Irak:Kampf ums Überleben

Irak: Am Samstag sperren Sicherheitskräfte die Jumariyah-Brücke.

Am Samstag sperren Sicherheitskräfte die Jumariyah-Brücke.

(Foto: Hadi Mizban/AP)

Tausende Menschen gehen wegen Korruption und Misswirtschaft auf die Straße. Die Sicherheitskräfte reagieren mit aller Härte. Das lässt die Iraker immer lauter fragen, welche Rolle Iran dabei spielt.

Von Dunja Ramadan

Im Zentrum Bagdads strömten am Sonntag Hunderte streikende Schüler und Studenten auf den Tahrir-Platz, um die dort kampierenden Demonstranten zu unterstützen. Diese waren in den vergangenen Tagen exzessiver Gewalt von Sicherheitskräften ausgeliefert, fast 70 Menschen starben bei den Zusammenstößen. Die Bilder, die Iraker seit vergangenem Freitag im Netz teilen, zeigen Männer, die leblos am Boden liegen oder noch ums Überleben kämpfen, während aus in ihren Köpfen steckenden Kartuschen Gas entweicht. Die Sicherheitskräfte setzen scharfe Munition, Gummigeschosse und Tränengas gegen die Zivilisten ein. Mehr als 2300 Menschen wurden bislang verletzt.

Seit Anfang Oktober gehen die Iraker landesweit auf die Straße. Sie klagen über hohe Arbeitslosigkeit, über die schlechte Strom- und Wasserversorgung und über die grassierende Korruption. Obwohl das Land der zweitgrößte Ölproduzent der Opec ist, lebt jeder fünfte Iraker in Armut. Bislang erhielten die Demonstranten nichts als Versprechungen. Seit einem Jahr regiert Ministerpräsident Adel Abdel-Mahdi das 40-Millionen-Einwohner-Land, das es nicht schafft, sich von den Folgen des Irakkriegs zu erholen.

Die Lage eskalierte am Wochenende, als Hunderte Demonstranten versuchten, die Jumariyah-Brücke zu überqueren, um in die erst im Juni wieder eröffnete "Grüne Zone" zu gelangen. Dort liegt neben ausländischen Botschaften auch das Parlament, das die Regierung zu einer Sondersitzung einberufen hatte. Doch diese wurde am Samstag abgesagt, zu viele Abgeordnete waren nicht erschienen. Bereits in der Vergangenheit scheiterten Reformen am Widerstand der politischen Klasse. Der schiitische Kleriker Muqtada al-Sadr, der aus der Parlamentswahl 2018 als Sieger hervorgegangen war, forderte die Regierung bereits in den ersten Oktobertagen zum Rücktritt auf. Laut einem Untersuchungsbericht waren in jenen Tagen 157 Demonstranten getötet worden.

Inzwischen fordern die Menschen den Sturz des Systems. Doch dies wäre ähnlich kompliziert wie im multikonfessionellen Libanon, in dem seit mehr als einer Woche die Bürger mit ähnlichen Forderungen auf die Straße gehen. Auch das politische System im Irak beruht auf ethnoreligiösem Proporz. Die politische Macht verteilt sich in der parlamentarischen Republik zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden. Bislang sitzt das gegenseitige Misstrauen tief: Als die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) 2014 ein Drittel des Iraks besetzte, wurden Schiiten als Abtrünnige bekämpft und getötet. Und als drei Jahre später der IS vertrieben wurde, klagten sunnitische Iraker über Verfolgung und Vertreibung. Doch bei den jüngsten Demonstrationen vereinen gemeinsame Anliegen die Menschen, und die Gewaltexzesse bringen sie zusammen in ihrer Wut über den Sicherheitsapparat, in dem schiitische, von Iran unterstützte Milizionäre dominieren.

Ein Video zeigt, wie Demonstranten schwer bewaffnete Sicherheitskräfte anbrüllen: "Ihr seid keine Araber, ich schwöre, ihr seid keine", ruft ein Mann, völlig außer sich.

Seit 2003 die Amerikaner in den Irak einmarschierten, ist Iran der wichtigste Makler in der Region. So spielte etwa die von Teheran geförderten schiitischen Milizen der al-Haschd asch-Schabi eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des IS. Wie andere Milizen auch blieb sie bestehen, nachdem 2017 der IS für besiegt erklärt worden war. Mit etwa 140 000 Kämpfern gelten die Milizen als Schattenarmee Irans.

Die Rolle Teherans in ihrem Land stellen die Iraker seit längerem lautstark infrage. Als im Sommer 2018 Zehntausende im südlich gelegenen, mehrheitlich schiitischen Basra gegen Trinkwasservergiftungen protestierten, machten die Menschen Iran für ihr Leid mitverantwortlich. Teheran inszeniert sich gern als Schutzmacht der Schiiten. Durch ihre Proteste verhinderten die Iraker eine weitere Amtszeit des damaligen Regierungschefs Haider al-Abadi, auf den sich sowohl Iran als auch die USA einigen konnten.

Parolen gegen Iran sind diesmal auch in Bagdad zu hören: "Der Irak ist frei. Iran raus, raus." Solche Sätze skandieren auch Schiiten in Libanon, die in jüngster Zeit auf die Straße gehen. Sie sehen den iranischen Einfluss auf die heimische Politik ebenfalls kritisch. Dort ist die schiitische, von Iran unterstützte Hisbollah-Bewegung die stärkste Kraft.

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