Süddeutsche Zeitung

Irak:Schwarzer Sonntag

Nach dem Rücktritt des Regierungschefs gehen die Massenproteste im Irak weiter. Das Parlament sucht einen Weg aus der politischen Krise.

Von Paul-Anton Krüger

Im Irak hat das Parlament am Sonntag das Rücktrittsgesuch von Ministerpräsident Adil Abd al-Mahdi angenommen. Das Parlament werde Präsident Barham Salih bitten, einen Nachfolger zu bestimmen, berichtete das irakische Staatsfernsehen. Die Massenproteste gingen indes weiter. Sicherheitskräfte erschossen am Sonntag in der Hauptstadt Bagdad einen Mann mit scharfer Munition, als sie versuchten, die Demonstranten davon abzuhalten, Betonsperren zu überwinden und zum Parlamentsgebäude in der sogenannten Grünen Zone vorzudringen. Diese ist zwar stark gesichert, es war Demonstranten in der Vergangenheit aber mehrmals gelungen, in die Zone einzudringen. Am Samstag wurden in Bagdad drei Menschen getötet und mehr als 60 verletzt.

Auch in der südirakischen Öl-Stadt Basra gingen Menschen auf die Straße. Sie trugen schwarze Kleidung als Zeichen der Trauer um die Demonstranten, die in der vergangenen Woche bei gewaltsamen Auseinandersetzungen in Nadschaf und der südirakischen Stadt Nasirijah getötet worden waren. Dort steckten Stammeskämpfer die Polizeistation in Brand. Sie verlangten, dass die Verantwortlichen eines Massakers am Donnerstag zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Sondereinheit des Innenministeriums und Angehörige von mit Iran verbündeten Milizen hatten mit scharfer Munition auf Demonstranten gefeuert, die zwei Brücken besetzt hielten. Dabei töteten sie mehr als 40 Menschen.

Stammesführer haben ausdrücklich mit Iran verbündete Milizen für die Gewalt verantwortlich gemacht. Weithin sehen die Demonstranten - überwiegend Schiiten - den Druck des schiitischen Regimes als Ursache für das brutale Vorgehen des Sicherheitsapparates und der Milizen. Iran hatte jüngst Proteste im eigenen Land ebenso gewaltsam niedergeschlagen. Die von den Revolutionsgarden kontrollierte Hisbollah in Libanon attackierte ebenfalls Zeltlager der dortigen Protestbewegung.

Iran hat deutlich gemacht, dass es eine Regierung unter der Führung Sadrs nicht akzeptieren werde

Offen ist, ob das Parlament einen Weg aus der tiefsten politischen Krise des Landes seit dem Vorrücken der Terrormiliz Islamischer Staat im Sommer 2014 finden kann. Nach den irakischen Gesetzen bleibt Mahdis Regierung für zunächst 30 Tage geschäftsführend im Amt. Sie kann nun aber keine wichtigen Entscheidungen mehr treffen oder Gesetze erlassen. Präsident Salih würde dann üblicherweise dem stärksten Block im Parlament den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Allerdings ist schon umstritten, ob dabei Koalitionen zu berücksichtigen sind oder die stärkste Fraktion das Recht für sich beanspruchen kann.

Die stärkste Fraktion ist die Allianz des populistischen Schiiten-Predigers Moqtada al-Sadr, der auch die Kommunisten und kleinere weltlich orientierte Parteien angehören. Mit 58 von 329 Sitzen ist sie aber auf mehrere Partner angewiesen. Nach den Wahlen im Mai 2018 führte das zu einem monatelangen politischen Stillstand. Auf starken iranischen Druck hin hatte Sadr sich schließlich mit der zweitstärksten Kraft, der von Hadi al-Ameri geführten Fatah-Liste, auf den Kompromisskandidaten Mahdi geeinigt. Ameri ist ein populärer Milizenführer, der enge Verbindungen zu Iran unterhält.

Offen ist nun, ob es gelingt, eine Mehrheitsregierung mit Hausmacht im Parlament zu bilden, oder ob es erneut nur für eine Einheitsregierung reicht. Als möglicher Ausweg gilt ein Technokraten-Kabinett. Iran hat deutlich gemacht, dass es eine Regierung unter Führung der Sadristen-Allianz nicht akzeptieren werde. Sadr lehnt Irans starke Präsenz im Irak ab, seine Anhänger tragen die Proteste vor allem in Bagdad.

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SZ vom 02.12.2019
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