Irak:Wenig Sicherheit, kaum Strom

Die politische und wirtschaftliche Lage im Land ist weiter höchst labil - was auch am Unvermögen der Besatzer liegt.

Es ist erst wenige Tage her, da glaubten die amerikanischen und britischen Besatzer des Irak für einen Augenblick, sie dürften Hoffnung schöpfen. Da legte das angesehene Forschungsinstitut Oxford Research International die Ergebnisse einer groß angelegten Umfrage vor, die es im Auftrag der BBC, der ARD und anderer Fernsehanstalten zum ersten Jahrestag des Irak-Krieges durchgeführt hatte.

Die Mehrheit der Iraker beurteilt demnach ihre persönliche Situation positiv - und ist zufriedener als vor dem Kriegsbeginn. Zwar brachte die Befragung auch zweischneidige Einstellungen zu Tage: So begrüßten die meisten Befragten zwar den Sturz Saddam Husseins - fast die Hälfte wünscht sich aber auch für die Zukunft "einen starken Führer" an der Spitze des Landes. Und bei aller Freude über die "Befreiung" sorgen sich die meisten weiter vor allem um ihre Sicherheit. Insgesamt aber zeigte die Umfrage ein positives Bild der Lage in dem kriegsgeplagten Land.

Doch der Hoffnungsschimmer wurde kurz darauf schon wieder ausgelöscht. Der Anschlag auf das Hotel Mount Lebanon, bei dem am Mittwoch fast 30 Menschen starben, und der Tod zweier arabischer Fernsehjournalisten durch versehentlichen amerikanischen Beschuss in der Nacht zum Freitag untermauerte eine These, die der frühere UN-Chefwaffeninspektor Hans Blix so formuliert: die Invasion des Irak habe die Region polarisiert und die Bedrohung durch den Terrorismus verstärkt. Tatsächlich hat sich die von US-Präsident George W. Bush immer wieder vorgetragene These, durch den Sturz Saddam Husseins habe Osama bin Laden einen Verbündeten verloren, als falsch erwiesen.

"Mission Accomplished"?

Im Gegenteil: Das Machtvakuum im Irak hat es den "ausländischen Kämpfern" der al-Qaida und anderer Terrorgruppen erst ermöglicht, in den Irak einzusickern und die Besatzungstruppen, mehr und mehr aber auch die Iraker selbst zu terrorisieren. Von "Mission Accomplished" ("Mission erfüllt"), wie Bush am 1. Mai vergangenen Jahres nach kaum sechs Wochen Krieg auf dem Flugzeugträger "Abraham Lincoln" vor jubelnden Truppen verkündete, kann ein Jahr nach dem ersten Angriff auf Bagdad kaum die Rede sein.

Auch politisch ist die Bilanz ein Jahr danach eher durchwachsen. Auf der Habenseite ist sicher die "Vorläufige Verfassung" zu verbuchen. Sie garantiert fürs Erste die Grundrechte, legt die Basis für eine Zivilgesellschaft und für demokratische Wahlen. Auch vor plötzlicher Einkerkerung und Folter braucht niemand mehr Angst zu haben - es sei denn, er gerät ins Visier amerikanischer Fahnder, die nach al-Qaida-Anhängern suchen.

Unterm Strich aber sind nur wenige politische und wirtschaftliche Fortschritte zu verzeichnen. Das liegt vor allem an den Kardinalfehlern, die die Besatzer in der Stunde Null und in den ersten Wochen ihrer Herrschaft gemacht haben - und die bis heute nachwirken. Zunächst überließen Amerikaner und Briten Bagdad den Plünderern, vermutlich auch, um sie von größerem Widerstand gegen die einrückenden Truppen abzuhalten. Museen, Archive, Bibliotheken, Galerien, Universitäten wurden ausgeraubt - das historische Gedächtnis einer gesamten Nation wurde eliminiert.

Der zweite Fehler war die - ideologisch - begründete Auflösung der irakischen Armee. Fälschlicherweise glaubten die Besatzer, das Militär sei eine Säule der Herrschaft von Saddam Hussein gewesen. Tatsächlich war es eine ganz normale Armee von Wehrpflichtigen, die, wie der Krieg gezeigt hatte, keine sonderlichen Anstrengungen machte, das Regime zu verteidigen. Die Sicherheit im Irak wäre heute weit besser - und die Kooperationsbereitschaft der Iraker womöglich weit größer -, wenn die Armee intakt geblieben und von Amerikanern und Briten mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung beauftragt worden wäre.

Ein weiterer Fehler der Besatzer war, Exiliraker ins Land zurückzuholen und mit wichtigen politischen und administrativen Aufgaben zu betrauen. Diese Oppositionspolitiker hatten im Ausland jeglichen Kontakt zu ihrer Heimat verloren und werden deshalb von kaum einem Iraker akzeptiert. Verhassteste Figur im heutigen Irak ist Ahmed Chalabi, der aus London gekommene Vorsitzende des "Irakischen Nationalkongresses". In Jordanien wird er wegen Unterschlagung von Geldern gesucht, in Bagdad umgibt er sich mit einer eigenen Miliz, den so genannten "Free Iraqi Forces".

Ebenso prekär ist, dass der von den Besatzern eingesetzte "Irakische Regierungsrat" ausschließlich nach ethnischen und religiösen Kriterien zusammengesetzt ist. Dem Irak könnte so das Schicksal des alten Jugoslawien drohen, das auseinander fiel, weil seine Regierung und Verwaltung nach ethnischen Gesichtspunkten gebildet wurden, politische Professionalität aber außen vor blieb. Der "Irakische Regierungsrat" jedenfalls gilt schon jetzt bei den meisten Menschen im Land als korrupt und inkompetent; auch ihn nimmt niemand wirklich ernst.

Das größte Unvermögen der Besatzer aber zeigt sich in den Kleinigkeiten des Alltags: Ein Jahr nach Kriegsende haben viele Iraker noch immer nur für einige Stunden am Tag elektrischen Strom. Warum, so fragen sich viele, bringt es die führende Industriemacht der Welt nicht fertig, in einem Jahr Elektrizitätswerke und Telephonzentralen wieder herzurichten.

Dafür gibt es einen einfachen, recht traurigen Grund. Die Kraftwerke sind überwiegend von Russland, Frankreich und Deutschland gebaut. Doch diese Kriegsgegner sind durch die Sieger vom Wiederaufbau des Landes weitgehend ausgeschlossen. Und so sehen viele Iraker auch ein Jahr nach Kriegsbeginn weiter in eine dunkle Zukunft.

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