Süddeutsche Zeitung

Irak:Wem gehört Kirkuk?

Nach dem Sieg über den IS streiten die Kurden und die Zentralregierung über die ölreiche Region - der Irak steht schon wieder kurz vor einem neuen Bürgerkrieg.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Im Irak steigt die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs zwischen der Zentralregierung in Bagdad und den Kurden im Norden des Landes. Die kurdische Regionalregierung in Erbil rechnet seit Tagen mit einem Angriff schiitischer Milizen und Einheiten der Bundespolizei auf Ölfelder nahe der Stadt Kirkuk, auf die sowohl die Kurden als auch die Zentralregierung Anspruch erheben. Die Nachrichtenagentur AFP meldete am Freitag unter Berufung auf einen irakischen General, die Militäroperation habe begonnen. Ihr Ziel sei, Gebiete wieder unter die Kontrolle Bagdads zu bringen, in die im Sommer 2014 kurdische Peschmerga eingerückt waren. Damals flohen ganze Divisionen der irakischen Armee vor der anrückenden Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Die Militärführung in Bagdad dementierte später am Freitag jedoch die Meldung. Quellen in Kirkuk sagten, bis zum frühen Abend habe es keine Gefechte gegeben. Premier Haidar al-Abadi hatte am Donnerstag trotz des Konflikts um das kurdische Unabhängigkeitsreferendum einen Militäreinsatz ausgeschlossen. Bei der Volksabstimmung Ende September rief die Regionalregierung von Präsident Massud Barzani ungeachtet internationaler Warnungen auch in den Gebieten zur Urne, die sowohl von Bagdad als auch von Erbil beansprucht werden, derzeit aber von Peschmerga kontrolliert werden.

Die Spannungen verschärften sich weiter, nachdem schiitische Milizen und Bundespolizei in den vergangenen Wochen die Region um die Stadt Hawija vom IS zurückerobert hatten. Sie liegt 50 Kilometer westlich von Kirkuk und in unmittelbarer Nähe zu den Ölfeldern. Die Peschmerga hatten das Gebiet nach Norden hin abgesichert. Nach der Vertreibung des IS stehen sie jetzt irakischen Einheiten gegenüber. Die Militärführung in Bagdad teilte mit, diese Verbände seien weiter dabei, vom IS befreite Gebiete zu durchkämmen. Allerdings rückten sie dabei offenkundig in Gebiete vor, welche die Peschmerga erst kurz zuvor verlassen hatten.

Die Regionalregierung in Erbil entsandte weitere 6000 Peschmerga nach Kirkuk, um die Region zu verteidigen. Die Ölfelder nahe der Stadt gehören zu ihren wichtigsten Einnahmequellen - zumindest, solange sie das Öl noch über die Türkei exportieren kann. Deren Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der ebenso wie die iranische Führung das Unabhängigkeitsstreben der Kurden ablehnt, hat Barzani gedroht, die Pipeline abzudrehen und die Öl-Einnahmen nach Bagdad zu überweisen. Das Feld liefert mit etwa 350 000 Barrel am Tag gut die Hälfte der Menge, die zuletzt aus den Kurdengebieten exportiert wurde. Ein Teil der Förderung wird auch zur Deckung des Eigenbedarfs raffiniert.

Die schiitischen Milizen und die Bundespolizei haben ebenfalls Zehntausende Kämpfer in der Region zusammengezogen, die zunächst im Kampf gegen den IS im Einsatz waren, jetzt aber gegen die Kurden vorgehen könnten. Zudem liegen zwei ihrer größten Stützpunkte in der Nähe. Die Milizen hören nicht unbedingt allein auf Befehle Abadis, sondern werden maßgeblich von den iranischen Revolutionsgarden gesteuert. Schon mehrmals haben sie Operationen gegen den IS begonnen, bei denen Abadi keine Wahl mehr blieb, als mit dem Hubschrauber einzufliegen, um den Angriff zumindest noch formell als Oberkommandierender zu befehlen.

Laut westlichen Geheimdiensten war eine "erhebliche Zahl" Milizionäre vor dem Referendum mit schweren Waffen nach Kirkuk eingesickert. In den Tagen um die Abstimmung hielt sich der iranische General Qassim Soleimani in den Kurdengebieten und südlich von Kirkuk auf; er ist der Chef der für Auslandsoperationen zuständigen Quds-Brigaden der Revolutionsgarden und gilt als mächtigster Mann im Irak. Er hatte den Kurden indirekt gedroht, er könne nicht garantieren, dass er die Milizen zurückhalten könne, sollte in den umstrittenen Gebieten das Referendum abgehalten werden. Tatsächlich kann er das durchaus - die Frage ist, ob Teheran und auch Ankara dies wollen. Oder ob sie eine klare militärische Warnung an die Kurden senden wollen.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2017
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