Süddeutsche Zeitung

Irak:Der Ayatollah hat gesprochen

  • Iraks Premierminister Adil Abdul al-Mahdi tritt zurück.
  • Der frühere Ölminister hatte zwar Reformen angekündigt, konnte aber die Bevölkerung nicht zufriedenstellen.
  • Zuletzt war es zu immer größeren Demonstrationen gegen die Regierung gekommen.

Von Paul-Anton Krüger

Das äußerst brutale Vorgehen der irakischen Sicherheitsbehörden gegen regierungskritische Demonstranten in den vergangenen Tagen zwingt Premier Adil Abdul al-Mahdi zum Rücktritt. Er werde ihn noch am Freitag beim Parlament einreichen, sagte der 77-Jährige in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede. Damit wolle er verhindern, dass das Land in weitere Gewalt und Chaos abgleite, sagte der Premier, der als Kompromisskandidat zwischen proiranischen und prowestlichen Fraktionen ins Amt gekommen war. Der frühere Ölminister hatte zwar Reformen angekündigt, konnte aber die Bevölkerung nicht zufriedenstellen und beugte sich zuletzt dem Druck Irans und mächtiger proiranischer Milizen, hart gegen die Demonstranten vorzugehen.

Al-Mahdis Rücktritt war unausweichlich geworden, nachdem der wichtigste schiitische Kleriker im Irak sich gegen ihn gestellt hatte, Großayatollah Ali al-Sistani. Mit Blick auf Mahdi und dessen Kabinett sagte er in seiner Freitagspredigt, das Parlament sei "eingeladen, seine Wahl zu überdenken". Sistani, 89, der zurückgezogen in der heiligen Stadt Nadschaf lebt, hat im Irak Millionen Anhänger und konnte etwa mit einer Fatwa zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat Hunderttausende Iraker mobilisieren.

Sistani hatte sich schon zuvor auf die Seite der Demonstranten gestellt und deren Forderungen als berechtigt bezeichnet. Er warnte am Freitag eindringlich vor einem neuen Bürgerkrieg im Irak und forderte die Regierung auf, die Gewalt gegen die Demonstranten zu stoppen; diese müssten sich aber ebenfalls jeder Form von Gewalt enthalten und "Vandalen" aus ihren Reihen verstoßen, verlangte er. Sistani steht Irans Präsenz im Irak kritisch gegenüber und lehnt das politische System der Islamischen Republik ab, also das Prinzip der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten.

Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und den Protestierenden waren von Mittwoch bis Freitagmittag mindestens 62 Menschen getötet worden. Damit stieg die Zahl der Opfer seit Beginn der Proteste Anfang Oktober auf mehr als 400, Tausende Iraker wurden teils schwer verletzt.

Am Donnerstag hatte eine Einheit der paramilitärischen Krisenreaktionskräfte des Innenministeriums in der Stadt Nasiriah im Südirak, dem Geburtsort von Premier al-Mahdi, mit scharfer Munition auf Demonstranten gefeuert und Dutzende Menschen getötet. Auch in der Hauptstadt Bagdad starben mehrere Menschen, ebenso in Nadschaf, wo ein Mob am Mittwoch das iranische Konsulat niedergebrannt hatte.

Der Irak steht nun vor einer Phase der Ungewissheit mitten in der tiefsten politischen Krise seit dem militärischen Sieg gegen den "Islamischen Staat" (IS) vor zwei Jahren. Allerdings verlaufen die Konfliktlinien diesmal zumindest bislang nicht zwischen den konfessionellen und ethnischen Gruppen. Schwerpunkt der Proteste ist der überwiegend von Schiiten bewohnte und verarmte Süden des Landes, die Menschen dort richten sich gegen die von Schiiten kontrollierte Zentralregierung in Bagdad, die ihnen als korrupt und inkompetent gilt. Auch richten sich die Proteste zunehmend gegen die Präsenz und den Einfluss Irans im Land.

Das Regime in Teheran hatte die Regierungsbildung massiv beeinflusst. General Qassim Soleimani, der Kommandeur der für Auslandseinsätze zuständigen Quds-Brigaden der Revolutionsgarden, hatte sich persönlich eingeschaltet. Er leitete nach Ausbruch der Proteste auch anstatt des Premiers eine Sitzung des irakischen Sicherheitskabinetts. Zu Beginn der Proteste hatten viele Demonstranten von Iran kontrollierte Milizen für Angriffe verantwortlich gemacht. Vermummte hatten von Dächern mit scharfer Munition in die Menge gefeuert und Dutzende unbewaffnete Protestierende getötet und verletzt, eine Taktik, die auch der iranische Sicherheitsapparat bei der Niederschlagung der Proteste dort eingesetzt hatte.

Al-Mahdi hatte bereits vor Wochen seinen Rücktritt angeboten, ihn aber auch auf iranischen Druck hin an die Bedingung geknüpft, das Parlament müsse sich auf einen Nachfolger einigen, was proiranische Fraktionen blockierten. Nun stehen die 329 Abgeordneten vor der schwierigen Aufgabe, sich trotz der Zersplitterung des Parlaments in zehn Fraktionen und mehr als 50 Unabhängige und über fundamentale Differenzen hinweg auf einen neuen Premier zu verständigen. Erschwert wird dies dadurch, dass kein Lager eine Mehrheit hat und die Fraktionen auf eine ganze Reihe von Partnern angewiesen sind - was wiederum Klientelwirtschaft begünstigt.

Die Abgeordneten des populistischen Schiiten-Predigers Muktada al-Sadr, im Parlament die stärkste Gruppe, hatten Mahdi als Premier mitgetragen. Sadr unterstützte jetzt aber die Proteste, seine Anhänger sind maßgeblich daran beteiligt. Er war ein Bündnis mit den Kommunisten und säkularen Parteien eingegangen und strebte nach der Wahl 2018 eine Technokratenregierung an. Iran lehnte das ab. Sadr will Iran ebenso aus dem Irak vertreiben wie die USA.

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SZ vom 30.11.2019/mkoh
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