Irak-Krise:Maliki hatte seine Chance

Protest in Baghdad

Ein Religionskrieg könnte den Irak in Stücke reißen: Bewaffnete Männer bei einer Demonstration in Bagdad am 16. Juni 2014.

(Foto: dpa)

Seit acht Jahren regiert der Schiit Nuri al-Maliki als Ministerpräsident den Irak. Er ist ein Geschöpf der Amerikaner und Iraner, sollte Sunniten, Schiiten und Kurden miteinander versöhnen. Doch jetzt wankt sein Staat.

Von Sonja Zekri

Eine der Erkenntnisse, die in diesen Tagen gern wiederholt wird, lautet: Im Irak bricht sich ein historischer Hass zwischen den Konfessionen Bahn. Sunniten, also alte Saddam-Kader und junge Dschihadisten des "Islamischen Staats im Irak und Großsyrien" (Isis), kämpfen gegen Schiiten. Das heißt vor allem: gegen den schiitischen Premier Nuri al-Maliki. Ein Religionskrieg könnte den Irak, die postkolonialen Grenzen, die gesamte politische Architektur des Nahen Ostens in Stücke reißen. Eine weitere Erkenntnis, kaum seltener angeführt, lautet: Ist ja auch kein Wunder, schließlich zwingt kein Diktator mehr die heterogenen Gruppen zusammen.

Das klingt gut, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte funktioniert genau umgekehrt. Oft sind es gerade die Diktatoren, die konfessionelle oder ethnische Rivalitäten ausnutzen, antreiben, verschärfen. Das gilt für das Syrien Baschar al-Assads, das galt für den Irak Saddam Husseins. Und das gilt auch für den Schiiten Maliki, der die Sunniten in die Arme seiner Gegner getrieben hat.

Maliki ist ein Geschöpf der Amerikaner und der Iraner, und doch ist es nicht ausgeschlossen, dass er diese Krise nicht übersteht. Die Extremisten sind weiter auf dem Vormarsch. Barack Obama hat einen Flugzeugträger in die Region geschickt, aber er hat Isis nicht bombardiert, obwohl Maliki ihn darum gebeten hatte. Obama drängt auf eine Regierung der Einheit von Sunniten, Schiiten und Kurden. Der schiitische Gottesstaat Iran wiederum will Einfluss auf die 60 Prozent Schiiten im Irak und eine schöne schiitische Dominanz in der Regierung - mit Maliki oder ohne ihn. Würden Washington und Teheran den Premier fallenlassen, Maliki wäre nicht erstaunt: Misstrauen, ja vielleicht sogar Paranoia ist eine seiner hervorstechenden Eigenschaften.

Er hat Grund dazu wie so viele, die unter nahöstlichen Diktatoren aufgewachsen sind. Nuri Mohammed Hassan al-Maliki wurde am 20. Juni 1950 am Ufer des Euphrat in der Nähe der Stadt Hilla im Süden des Irak in eine Familie schiitischer Aktivisten hineingeboren. Sein Großvater kämpfte gegen die Briten, sein Vater gegen die neue Macht, die Baath-Partei - säkular, aber sunnitisch dominiert -, beide landeten im Gefängnis. Nuri al-Maliki studierte arabische Literatur und kann heute noch vorislamische Klassiker zitieren, heißt es, aber gleichzeitig trat er der schiitisch-islamistischen Geheimorganisation "Dawa" bei und arbeitete an einem islamischen Staat.

Er war keine 30, da erschütterten zwei Ereignisse die Region: Die islamische Revolution im Nachbarland Iran, mit der der Aufstieg Saddam Husseins und das Erwachen der Schia (der zweitgrößten Konfession des Islam) als politischer Kraft begann. Iraks neuer Diktator zementierte die Macht der Sunniten und verfolgte die Schiiten während des Kriegs gegen Iran, aber auch nach einem schiitischen Aufstand im Gefolge des ersten Golfkriegs.

150 000 Menschen ließ Saddam töten, die meisten von ihnen waren Schiiten. Amerika hatte den Aufstand befördert - und dann die Schiiten im Stich gelassen. Nuri al-Maliki lebte da längst im Exil, er war 1979 geflohen. Es heißt, er sei in Anschläge verstrickt gewesen und habe seine Abneigung gegen Amerika gepflegt. Nach dem Fall Saddam Husseins 2003 kehrte er zurück. Aber obwohl die Amerikaner ihn 2006 als Premier unterstützten, hatte er deren Verrat an den Schiiten nicht vergessen.

Die banale Machtgier des Premiers

Dass ausgerechnet er es sein würde, der Washington nun drängt, erneut Soldaten zu schicken (wenn auch nur zur Sicherung der Botschaft in Bagdad), war nicht zu erwarten. Überhaupt ähnelt Malikis Entwicklung sehr den traditionellen Karrieren von Autokraten, die mit Versprechen an alle religiösen, politischen oder ethnischen Mitbewerber beginnen, aber ihre Macht dann doch einzig dazu verwenden, noch mehr Macht zu gewinnen und einstige Weggefährten zu verfolgen.

Nuri al-Maliki

Misstrauen ist eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften: Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki im April 2010.

(Foto: dpa)

Nun, nach dem Sieg seiner Rechtsstaat-Partei bei den Parlamentswahlen im April 2014, fürchten viele Iraker, Maliki könne Ewigkeitsanspruch auf das Amt des Premiers erheben oder, noch schlimmer, seinen schon jetzt mächtigen Sohn Ahmed als Nachfolger einer neuen Dynastie einsetzen.

Noch 2009 hatte Maliki sunnitische Irakija-Mitglieder in die Regierung geholt. Aber die letzten amerikanischen Truppen hatten den Irak noch keinen Tag verlassen, als er bereits einen Haftbefehl gegen Vizepräsident Tarik al-Haschemi ausstellen ließ, den prominentesten sunnitischen Politiker. Haschemi floh und wurde inzwischen in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Das war der Beginn des Aufstiegs von Nuri al-Maliki und vom Niedergang der jungen irakischen Demokratie: Korruption und Vetternwirtschaft unter schiitischen Getreuen verschlangen die wachsenden Öl-Einnahmen von zuletzt 90 Milliarden Dollar im Jahr 2013. Zehntausende sunnitische Männer sind im Gefängnis, klagen Menschenrechtler, auch Frauen werden verschleppt, gefoltert und vergewaltigt.

Die sunnitischen Stämme, die dem Schiiten Maliki und den Amerikanern einst geholfen hatten, al-Qaida zu vertreiben, sahen sich um die Belohnung gebracht. Mehr noch: Proteste der Sunniten in der Provinz Anbar ließ er in den vergangenen Monaten brutal niederschlagen - es gab Hunderte Tote. Schon damals flatterte in Ramadi die schwarze Flagge der radikalen Islamisten. Heute weiß man: Es waren die Monate, in denen der Aufstieg der Isis-Milizen geschmiedet wurde.

Maliki, so schildert der New Yorker, scheint von der Gefahr einer Rückkehr der sunnitischen Baath-Herrschaft besessen zu sein. Aber er hat nicht einmal alle Schiiten auf seiner Seite. Vor allem der Krawall-Prediger und anti-amerikanische Milizenführer Muktada al-Sadr ist ein alter Rivale. 2008, als Sadr sich mit seiner Armee in Basra verschanzt hatte, schickte Maliki seine Armee gegen die Sadr-Männer und zwang die Amerikaner, ihm beizustehen, und Muktada al-Sadr zur Aufgabe.

Sadr gab sich zuletzt als lernbereiter Theologe. Nun aber ruft er Freiwillige auf, die heiligen Stätten der Schiiten in Nadschaf, Kerbala und Samarra zu schützen. Während der Staat wankt, schlägt die Stunde der Milizen. Und natürlich spricht kaum jemand von der banalen Machtgier eines beratungsresistenten Premiers, sondern einzig vom ewigen Ringen der Religionen.

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