Parlamentswahl:Iraker rechnen mit ihrem System ab

Parlamentswahl: Auf dem Tahrir-Platz in Bagdad jubeln die Anhänger des Schiiten-Predigers Moqtada al-Sadr.

Auf dem Tahrir-Platz in Bagdad jubeln die Anhänger des Schiiten-Predigers Moqtada al-Sadr.

(Foto: AP)
  • Überraschend gewinnt der populistisch-nationalistisch auftretende Schiiten-Prediger Moqtada al-Sadr die Parlamentswahl im Irak. Für die Regierungsbildung wird er aber Verbündete brauchen.
  • Nach dem Einmarsch der Amerikaner im Irak 2003 kämpfte Sadr mit seiner Miliz und iranischer Unterstützung lange erbittert gegen US-Truppen.
  • Er hat neben seiner traditionellen schiitischen Basis offenkundig auch viele arme und der Korruption überdrüssige Wähler mobilisiert.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die Iraker haben bei der Parlamentswahl am Samstag auf doppelte Weise mit der bislang herrschenden Politiker-Kaste und dem durch Korruption zerfressenen Regierungssystem abgerechnet: Viele entscheiden sich für einen Wahlboykott, so dass die Beteiligung von 62 Prozent auf 44,2 Prozent fiel. Und jene, die zur Wahl gingen, verhalfen dem populistisch-nationalistisch auftretenden Schiiten-Prediger Moqtada al-Sadr zu einem überraschenden Wahlsieg.

Sadr war eine für arabische Staaten und erst recht für den Irak erstaunliche Allianz eingegangen: seine an sich religiös geprägte Bewegung schloss sich mit den weltlich geprägten Kommunisten und liberalen Parteien zuammen. Sie setzen sich alle dafür ein, das bisherige informelle Quotensystem abzuschaffen, nach dem im Irak bislang Posten und Geld auf die Religions- und Volksgruppen verteilt wurden - besser gesagt an die politischen Parteien der jeweiligen Gruppen und deren Führer. Zugleich hat Sadr gegen den iranischen Einfluss im Irak Front gemacht. Sein Wahlsieg zeigt damit auch die Spaltung im schiitischen Lager. Im Irak zählen etwa zwei Drittel der Bevölkerung zu den Schiiten, ein Drittel zu den Sunniten.

Sadr ist Königsmacher, er braucht aber mehrere Verbündete

Auf Platz zwei liegt nach derzeitigem Stand der Auszählung der Milizenführer Hadi el-Ameri, der enge Verbindungen nach Teheran hat, aber zuletzt auch die Nähe der Amerikaner suchte. Er verdankt seine Popularität seiner Rolle als Chef der Badr-Organisation. Sie ist eine der größten schiitischen Milizen im Irak, die zusammen mit anderen ähnlichen Gruppen eine zentrale Rolle beim Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gespielt haben. Auf seiner Fatah-Liste kandidierten allerdings auch sunnitische Politiker, es gibt auch sunnitische Milizen unter dem Dach der sogenannten Volksmobilisierungseinheiten.

Es muss sich erst noch zeigen, ob der schiitische Iran nach der Kündigung des Atomabkommens durch US-Präsident Donald Trump nun versucht, auf Konfrontation zu setzen und in Bagdad eine Regierung nach den Wünschen der Islamischen Republik zu installieren - und ob Ameri dafür zu gewinnen ist.

Der bisherige Premierminister Haidar al-Abadi, der sein Amt einem unausgesprochenen Kompromiss zwischen Iran und den USA zu verdanken hatte, lag nach Auszählung von zehn Provinzen, darunter mit Bagdad und Basra die wichtigsten, nur auf Platz drei.

Allerdings kommt Wahlsieger Sadr im Parlament bislang auf 54 Sitze - von insgesamt 329. Er ist damit zwar Königsmacher, braucht aber mehrere Verbündete, um eine Regierung bilden zu können. Er selbst wird dieser nicht angehören. Er hat immer wieder ein Technokraten-Kabinett gefordert, das nicht am Proporz der Religions- und Volksgruppen orientiert ist, sondern allein an der Qualifikation seiner Mitglieder. Es läuft jetzt eine Frist von 90 Tagen zur Regierungsbildung und der Wahl eines Premierministers durch das Parlament.

Sadr hat neben seiner traditionellen schiitischen Basis offenkundig auch viele Arme mobilisieren können und Menschen, die der Korruption überdrüssig sind. Seine Anhänger haben sich seit 2015 regelmäßig an Protesten im Irak beteiligt, die zunächst von weltlichen und liberalen Parteien getragen wurden. Sadrs Anhänger stürmten dabei mehrmals die Grüne Zone in Bagdad, das schwer bewachte und abgesperrte Regierungsviertel.

Sadr hat zugleich die Nähe der einflussreichen Großayatollahs in Najaf gesucht, die innerhalb des Schiitentums traditionell ein Gegengewicht zu Iran bilden. Sie lehnen mehrheitlich das politische System der Islamischen Republik ab, das nach der Ideologie von Ayatollah Ruholla Chomeini auf der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten basiert; dieses Amt hat seit Chomeinis Tod Ali Chamenei inne.

Kämpfte Sadr nach dem Einmarsch der Amerikaner im Irak 2003 mit seiner Miliz und iranischer Unterstützung lange erbittert gegen die US-Truppen, reiste er vergangenen Sommer zu einem Treffen mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman nach Riad. Es war ein spektakuläres Comeback der sunnitischen Führungsmacht auf dem politischen Spielfeld des lange vom Erzfeind Iran dominierten Irak.

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