Süddeutsche Zeitung

Irak-Krieg:Nichts erreicht, Chaos hinterlassen

Ein Bericht der Regierung zum Irak-Krieg wirft Ex-Premier Blair schwere Versäumnisse vor. Ob das Vorgehen illegal war, bleibt offen.

Von Christian Zaschke, London

Sieben Jahre lang hat John Chilcot gebraucht, um die Umstände des britischen Eintritts in den Irak-Krieg zu untersuchen. An diesem Mittwoch legte er einen Bericht vor, der mehr als zwei Millionen Wörter umfasst. Sein Fazit: Die Regierung des damaligen Premierministers Tony Blair ist im Jahr 2003 voreilig in den Krieg gezogen. Der Feldzug sei schlecht vorbereitet gewesen, die Regierung habe keines ihrer Ziele erreicht und das Land im Chaos hinterlassen. Die Frage, ob der Kriegseintritt möglicherweise illegal war, weil keine eindeutige Resolution der Vereinten Nationen vorlag, beantwortet der Bericht nicht.

Im Jahr 2009 hatte Premierminister Gordon Brown die Untersuchung angeordnet und den ehemaligen Beamten Chilcot damit beauftragt. Ursprünglich war geplant, dass die Ergebnisse nach zwei Jahren vorliegen sollten. Diese Frist wurde wieder und wieder verlängert, weil, wie Chilcot erläuterte, das zu untersuchende Material so umfangreich sei. Kritiker vermuteten, die Untersuchung werde mit Absicht verschleppt, um Tony Blair zu schützen. Sie befürchteten, der Abschlussbericht werde Blair zu gut wegkommen lassen. Diese Befürchtung hat sich nicht erfüllt. Der Bericht kritisiert Blairs Vorgehen deutlich.

Hauptkritikpunkt ist, dass die Suche nach einer friedlichen Lösung nicht intensiv genug betrieben wurde. "Ein militärisches Eingreifen war nicht die ultima ratio", schreibt Chilcot, es habe damals ausreichend andere Möglichkeiten gegeben, mit dem Regime von Saddam Hussein umzugehen. Dass dieser ein Diktator war, der Leid über sein eigenes Volk und die Nachbarstaaten brachte, stellt der Bericht nicht in Abrede. Zudem kommt die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es früher oder später vielleicht nötig geworden wäre, in den Irak einzumarschieren. Im Frühjahr 2003 sei das allerdings nicht der Fall gewesen, man hätte Saddam in Schach halten können.

"Ich bin an deiner Seite, was auch immer geschieht", schrieb Blair 2002 an Bush

Erstmals wurden in dem Bericht persönliche Nachrichten veröffentlicht, die Blair seinerzeit dem US-Präsidenten George W. Bush zukommen ließ. Nach den Anschlägen vom 11. September in den USA warnte Blair den Präsidenten zunächst vor einem "übereilten Eingreifen im Irak". Im April 2002 besuchte Blair Bush in Texas, danach hatte sich seine Haltung verändert. Im Juli 2002 schrieb er an Bush: "Ich bin an deiner Seite, was auch immer geschieht." Blair und Bush waren sich darin einig, Saddam Hussein stürzen zu wollen, und sie kamen auf der Grundlage von Geheimdienstinformationen zu dem Schluss, dass das nur mittels einer Invasion zu bewerkstelligen sei. Blair schrieb Bush, es sei "das Richtige", Saddam zu Fall zu bringen.

Dem Parlament präsentierte Blair im September 2002 ein Dossier, in dem es hieß, Saddam verfüge über Massenvernichtungswaffen, die innerhalb von 45 Minuten aktiviert werden könnten. Das Dossier berief sich auf Geheimdienstinformationen und ist eines der umstrittensten Dokumente der britischen Nachkriegsgeschichte. Die Massenvernichtungswaffen wurden nie gefunden, viele Parlamentarier fühlten sich in die Irre geführt, weil sie im März 2003 vor allem auf Grundlage des Dossiers für den Krieg gestimmt hatten.

Es stand die Frage im Raum, ob Blair und seine Berater das Dossier absichtlich frisiert hätten, um das Parlament zur Zustimmung zu bewegen. Im Chilcot-Bericht heißt es dazu: "Das Urteil über die Schwere der Bedrohung durch Iraks Massenvernichtungswaffen wurde mit einer Sicherheit präsentiert, die nicht gerechtfertigt war." Allerdings geht der Bericht nicht so weit zu sagen, dass Blair oder die Geheimdienste gelogen hätten. "Es gibt keine Beweise dafür, dass Informationen fälschlich in das Dossier geschrieben worden sind oder dass Nummer 10 (für 10 Downing Street, den Amtssitz des Premiers, d.Red.) den Text manipuliert hat", heißt es.

Diese Passage dürfte aus Sicht von Tony Blair die wichtigste sein. Er wird in dem Bericht zwar scharf kritisiert, aber eben nicht der Lüge bezichtigt. Er veröffentlichte am Mittwoch ein Statement, in dem er schrieb, der Report zeige, dass er keine geheime Absprache mit George W. Bush getroffen habe, in den Krieg zu ziehen. Weiter heißt es: "Dieser Bericht sollte den Vorwürfen ein Ende machen, es habe Lügen oder Täuschungen gegeben. Ganz gleich, ob man mit meiner Entscheidung, militärisch gegen Saddam Hussein vorzugehen, übereinstimmt oder nicht - ich habe sie in gutem Glauben getroffen und in der Überzeugung, das Beste für das Land zu tun."

Besonders deutlich kritisiert der Bericht die mangelnde Vorbereitung des Feldzugs. Für die Größe der Operation sei schlicht zu wenig Personal da gewesen. Zudem seien die Soldaten nicht gut ausgestattet gewesen. So habe es zum Beispiel zu wenige gepanzerte Fahrzeuge gegeben, weshalb britische Soldaten immer wieder Opfer von improvisierten Bomben wurden. 179 britische Militärangehörige kamen bei dem Einsatz zu Tode, bis die Regierung die Truppen im Jahr 2009 abzog.

Den Irak habe der Einsatz ins Chaos gestürzt, schreibt Chilcot. Mindestens 150 000 Iraker seien ums Leben gekommen, womöglich noch deutlich mehr. Mehr als eine Million Menschen seien vertrieben worden. Der Bericht kritisiert, dass es keine Strategie für den Irak nach dem Sturz Saddam Husseins gab. Es heißt: "Trotz ausdrücklicher Warnungen wurden die Folgen einer Invasion unterschätzt. Die Planungen und Vorbereitungen für einen Irak nach Saddam waren vollkommen unzureichend." Bis heute herrschen im Irak chaotische Zustände, Teile des Landes werden von der Terrormiliz Islamischer Staat kontrolliert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3066813
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.07.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.