Irak:Land ohne Hoffnung

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2019 stürzten Massenproteste die Regierung in Bagdad. Nun wählen die Menschen ein neues Parlament. Doch dass sich an der Misere in ihrem Land dadurch etwas ändert, glauben nur wenige.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Wenn die 25 Millionen wahlberechtigten Irakerinnen und Iraker am Sonntag über die 329 Abgeordneten des neuen Parlaments abstimmen, bietet sich ihnen ein breites Spektrum: 3200 Kandidatinnen und Kandidaten aus mehr als 100 Parteien bewerben sich. Die Wahl ist Ausdruck eines weit verbreiteten Wunsches nach einem tiefgreifenden Wandel: Sie war vorgezogen worden nach den Massenprotesten im Herbst 2019, die Premier Adil Abd al-Mahdi zum Rücktritt zwangen, und hätte eigentlich schon im Juni stattfinden sollen.

Die Wut der Demonstranten richtete sich gegen das gesamte als zutiefst korrupt wahrgenommene politische System im Irak. Ämter und Ressourcen werden nach konfessionellem und ethnischem Proporz vergeben - und Politiker sehen ihren Auftrag vor allem darin, ihre eigene Klientel zu bedienen. Muhasasa nennen die Iraker dieses System, das sich nach dem Sturz Saddam Husseins durch die USA etabliert hat, maßgeblich um politische Teilhabe aller Volks-und Religionsgruppen des Landes zu garantieren.

Der Begriff ist längst zum Schimpfwort geworden, zum Synonym für die Selbstbedienungsmentalität der politischen Klasse. Millionen Iraker dagegen haben im Hochsommer bei Temperaturen jenseits der 50 Grad allenfalls stundenweise Strom, die Klimaanlagen fallen aus. An vielen Orten gibt es kein sauberes Trinkwasser und auch sonst kaum eine Grundversorgung durch den Staat, in dessen Verwaltung Milliarden aus dem Ölgeschäft versickern.

Doch dass sich daran grundlegend etwas ändern könnte, wagen nur wenige zu hoffen. Ein neues Wahlrecht soll es zwar lokalen Bewerbern einfacher machen, einen Sitz zu ergattern; mindestens ein Viertel der Mandate geht an Frauen, zudem sind neun Sitze für ethnische und religiöse Minderheiten reserviert. Dennoch hat ein Teil der Aktivisten, die 2019 die Proteste organisiert hatten, zum Boykott aufgerufen, und viele Irakerinnen und Iraker sind ohnehin desillusioniert. Lag die Wahlbeteiligung 2018 schon bei nur 44,5 Prozent, dürfte sie diesmal noch niedriger ausfallen.

Ex-Geheimdienstchef will eine weitere Amtszeit

Wie die meisten Experten vermuten die Menschen, dass die Abstimmung nur die alte Ordnung mit den bislang dominierenden Blöcken ein weiteres Mal bestätigt. Die Abgeordneten wählen den Präsidenten, ein überwiegend repräsentatives Amt, das traditionell an einen Kurden geht. Politisch wesentlich bedeutender ist, dass sie den Premierminister und sein Kabinett bestätigen müssen.

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Der Posten des Regierungschefs geht normalerweise an einen Schiiten - etwa 60 Prozent der Iraker gehören dieser muslimischen Glaubensrichtung an. Der Anteil von Sunniten wird mit etwa 35 Prozent angegeben, wobei darunter auch ein Großteil der Kurden fällt, die wiederum als Volksgruppe eine eigene politische Repräsentation beanspruchen. Der arabisch-sunnitische Block ist somit deutlich kleiner und wurde bislang mit dem Amt des Parlamentspräsidenten bedient.

Interimspremier Mustafa al-Kadhimi, ehemals Geheimdienstchef, versucht sich eine weitere Amtszeit zu sichern. Er setzte dabei zuletzt darauf, die externen Mächte für sich einzunehmen, die im Irak mitreden - vor allem das Nachbarland Iran, die USA und die sunnitischen Golfstaaten mit Saudi-Arabien als Führungsmacht.

Der schiitische Block ist indes gespalten. Stärkste Kraft beim Wahlgang 2018 war die Wahlliste des Predigers Muqtada al-Sadr, der Anhänger vor allem in den ärmeren Schichten der Bevölkerung findet. Er lehnt die US-Militärpräsenz ebenso ab, wie den starken Einfluss Teherans und gibt sich, obwohl seit Jahren über Gefolgsleute in der Regierung vertreten, als Gegner des Establishments. Er hofft nun, seine Stellung so ausbauen zu können, dass er den Premier benennen kann - er könnte Kadhimi unterstützen.

Iran mischt bei der Wahl kräftig mit

Wichtigste Konkurrenten sind Kandidaten der Parteien, hinter denen schwer bewaffnete schiitische Milizen stehen, von denen die wichtigsten von Iran unterstützt oder von den Revolutionsgarden gesteuert werden, unter ihnen die Badr-Organisation und Asa'ib Ahl al-Haq. Letztgenannte Gruppe wird für Angriffe auf US-Truppen im Irak verantwortlich gemacht. Sie lehnt eine Wiederwahl Kadhimis ab, der auch mit den USA kooperiert und einen Parlamentsbeschluss nicht umgesetzt hat, der den Abzug aller ausländischen Truppen verlangt. Sie haben aber gezeigt, dass sie ihre Waffen einsetzen, um ihre Macht zu verteidigen: Hunderte gezielte Tötungen von Aktivisten sollen auf ihr Konto gehen.

Daneben gibt es noch weitere schiitische Parteien, etwa des früheren Regierungschefs Nuri al-Maliki. Der sunnitische Block um Parlamentspräsident Mohammed al-Halbusi und auch die bisher stärkste kurdische Fraktion können sich eine zweite Amtszeit für Kadhimi vorstellen. Wahrscheinlich ist aber, dass nach der Wahl das Parlament weiter stark fragmentiert ist und ein langes Ringen um eine Regierungsbildung folgt - an deren Ende wieder ein Kabinett nach dem Muhasasa-Modell steht.

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