Nahost:Iraks Dilemma mit den US-Truppen

Lesezeit: 3 min

US-amerikanische Soldaten mögen im Irak zwar nicht beliebt sein - verzichtbar sind sie aber wohl auch nicht. (Foto: Spc. Ryan Swanson/dpa)
  • Die irakischen Parlamentarier wollen die US-Truppen zum Abzug zwingen, da sie die Tötung des iranischen Generals Soleimani auf ihrem Territorium nicht hinnehmen wollen.
  • Die Regierung in Bagdad dürfte der Forderung aber nicht nachkommen.
  • Nach dem Tod Soleimanis ist die Region mehr denn je auf die Präsenz der US-Truppen angewiesen - um zu verhindern, dass die Dschihadisten des IS wieder erstarken.

Von Moritz Baumstieger

Seine Rede im Parlament begann Iraks Premier Adil Abd al-Mahdi am Sonntag mit einer überraschenden Information: Der iranische General Qassim Soleimani, den die USA in der Nacht zum Freitag am Flughafen Bagdad mit einer Drohne getötet hatten, sei auf seine Einladung nach Bagdad geflogen - im Dienste des Friedens.

Der Kommandeur der Al-Quds-Brigaden, der in vielen Ländern des Nahen Osten irantreue Milizen aufgebaut und so zur Destabilisierung der Region beigetragen hat, sei gekommen, um Wege auszuloten, die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien abzubauen. Soleimani habe Teherans Antwort auf eine Initiative des Hofs in Riad übermitteln wollen, der Bagdad um Vermittlung gebeten habe.

Ähnliche Vorstöße Saudi-Arabiens gab es zuletzt tatsächlich. Sollten Mahdis Worte also nicht nur der posthumen Legendenbildung um den ohnehin schon mythenumrankten Soleimani dienen, würde sich der Kontext des Drohnenschlags deutlich anders darstellen, als ihn US-Präsident Donald Trump schildert: Der Militärstratege Soleimani wäre nicht gereist, um Aktionen gegen US-Bürger zu planen. Sondern in einer diplomatischen Mission, die die in der Region seit Monaten schwelende Kriegsgefahr hätte lindern und Konflikte eindämmen können, wie etwa den in Jemen.

ExklusivSPD-Fraktionschef zu Soleimanis Tötung
:Trumps Handlungen "nicht akzeptabel"

Rolf Mützenich nimmt die Eskalation im Nahen Osten zum Anlass für scharfe Kritik am US-Präsidenten. Nach der Tötung Soleimanis sei das deutsche Verhältnis zu den USA "tiefgreifenden Veränderungen und Belastungen ausgesetzt".

Von Mike Szymanski

Jetzt droht das Gegenteil: unkontrollierbare Eskalation. In Jemen kündigten Vertreter der schiitischen Huthi-Miliz an, Rache für Soleimani zu nehmen, was den Konflikt dort befeuern könnte. In den Schiiten-Vororten im Beiruter Süden hielt Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah eine Rede vor Tausenden Anhängern, die in ihrer Heftigkeit selbst für ihn außergewöhnlich war. Zwar vermied es Nasrallah, Libanon als möglichen Ausgangspunkt von Angriffen zu nennen. Doch fast jede Art der Eskalation, die von der Hisbollah ausgeht, birgt die Gefahr eines neuen Krieges mit Israel.

Und so fürchten die Menschen in Jemen und in Libanon, im Irak und in Syrien, dass ihre Länder erneut Arena für die Auseinandersetzungen fremder Mächte werden - die sich für Forderungen von Demonstranten nur wenig interessieren. Die Losung "Irak ist kein Gebiet für eure Kriege" etwa verbreiten Aktivisten im Netz, sie erschallt aus Zehntausenden Kehlen über Bagdads Tahrir-Platz, wo seit Oktober Menschen aller Schichten gegen das politische System demonstrieren. Ob man aber in Washington oder Teheran darauf hört? Fraglich.

Manche Politiker der Region zwingt die Entwicklung derweil zu schwierigen Balanceakten, wie etwa das Beispiel des irakischen Premiers zeigt. Adil Abd al-Mahdi beklagte einerseits wortreich den Tod von Soleimani und verurteilte die "sündhafte Aggression" der USA scharf, die Iraks Souveränität verletzte. Natürlich hat Washington Bagdad weder informiert noch Zustimmung für den Schlag eingeholt.

Andererseits weiß Mahdi, welche Gefahr jener sofortige Abzug aller US-Kräfte bedeuten würde, für den das Parlament am Sonntag in einer Resolution stimmte. Schon am Wochenende hat die internationale Militärkoalition gegen den IS ihre Aktivitäten im Irak vorübergehend eingestellt. Ein Ende der Mission könnte die Dschihadisten ermutigen, einen neuen Anfang für ihr Pseudokalifat zu wagen: Wenn nun die 5200 US-Soldaten mit ihren Aufklärungskapazitäten und ihrer Feuerkraft aus der Luft abziehen, wären die irakischen Sicherheitskräfte ein gut auszurechnender Gegner. Und im Nachbarland Syrien drohte dann ein neues Machtvakuum, das der IS nutzen könnte: Die US-Präsenz in den Kurdengebieten im Nordosten des Landes ließe sich ohne Logistik aus dem Irak kaum aufrechterhalten.

Aber auch Teheran würde die Gelegenheit nutzen, seinen bereits immensen Einfluss im Irak auszubauen. Bemühungen, zur Bekämpfung des IS aufgestellte Milizen unter Kontrolle der Regierung zu bringen - wie etwa Kataib Hisbollah, deren Führer Abu Mahdi al-Muhandis neben Soleimani getötet wurde - wären wohl obsolet. Und künftige Regierungen in Bagdad damit noch schwächer als Mahdis, der nach dessen Rücktrittsgesuch von Dezember ohnehin nur provisorisch im Amt ist.

Und so unterstützte der Premier die Forderung nach einem Ende der US-Präsenz im Land zwar rhetorisch, um beim proiranischen Lager zu punkten. Gleichzeitig hat er wohl keine Intention, sie umzusetzen: Die Resolution der Abgeordneten ist für die Regierung nicht bindend, die US-Truppen kamen 2014 auf Einladung des Kabinetts zum Anti-IS-Kampf zurück, nicht auf Geheiß des Parlaments. US-Verteidigungsminister Mark Esper dementierte am späten Montagabend, dass die USA einen Abzug aus Irak planten. Zuvor war ein - nicht unterschriebener - Brief des kommandierenden US-Brigadegenerals im Irak bekanntgeworden, in dem von Vorbereitungen für einen Abzug der Koalitionstruppen aus dem Irak die Rede war. Der unlösbare Widerspruch bleibt ohnehin bestehen: Nach der Tötung Soleimanis geht es im Irak wie in der Region nicht mehr mit den US-Truppen - aber auch nicht wirklich ohne sie.

© SZ vom 07.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGetöteter iranischer General
:Drohungen und Gebete

In Washington sitzt ein impulsiver Ignorant, in Teheran ein betonharter Theokrat. Donald Trump, Ajatollah Ali Chamenei - und die erschreckende Erwartbarkeit einer Eskalation.

Von Paul-Anton Krüger und Hubert Wetzel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: