Irak:In Teherans Dunstkreis

Irak: Teilt mit Nachbar Iran den schiitischen Glauben, lehnt Einmischung aber ab: Wahlgewinner Muqtada al-Sadr der Mullahs, hier auf einem Poster.

Teilt mit Nachbar Iran den schiitischen Glauben, lehnt Einmischung aber ab: Wahlgewinner Muqtada al-Sadr der Mullahs, hier auf einem Poster.

(Foto: Ahmad Al-Rubaye/AFP)

Der Irak hat seit letzter Woche einen neuen Regierungschef und Präsidenten - der brutale innerschiitische Machtkampf scheint beigelegt zu sein. Doch Iran wird kaum auf seine Interessen im Nachbarland verzichten.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Die Sitzung des irakischen Parlaments sollte ein historischer Moment werden. 269 der 329 gewählten Parlamentarier trafen in der vergangenen Woche in Bagdad zusammen, um das Abgleiten des Landes in einen Bürgerkrieg zu verhindern. Stoisch gingen sie Punkt für Punkt der Tagesordnung durch und wählten im vierten Anlauf den Kurden Abdul Latif Raschid zum Präsidenten. Das zeremonielle Amt steht traditionell einem Vertreter der im Norden lebenden ethnischen Minderheit zu. Abdul Latif setzte sich knapp gegen den bisherigen Amtsinhaber Barham Salhi durch.

Irak: Der frisch gewählte irakische Präsident Abdul Latif Raschid bei seiner Amtseinführung in Bagdad.

Der frisch gewählte irakische Präsident Abdul Latif Raschid bei seiner Amtseinführung in Bagdad.

(Foto: Ahmad Al-Rubaye/AFP)

Dass die Abstimmung im schwer gesicherten Parlament zwar verschoben wurde, aber dann ohne Unterbrechung ablief, war die eigentliche Sensation des Tages. Denn rund um das Gebäude in der von Mauern geschützten "Grünen Zone" schlugen mindestens neun Raketen ein. Fünf Menschen wurden verletzt. Bisher bekannte sich niemand zu dem Anschlag, doch klar ist, wer die Wahl des Präsidenten konsequent ablehnt. Das schwer bewachte Regierungs- und Diplomatenviertel war in den letzten Monaten mehrmals von Anhängern des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr gestürmt worden. Dessen Bewegung teilt mit dem Nachbarland Iran zwar den schiitischen Glauben, aber lehnt die Einmischung der Mullahs in die irakische Politik ab.

Der Wahlgewinner konnte keine Regierung bilden

Al-Sadrs Partei hatte die Wahlen als stärkste Kraft gewonnen, konnte wegen des Widerstands mehrerer pro-iranischer Parteien jedoch keine Regierung formen. Nachdem al-Sadr seinen Premierministerkandidaten nicht mit politischen Mitteln durchsetzen konnte, zog er sich im Sommer in seine ursprüngliche Rolle als Religionsgelehrter und aus der Öffentlichkeit zurück. Seine Kritiker glauben, er wollte sich mit diesem Schachzug der Verantwortung für die kurz danach erfolgte Erstürmung der grünen Zone durch seine Anhänger entziehen.

Trotz vieler Opfer unter den Sicherheitskräften und Demonstranten bei den Kämpfen rund um das Parlament blieben auch al-Sadrs Gegner kompromisslos. Der sogenannte Koordinationsrahmen, ein Bündnis pro-iranischer Parteien, hat die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich und nominierte Mohamed Schia al-Sudani für das Amt des Premierministers. Der 52-Jährige ist zwar in Teheran beliebt, wird allerdings von den Sadristen und der Mehrheit der nicht-schiitischen Iraner abgelehnt.

Wartet Al Sadr auf eine zweite Chance durch die Schwäche der anderen?

Beobachter vermuten, dass al-Sadr aufgrund der landesweiten Proteste in Iran nicht mehr auf Gewalt setzt, sondern einfach abwartet, bis sich das pro-iranische Parteienbündnis mangels Unterstützung aus Teheran auflöst.

Doch bisher gibt es dafür kein Anzeichen. Die wichtigste Aufgabe des irakischen Präsidenten ist es, den Regierungschef zu bestimmen. Wenige Minuten nach seiner Wahl beauftragte Abdul Latif Raschid den parteilosen Mohamed al-Sudani mit der Regierungsbildung. Dieser hat dafür nun einen Monat Zeit und versprach den von den Raketenangriffen sichtlich verstörten Abgeordneten, nur Minister zu ernennen, die ihrer Verantwortung tatsächlich gerecht würden.

Irak: Wurde mit der schwierigen Regierungsbildung beauftragt: der parteilose Mohamed al-Sudani.

Wurde mit der schwierigen Regierungsbildung beauftragt: der parteilose Mohamed al-Sudani.

(Foto: Irakisches Parlament/AFP)

Doch hinter den Kulissen des formalen Endes der Krise rumort es gehörig. Für die irakisch-nationale Sadristen-Bewegung ist es weiterhin inakzeptabel, dass Iran hörige Parteien die Zukunft des Landes gestalten. Vertreter der sunnitischen und kurdischen Minderheit halten sich aus dem Machtkampf offiziell heraus. Sie stehen sowohl dem eigenwilligen al-Sadr als auch Teheran kritisch gegenüber. Das aktuelle zynische Machtkalkül der Mullahs erinnert viele Iraker allerdings an den blutigen irakisch-iranischen Krieg in den Achtzigerjahren.

Kann auch al-Sudani keine Regierung formen, drohen Neuwahlen

Sollte al-Sudani keine Parlamentsmehrheit für seine Ministerriege erhalten, drohen eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Aufgrund seiner steigenden Popularität dürfte Al Sadr genau darauf setzen. Doch auch ohne Neuwahlen könnte sich die Stimmung gegen Teheran wenden. Das pro-iranische Koordinierungsnetzwerk verfügt über 138 Parlamentssitze. Weil die 73 Abgeordneten al-Sadrs das Parlament boykottieren, haben dort nun proiranische Milizenführer wie Hasf al-Schaabi das Sagen.

Man werde sich keiner Milizenregierung anschließen, warnte Saleh al-Iraqi, ein Vertrauter al-Sadrs. Gegen die trotz der massiven Wirtschaftskrise untätigen Regierung waren Ende letzten Jahres Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen und von proiranischen Milizen mit scharfer Munition beschossen worden. Das Massaker an Unbewaffneten mit Dutzenden Toten hat die proiranischen Lobbyisten im Irak viel Sympathien gekostet. "Jeder der sich der Arbeit in den Ministerien anschließt, repräsentiert nicht die Iraker, sondern diese Milizen", warnte al-Iraqi.

Doch das iranische Regime kann über den Irak westliche Sanktionen umgehen und wird seine dortigen Ambitionen nicht ohne massiven Widerstand seiner Milizen aufgeben. Die zukünftige Regierung wird über die Verwendung von über 87 Milliarden Dollar entscheiden, die aus dem Verkauf von irakischem Öl und Gas in die Kasse der Zentralbank in Bagdad allein in diesem Jahr geflossen sind.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungFrauen in Iran
:Ihr Mut und unsere Pflicht

Das Besondere an dem feministischen Aufstand in Iran ist, dass sich ihm auch Männer anschließen. Denn es geht bei dem Kampf der Frauen auch um ihre Freiheit. Jetzt ist es Zeit, hier im Westen zu zeigen, was eine feministische Außenpolitik wirklich kann.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: