Irak:Jubel und Zorn

92 Prozent der Kurden im Irak stimmen beim Unabhängigkeits-Referendum mit Ja - während von den Regierungen ringsum die Drohungen gegen zunehmen.

Von Luisa Seeling und Paul-Anton Krüger, Erbil

Der Präsident der kurdischen Autonomiegebiete im Irak, Masud Barzani, hat am Dienstagabend in einer Rede in Erbil den Sieg des Ja-Lagers beim Unabhängigkeitsreferendum am Tag zuvor erklärt. Kurz zuvor hatte die Wahlkommission bekanntgegeben, dass die Zustimmung nach Auszählung von 3,4 Millionen Stimmen 91,8 Prozent betrug. Abstimmungsberechtigt waren knapp 3,3 Millionen Menschen in den von der Zentralregierung in Bagdad anerkannten Autonomiegebieten und weitere 1,9 Millionen in Gebieten, die Kurden kontrollieren, die aber mit Bagdad umstritten sind. Bereits erste Trendmeldungen hatte Jubelstürme entfacht.

Zugleich bemühte sich Barzani um Deeskalation; Bagdad und die Nachbarstaaten Türkei und Iran hatten wie die internationale Gemeinschaft die Volksabstimmung entschieden abgelehnt. Barzani rief Bagdad und die Nachbarstaaten auf, den Willen der Kurden zu akzeptieren. Zugleich bot er eine Fortsetzung des Dialogs mit der Regierung von Premier Haidar al-Abadi an.

Iraks Regierungschef ging darauf zunächst nicht ein. Er forderte von der Regionalregierung, bis Freitag die Kontrolle über die Flughäfen an die Zentralregierung zu übergeben. Sonst verhänge Bagdad ein Flugverbot. Er hatte bereits am Vortag verlangt, dass die Kurden die Kontrolle über die Außengrenzen der Zentralregierung übertragen. "Die Abstimmung war ein historischer und strategischer Fehler der kurdischen Führung", sagte Abadi in Bagdad. Er werde an der Einheit des Irak festhalten, wie es seine verfassungsmäßige Pflicht sei.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sprach von "Verrat" an seinem Land und warnte vor einem "ethnischen Krieg". Der Entscheid habe für die Türkei keinerlei Legitimität. "Sobald wir anfangen, unsere Sanktionen anzuwenden, wirst du sowieso in der Klemme sein", grollte Erdoğan an Barzani gerichtet. "Wenn wir das Ventil zudrehen, ist es vorbei, und sie werden keine Lebensmittel mehr haben, wenn unsere Lastwagen nicht mehr in den Nordirak fahren." Schon am Vortag hatte Erdoğan Barzani mit einer Blockade der Erdöl-Exporte gedroht - die wirtschaftliche Lebensader der Autonomieregion. Bisher war Barzani ein enger Partner Ankaras, doch Erdoğans aggressive Rhetorik scheint darauf angelegt zu sein, diese Partnerschaft zu beenden. In Erbil hofft man, dass Erdoğan, der schon länger auf nationalistische Töne setzt, nur seine Klientel beruhigen will.

In Teheran sagte der gut mit dem Sicherheitsapparat vernetzte Parlamentspräsident Ali Laridschani, Iran werde nicht zulassen, dass die Integrität von Staaten in der Region infrage gestellt werde. Syrien, wo Iran an der Seite des Regimes von Präsident Baschar al-Assad kämpft, könnte der nächste sein. Die Kurden in Nordsyrien haben gerade erfolgreich Kommunalwahlen abgehalten. Die lokalen Regierungsstrukturen dort könnten ebenfalls in ein Autonomiegebiet übergehen - entlang der türkischen Grenze. In Iran feierten Zehntausende Kurden in mehreren Städten auf Plätzen die Abstimmung jenseits der Grenze und skandierten: "Freiheit, Freiheit, Freiheit!"

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