Süddeutsche Zeitung

Ex-Geheimdienstchef:Mustafa al-Kadhimi neuer Premier im Irak

Der schiitische Politiker wird damit Nachfolger des schon im vergangenen Jahr nach Massenprotesten zurückgetretenen Regierungschefs Adil Abdul Mahdi.

Nach einem monatelangen Machtkampf hat das irakische Parlament inmitten einer schweren innenpolitischen Krise einer neuen Regierung zugestimmt. Neuer Ministerpräsident ist Ex-Geheimdienstchef Mustafa al-Kadhimi. Eine Mehrheit der 266 anwesenden Abgeordneten sprach dem schiitischen Politiker am Donnerstagmorgen (Ortszeit) das Vertrauen aus, wie irakische Medien übereinstimmend meldeten. Der 53-Jährige ist Nachfolger von Adil Abdul Mahdi, der im vergangenen Jahr nach wochenlangen Massenprotesten gegen die politische Elite und die schlechte Wirtschaftslage seinen Rücktritt erklärt hatte.

Al-Kadhimi gilt als Kompromisskandidat. Er rang bis kurz vor Beginn der Abstimmung mit den politischen Blöcken um die Besetzung hoher Posten. Der Start der Sitzung musste mehrfach verschoben werden. Einige wichtige Ämter konnte al-Kadhimi dennoch vorerst nicht besetzen, darunter die des Außen- und des Ölministers. Über sie wird später abgestimmt. Fünf weitere Kandidaten erhielten im Parlament keine Mehrheit, so dass zunächst sieben Ministerposten frei bleiben. Über Twitter erklärte al-Kadhimi, er habe sich um die besten Kandidaten bemüht. In seiner Rede vor dem Parlament kündigte er an, seine Regierung werde Neuwahlen vorbereiten, wie irakische Medien meldeten.

Der Irak erlebt seit Monaten eine schwere innenpolitische Krise. Vor al-Kadhimi war es zwei mit der Regierungsbildung beauftragten Politikern nicht gelungen, eine Mehrheit zu finden. Verschärft wird die Krise durch die Corona-Pandemie und den niedrigen Ölpreis, von dem die Einnahmen des Landes zum allergrößten Teil abhängen. Im Irak ist die Macht nach einem Proporzsystem unter den verschiedenen Gruppen aufgeteilt: Schiiten, Sunniten und Kurden. Kritiker sehen in diesem Proporzsystem, nach dem auch die Ministerien aufgeteilt werden, jedoch eine der Hauptursachen für die im Irak sehr weit verbreitete Korruption.

Viele Gebiete im Norden und Westen des Landes sind zerstört

Die Schiiten bilden die Mehrheit im Land. Die schiitischen Blöcke hatten bei der Parlamentswahl vor etwa zwei Jahren auch die meisten Stimmen gewonnen. Viele von ihnen pflegen enge Kontakte zum schiitischen Nachbarn Iran und verlangen einen Abzug der US-Truppen, die im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak stationiert sind. Auch auf al-Kadhimi lastet der Druck, diesen Abzug umzusetzen, für den das Parlament im Frühjahr gestimmt hatte. Dabei droht auch eine Eskalation des Konflikts zwischen den einflussreichen Teheran-treuen Milizen des Landes und den USA.

In den vergangenen Wochen waren mehrfach Militärstützpunkte, die die US-Armee nutzt, mit Raketen beschossen worden. Washington macht dafür Iran-treue Milizen verantwortlich und drohte mit einem Gegenschlag. Am Mittwoch schlugen drei Katjuscha-Raketen in der Nähe des Bagdader Flughafens ein, wie die Armee mitteilte. Dabei entstand kein Schaden. Der Irak leidet zudem weiterhin unter dem mehrjährigen Kampf gegen die IS-Terrormiliz. Viele Gebiete im Norden und Westen des Landes sind zerstört und bislang nicht wiederaufgebaut worden. Zuletzt häuften sich Meldungen über neue Angriffe von IS-Extremisten. Der IS hatte im Sommer 2014 große Gebiete im Irak überrannt. Mittlerweile sind die Extremisten militärisch besiegt, Zellen sind aber weiter aktiv.

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