerkennung als Flüchtling sind mehrere nötig. Sie dürfen nicht arbeiten, haben Probleme mit ärztlicher Behandlung. Ayubs Bruder, ein ausgemergelter Mann von 61 Jahren, erzählt, er brauche zwei Operationen und deutet auf seinen Bauch. Jordaniens mit Hunderttausenden Flüchtlingen belastetes Gesundheitssystem gibt ihnen nur eine Grundversorgung.

Die Jüngeren können nicht zur Universität. Dina Alyass, 25, sagt, "mein Leben ist auf Stopp gestellt". Sie weiß nicht, wie es weitergeht, war fast fertig mit dem Literaturstudium im Irak. Sie bekommt ihre Studienbelege nicht aus dem Irak, und Stipendien gibt es für Iraker nicht. Sie bringt die Tage herum mit Lesen, ein paar Freunden, ab und zu Gemeindetreffen, aber meist sei sie zu Hause mit der Familie, in der alle grübeln, sich sorgen, weil sie nicht wissen, was wird. Die schmale junge Frau ginge gerne ins Ausland, alle in der Gruppe wollen das, Österreich oder Australien, Deutschland, USA, egal. Sie haben bei diversen Botschaften Visa beantragt - und Ablehnungen oder gar keine Antwort erhalten.

Die Botschaften sind überlastet von der Flut der Anträge Geflüchteter aus Syrien und dem Irak. Ein Jordanienkenner meint, die Chancen irakischer Christen könnten zusätzlich beeinträchtigt sein. Visa-Anträge landen oft erst bei jordanischen Ortskräften der Botschaften, und die würden Muslime vorziehen und Anträge von Christen im Stapel schon mal nach unten schieben. Das Gefühl hat sich jedenfalls breit gemacht bei ihnen, dass man sie benachteiligt.

Alle redeten nur noch über Syrer, sagen sie in Naour, für die werde alles getan. Sie verstehen nicht, warum sie durch alle Raster zu fallen scheinen, offenbar Flüchtlinge zweiter Klasse seien. Keinen interessiert mehr ihr Schicksal, so erleben sie es.

"Warum nimmt Deutschland uns nicht, wir sind doch Christen?"

Dina Alyass' Vater merkt man an, dass sich Frust in ihm gesammelt hat. "Warum nimmt Europa, nimmt Deutschland all die Muslime auf und uns nicht? Wir haben doch dieselben Werte, sind euch doch als Christen viel näher?", fragt er. Er ist 60, ein weißhaariger Herr, hat einen guten Anzug angezogen für das Treffen, Restaurantbesitzer war er. Mit seiner Frau und drei Töchtern floh er und hat noch zwei Waisen aus der Verwandtschaft dabei. "Ich würde überall hin gehen, damit wir wieder eine Zukunft haben", sagt er und macht eine halbe Einschränkung: "Nur bei Deutschland bin ich nicht mehr sicher, da sind jetzt so viele Muslime."

Die anderen im Gemeindesaal reden nicht so, aber dass es nicht vorstellbar ist, wieder als Minderheit unter Muslimen zu leben, sagen auch sie. Sie haben Schreckliches erlebt, das hat sie geprägt. So fallen Sätze wie: "Muslime kennen keine Vergebung." Dass es die Vereinigten Arabischen Emirate sind, die hier ihre Wohnungen bezahlen, ändert nichts. Zurückzukehren in den Irak ist für sie ausgeschlossen, selbst wenn der IS eines Tages besiegt wäre.

Sie könnten nicht vergessen, sagen sie, wie die muslimischen Nachbarn feindseliger wurden, mit dem IS sympathisierten. Dass man sie im Stich ließ, als der IS näher rückte. Die Peschmerga-Truppen hätten sich zurückgezogen und zugesehen, wie die Terrormiliz ihre Orte einnahm. Aber lange, ehe der IS kam, hätten Diskriminierung, Angriffe und Bedrohung zugenommen, seit dem Sturz Saddam Husseins, aber letztlich schon seit 1988.

Weg wollen alle, zurück in den Irak will keiner

Einer der Männer im Versammlungsraum, Englisch- und Kulturkunde-Lehrer von Beruf, erzählt, wie er 2008 bei seiner Hochzeit so ernste Drohungen erhielt, dass er und seine Frau direkt nach der Trauung vorübergehend nach Erbil ins Kurdengebiet flüchten mussten. Der 41-Jährige sagt, wenn er seinen Eltern etwas vorwerfe, dann, dass sie ihn dort aufwachsen ließen. Diesen Vorwurf wolle er von seinen Kindern nicht hören.

Eine der älteren Frauen der Gruppe zieht irgendwann wortlos ihr Handy heraus und zeigt Fotos: das Innere eines zerstörten Busses, zerborstenes Metall, Blutlachen. 18 Bombenanschläge habe es gegeben auf die Busse, die Studenten zur christlichen Universität von Mossul brachten, Tote, Schwerverletzte gab es, auch ihren Sohn traf es.

Egal wo man irakische Christen trifft, ob bei Pfarrer Rifat, im Bildungsprojekt der Caritas in Amman, wo irakische Kinder lernen, weil Jordaniens Schulsystem kaum alle Flüchtlingskinder aufnehmen kann, oder in Ammans Viertel Marka, wo in der St.-Marien-Pfarrei teilweise seit vier Jahren Dutzende Iraker leben: Weg wollen alle, zurück in den Irak will keiner.

"Das Leben der Christen im Irak ist Vergangenheit"

1600 Jahre lebten Christen im einstigen Mesopotamien, nun reden sie wie der irakisch-britische Geschäftsmann, der die Flüchtlingshilfe in der St.-Marien-Pfarrei sponsert: "Es gibt keine Zukunft im Irak. Das Leben der Christen dort ist Vergangenheit."

Die 8000 christlichen Iraker sind nur eine Minderheit unter den Hunderttausenden, die König Abdallahs kleines Reich beherbergt. Das Land unternimmt große Anstrengungen, aber trotz internationaler Hilfe ist Jordanien am Rand seiner Kräfte. Es muss viel militärischen Aufwand betreiben, etwa zur Sicherung der Grenzen nach Syrien - der IS könnte einsickern, es wurden schon islamistische Zellen entdeckt. Die Wirtschaft lahmt, auch wegen der Konflikte in der Region; Syrien, der Irak, Libyen sind als Exportziele praktisch weggefallen. Auf der großen Syrien-Geberkonferenz in London im Februar versprach Jordanien, Flüchtlingen öfter Arbeitserlaubnisse zu erteilen. Damit hat das Land auch begonnen.

Aber irakischen Christen, die wie die in Naour gar keinen Flüchtlingsstatus haben, nützt das nichts. Sie fühlen sich wie Strandgut des Kriegs. Dina Alyass, die Tochter des wütenden Restaurantbesitzers, die weder fertigstudieren noch arbeiten kann, ist so höflich und wohlerzogen wie ihr Vater. Die Familie versucht, ihre Würde nicht zu verlieren, sich nicht gehen zu lassen. In der Gesprächsrunde bemüht sie sich, nicht wehleidig zu klingen, ein Lächeln zu zeigen. Aber auf der Straße vor der Heilig-Herz-Jesu-Kirche, als die anderen es nicht hören, sagt sie: "Wir sind alle nur noch traurig, traurig, traurig."

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