Süddeutsche Zeitung

Irak nach Abzug der US-Truppen:Neuer Kampf um die Macht in Bagdad

Nach dem Abzug der USA flammt in Irak der Konflikt zwischen den Religionsgruppen auf: Der schiitische Ministerpräsident Maliki bezichtigt den sunnitischen Vizepräsidenten Hashimi eine terroristische Vereinigung unterhalten zu haben. Der floh vor der Festnahme und hofft nun auf die Hilfe des kurdischen Staatschefs Talabani. Sollte die Regierung zerbrechen, droht ein Bürgerkrieg.

Tomas Avenarius

Unmittelbar nach dem Abzug der US-Armee aus Irak geraten die verfeindeten Religionsgruppen des Landes aneinander. Ausgelöst hat die schwerste innenpolitische Krise der letzten Jahre Ministerpräsident Nuri al-Maliki: Der Schiit bezichtigt den sunnitischen Vizepräsidenten Tariq al-Hashimi, eine terroristische Todesschwadron unterhalten zu haben.

Gegen Hashimi wurde Haftbefehl erlassen, er setzte sich ins Kurdengebiet ab und hofft dort auf den Schutz des Staatspräsidenten Dschalal Talabani, der Kurde ist. Der Versuch einer Versöhnung in Irak sei gescheitert. "Dafür mache ich Maliki verantwortlich", sagte Hashimi. Washington zeigte sich besorgt über die aufflammende Krise.

Maliki drohte zudem, sein Amt aufzugeben, wenn sein sunnitischer Stellvertreter Saleh al-Mutlaq nicht entlassen werde. Mutlaq hatte Maliki mit dem Diktator Saddam Hussein verglichen, der 2003 vom US-Militär gestürzt worden war. Der Haftbefehl gegen Vizepräsident Hashimi kam ebenso überraschend wie Malikis Rücktrittsdrohung.

Die US-Regierung hatte anlässlich des Abzugs ihrer Truppen am Wochenende ausdrücklich die Stabilität im Land gepriesen. Die Vorwürfe gegen Hashimi lassen sich kaum prüfen: Regierungschef Maliki ist auch Innenminister; er kontrolliert alle Sicherheitsbehörden. Die Vorwürfe gegen den Vizepräsidenten beruhen auf angeblichen Geständnissen seiner Leibwächter. Hashimi soll sie für Attentate auf Schiiten bezahlt haben. Ähnliche Vorwürfe wurden früher schon gegen Malikis Stellvertreter Mutlaq erhoben.

Vizepräsident Hashimi setzte sich in das autonome Kurdengebiet in Nordirak ab. Er habe "keine einzige Sünde begangen", sagte Hashimi. Er könne dies vor Gericht beweisen. Er werde dies aber nur im Kurdengebiet tun.

Die Sunniten hatten während der Diktatur die Hausmacht Saddam Husseins gebildet. Sie waren nach der US-Invasion von der Bevölkerungsmehrheit der Schiiten aber marginalisiert worden. Nach der Parlamentswahl 2010 waren Sunniten und Säkulare erst nach monatelangen Verhandlungen einem schiitisch dominierten Kabinett unter Führung Malikis beigetreten. Bei der Wahl selbst hatten Sunniten und Säkulare mit ihrer Iraqiya-Partei hervorragend abgeschnitten. Maliki hat es aber verstanden, ihnen bis heute eine wirkliche Teilhabe an der Macht zu verwehren.

Sollte Malikis schiitisch-sunnitisch-kurdische Regierung zerbrechen, könnte die Gewalt zwischen den muslimischen Religionsgruppen schnell wieder aufflammen: Nach der US-Invasion von 2003 und dem Sturz von Saddam Hussein hatte der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten Irak bereits an den Rand des Bürgerkriegs gebracht.

Irans Einfluss auf Irak ist größer geworden

Auch für Washington ist die Bagdader Regierungskrise ein schwerer Rückschlag. Die USA hatten den Eindruck erweckt, nach dem neunjährigen Irak-Krieg halbwegs geordnete Verhältnisse hinterlassen zu haben. Die Sunniten hatten anfangs den Untergrundkrieg gegen die US-Armee getragen, sich aber später auf die Seite der Amerikaner geschlagen. Der Schiit Maliki hingegen gilt als pro-iranisch. Unter seiner Regierung ist der Einfluss Teherans in Irak größer geworden. Maliki steht zudem in einer Koalition mit dem radikalen Schiitenprediger Muktada al-Sadr, der ebenfalls als Mann der Iraner gilt.

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SZ vom 21.12.2011/mane
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