Irak-Krieg:Fallujahs verbrannte Erde

Irak-Krieg: In Fallujah, 50 Kilometer enfernt von der irakischen Hauptstadt Bagdad, sind viele Viertel noch immer nicht zugänglich.

In Fallujah, 50 Kilometer enfernt von der irakischen Hauptstadt Bagdad, sind viele Viertel noch immer nicht zugänglich.

(Foto: AFP)

Der IS ist aus den meisten irakischen Städten vertrieben. Doch eine Reise in die befreiten Gebiete zeigt: Bis normales Leben möglich sein wird, ist es ein langer Weg.

Reportage von Paul-Anton Krüger, Fallujah

Haji Karim Talib al-Ani weinte, als er sein Haus wiedersah. Erst vor Glück, dass es noch stand. Dann aus Verzweiflung über die Zerstörung. Er hat es mit den eigenen Händen gebaut, in Fallujah, seiner Heimatstadt. Er wurde 1942 dort geboren, als der Irak noch ein Königreich war.

440 Quadratmeter, ein Garten mit Palmen, eine Dachterrasse, auf der die Männer in den Sommernächten Wasserpfeife rauchten. Das Haus war der Sitz der Familie. Fünf Söhne hat Haji al-Ani und 20 Enkel, sein ganzer Stolz. Sie alle leben jetzt in zwei Zimmern. Nicht ist ihnen geblieben außer verkohlten Wänden. Die Möbel verbrannt, die Türen, die Fensterrahmen, Haji al-Anis ganzer Besitz. Auch die Häuser der Söhne gingen in Flammen auf.

Er steht vor der Ruine, in der sie nun hausen müssen, einen der Enkel an der Hand. Ein alter, hagerer Mann mit sanften braunen Augen und einem grauen Schnauzer, gekleidet in einen grauen Umhang und eine gefütterte Weste. Die beiden Zimmer haben sie mit Teppichen abgehängt, damit der Wind nicht hindurch pfeift. In einem schlafen die Frauen und die Kinder, im anderen die Männer und die älteren Jungen.

Mit den Aufständischen kommt die Flucht

Haji al-Ani hat schon viele Schlachten erlebt: 2004, als die Amerikaner zwei Anläufe brauchten, Fallujah zu erobern, dann den Bürgerkrieg. "Aber so etwas hat es noch nie gegeben", sagt er, diese Zerstörung. Wie sein Haus sehen Tausende aus, jedes zweite ist schwer beschädigt oder zerstört. Manchmal denkt er, es wäre besser gewesen zu bleiben und zu sterben.

Die Idee wäre ihm nie gekommen, als sich Anfang Januar 2014 in Fallujah merkwürdige Dinge taten. Truppen der von Schiiten dominierten Zentralregierung in Bagdad hatten tags zuvor gewaltsam ein Protest-Camp sunnitischer Stammesleute aufgelöst. Vermummte hätten Polizeiautos angezündet, erzählt er.

Irak-Krieg: SZ-Karte

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Die Armee verschwand, und auch die Polizei. Dann kamen Aufständische, schwer bewaffnet. Nicht in Panzern, sie sprangen aus weißen Minibussen. Übernahmen die Polizeistation und andere Regierungsgebäude, ohne dass ein Schuss fiel. Da wusste Haji al-Ani, dass sie fliehen mussten.

Fallujah war an die Terrormilz Islamischer Staat (IS) gefallen, als erste Stadt im Irak. Die Stadt der Moscheen, Stolz der Sunniten. "Sie sind Mörder, das wissen wir, seit sie 2004 das erste Mal zu uns gekommen sind", sagt al-Ani. Damals hießen sie noch al-Qaida. "Entweder du bist mit ihnen, oder sie bringen dich um."

Sie dachten, in ein paar Wochen würde der Spuk vorbei sein. Daraus wurden zwei Jahre. Im Januar ist Haji al-Ani zurückgekehrt. Sie waren nach Erbil geflohen, die Hauptstadt der autonomen Kurdengebiete im Norden. "Sie waren gut zu uns, aber es ist nicht das Gleiche wie in Fallujah" sagt er. "Wir mussten jede Woche unsere Papiere stempeln lassen, durften nicht arbeiten. Wir waren glücklich, als der IS aus der Stadt vertrieben war."

Regierung hat Rückkehrern viel versprochen - kaum etwas davon ist wahr

Die Regierung sagte ihnen, dass alles wieder funktioniere, Wasser und Strom, dass die Minen und Sprengfallen geräumt seien, die Behörden arbeiten - sie ihr altes Leben zurückbekommen würden. Haji al-Ani mietete einen Lastwagen, auf der Ladefläche fuhren sie eine Nacht und einen Tag.

Vorgefunden haben sie kaum etwas von dem, was ihnen versprochen wurde. Die Straße, ihr Haus, alles lag voller Müll. Niemand gab ihnen Lebensmittelpakete, Decken, Matratzen. Strom bekommen sie nur stundenweise oder vom Generator - wenn sie Geld für Benzin haben. Wasser, milchig und salzig, tropft nur aus einem Hahn im Klo neben dem Stahltor an der Einfahrt. Sie sammeln es in blauen Plastiktonnen. Keine Dusche funktioniert, dabei hatte das Haus vier Bäder. In die Küche müssen sie das Wasser mit Eimern schleppen.

"Sie haben uns betrogen, angelogen. Sie wollen aus politischen Gründen, dass die Leute zurückkehren", schimpft Haji al-Ani. Jetzt fliehen die Menschen aus Mossul, der letzten Großstadt, deren Westteil die Dschihadisten noch beherrschen - die entscheidende Schlacht gegen den IS. Da ist für die Sunniten aus Anbar kein Platz mehr: Etliche berichten, dass sie quasi gezwungen wurden, zurückzugehen.

"Wir dachten, so schlimm kann es nicht sein"

Offiziell heißt es, drei Viertel der Bewohner von Fallujah seien zurückgekehrt. In Bagdad gilt das als Erfolgsmeldung. Doch wie soll der Irak zu Stabilität zurückfinden, wenn zwar der IS irgendwie besiegt wird, die Menschen aber kein Leben mehr haben? "Wir dachten, so schlimm kann es nicht sein", sagt al-Ani. "Wir wollten immer zurück. Aber hätten wir gewusst, was uns bevorsteht, wären wir nicht gekommen."

Irak-Krieg: "Sie haben uns betrogen", sagt Haji al-Ani über die Regierung.

"Sie haben uns betrogen", sagt Haji al-Ani über die Regierung.

(Foto: Paul-Anton Krüger)

Die Söhne haben keine Arbeit, das Vermögen hat die Familie in Erbil bis auf ein paar Hundert Dollar verbraucht. Mit Hammer und Meißel stemmen sie den verrußten Putz von den Wänden, die Isolierung der Kabel darunter ist geschmolzen. Es riecht beißend verbrannt, auch noch nach Monaten.

Sie wissen nicht, wer ihr Haus so zugerichtet hat. Ein Luftschlag nicht, dann wäre die Decke eingestürzt, so wie bei manchen Nachbarhäusern. Vielleicht war es der IS, der verbrannte Erde hinterlassen wollte, vielleicht Soldaten, Polizisten oder schiitische Milizionäre, die in Fallujah ohnehin nur ein Nest von Verrätern und Terroristen sehen, die "Hure Iraks", wie sie mit schwarzer Farbe auf Wände gesprüht haben.

Noch immer sind ganze Viertel nicht zugänglich

Haji al-Ani hatte auf Bagdad gesetzt, auf Geld internationaler Hilfsorganisationen. Bei ihm sei nichts angekommen, sagt er. Obwohl es Pläne gibt, die sicherstellen sollen, dass die Sunniten in Anbar sich nicht wieder benachteiligt und drangsaliert fühlen. Das hat schon einmal dazu geführt, dass manche hier in den Radikalen das kleinere Übel sahen als in der Zentralregierung, die sie als Unterdrücker empfanden.

Es ist nicht so, dass nichts geschehen würde. Auf der Schnellstraße von Bagdad Richtung Fallujah und Ramadi, vorbei am berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib, stauen sich die Lastwagen. Tieflader mit Baumaschinen, Zementsäcken, Ziegeln. Die internationale Gemeinschaft hat Hilfe versprochen, sie wird koordiniert über eine Arbeitsgruppe für Stabilisierung der Internationalen Koalition gegen den IS, Deutschland hat den Co-Vorsitz. In Tikrit und anderen befreiten Städten hat sie dafür gesorgt, dass die Menschen schnell in ihre Heimat zurückkehren konnten und zumindest die Grundversorgung gewährleistet ist.

Auch in Fallujah schieben Radlader den Schutt und die Autowracks zusammen, die von den Kämpfen geblieben sind. Die Geldwechsler haben wieder geöffnet, was ein Zeichen ist, dass sich die Sicherheitslage gebessert hat. Noch immer aber gibt es ganze Viertel, die nicht zugänglich sind. Es kommt zu Schießereien, vor allem nachts. Schläferzellen des IS verüben Anschläge mit Autobomben, entführen Polizisten, die sie auf bestialische Weise ermorden.

Tausende Sprengfallen in den Ruinen

In Ramadi, der Provinzhauptstadt von Anbar, noch einmal 60 Kilometer den Euphrat hinauf, sieht es noch schlimmer aus. Hier sind vier von fünf Häusern zerstört, keine Stadt im Irak hat es härter getroffen. Betongerippe, durchlöchert von Maschinengewehren, von Kanonen der Apache-Kampfhubschrauber. Die Fassaden sehen aus, als hätte eine Maus ein Lebkuchenhaus zerfressen. Ganze Straßenblöcke sind eingeebnet von Luftangriffen.

Aus Fallujah war der IS nach Monaten der Belagerung abgezogen, in Ramadi haben die Dschihadisten bis zum Ende gekämpft. Die irakischen Truppen und die von den USA geführte Militärkoalition, die sie unterstützt, haben den IS ausgebombt, niedergekämpft, ohne große Rücksicht auf Verluste - ein Schicksal, das auch dem Westen Mossuls bevorstehen könnte.

Und die Dschihadisten haben Tausende Sprengfallen hinterlassen. Manche müssen von ausgebildeten Entschärfern in den Reihen des IS konstruiert worden sein, sagt Ali Farhan, Vize-Gouverneur von Anbar. Sie locken mit präparierten Kabeln die Soldaten in eine Falle: Wenn sie die Drähte durchknipsen, lösen sie Ladungen aus, die ganze Gebäude zum Einsturz bringen.

Noch immer warnen mit roter Farbe hingesprühte Hinweise an vielen Wänden vor den Bomben. Ein falscher Schritt kann tödlich sein. Der IS wollte verhindern, dass hier wieder Menschen leben können.

Es wird wieder Fußball gespielt

Ali Farhan spricht dennoch von Wiederaufbau, auch wenn er sagt, dass viele Menschen in Ruinen leben müssen. Manche haben sich einen Wohncontainer besorgt, den sie in ihr Haus gestellt haben, manche leben in Zelten und Verschlägen. Zugleich haben Geschäfte wieder aufgemacht, im Erdgeschoss gibt es frisches Gemüse zu kaufen und Hammelkeulen, Baumaterial und Kleider, auch wenn die Etagen darüber zusammengestürzt sind.

Ramadi habe heute wieder 90 Prozent der Bevölkerung wie vor 2014, sagt er, ein Teil davon sind Flüchtlinge. Aber das sei "immer noch besser als ein Zelt in der Wüste" - er meint die Flüchtlingslager, die man überall in Anbar sieht.

Farhan, ein bulliger Typ mit dichtem schwarzen Schnauzer, trägt schwarzen Anzug mit Krawatte und unterzeichnet Papiere, aber in den ersten Monaten war er in Militärkluft in den Baugruben unterwegs, um seine Stadt wieder bewohnbar zu machen. "Es gibt Wasser und 15 Stunden Strom am Tag", sagt er. "Und es wird wieder Fußball gespielt in Ramadi". Er kommt gerade von der Eröffnung eines Sportzentrums

"Jetzt essen wir Reis ohne Fleisch."

Haji al-Ani in Fallujah lässt sich von solchem Optimismus nicht anstecken. "Wir essen Reis ohne Fleisch, ich kann das nicht glauben. Wir sind Iraker", sagt er. Iraker sind stolz auf ihr Quzi, langsam geschmorte Teile vom Lamm, die mit Rosinen und gerösteten Nüssen auf einer Platte mit Reis serviert werden. "Wir können uns nicht einmal ein Huhn leisten", sagte er.

Mit seinen 75 Jahren hat er wieder einen kleinen Laden eröffnet, auch der war geplündert. Von morgens acht bis abends um zehn verkauft er Cola, Chips, Zigaretten. "Ich war mein Leben lang Kaufmann", sagt er. "Und das Geld, das ich verdiene, ist unsere einzige Einnahmequelle." 25 000 Dinar an einem guten Tag, umgerechnet 20 Euro. Davon müssen er und seine Familie leben, 30 Menschen.

In dem, was einmal sein Wohnzimmer war, hat er aus Holz einen Käfig gebaut für ein paar Tauben. Seine Enkel sollen etwas haben, das ihnen Freude bereitet. Die Kinder, das ist das Einzige, was seinem Leben noch Sinn gibt. Seine Frau, mit der er gerne in der Abendsonne am Euphrat spazieren ging, ist in Erbil gestorben. Er hat sie nicht mit nach Hause bringen können. "Vielleicht ist es besser so", sagt er.

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