Süddeutsche Zeitung

Iran und USA:Welche Rolle die Milizen im Nahen Osten spielen

  • Am Sonntagabend ist nahe der amerikanischen Botschaft in Bagdad eine Rakete eingeschlagen.
  • Hinter dem Angriff werden schiitische Milizen vermutet, die bei den Spannungen zwischen Iran und den USA eine zentrale Rolle spielen.
  • Die USA haben offenbar bereits Pläne für Vergeltungsschläge, sollte es Attacken auf US-Soldaten oder Einrichtungen geben.

Von Paul-Anton Krüger

Sie haben - teils unterstützt von den Amerikanern - im Irak gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft. Und sie haben Mörsergranaten auf die US-Botschaft in Bagdad gefeuert und Raketen auf das inzwischen geschlossene Konsulat im südirakischen Basra. Die Rede ist von schiitischen Milizen, die bei den Spannungen zwischen Iran und den USA eine zentrale Rolle spielen. Es gibt keine Bekenner-Erklärung bis jetzt, aber es ist wahrscheinlich, dass wiederum eine dieser Gruppen verantwortlich ist dafür, dass am Sonntagabend eine Katjuscha-Rakete in der Grünen Zone in Bagdad einschlug, nur etwa 1,5 Kilometer von der amerikanischen Botschaft entfernt.

Im Verhalten solcher Milizen sieht die US-Regierung eine Bedrohung für die US-Truppen im Irak und die diplomatischen Vertretungen dort, das machte Präsident Donald Trump in einem brachialen Tweet nochmals klar - ebenso, dass er Iran dafür verantwortlich macht. "Wenn Iran kämpfen will, dann wird das das offizielle Ende Irans sein. Bedrohen Sie nie wieder die Vereinigten Staaten!", schrieb Trump. In der vergangenen Woche schon hatte das Pentagon die Alarmstufe für die etwa 5200 im Irak stationierten Soldaten erhöht. Außenminister Mike Pompeo ordnete an, nicht notwendiges Botschafts- und Konsularpersonal umgehend abzuziehen.

Offiziell unterstehen die etwa 40 verschiedenen Milizen unter dem Dach der sogenannten Volksmobilisierungseinheiten Premierminister Adel Abdul Mahdi und sind Teil der regulären irakischen Sicherheitskräfte. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Verbänden mit insgesamt etwa 125 000 aktiven Kämpfern. Es gibt sunnitische, christliche, jesidische und turkmenische Gruppen unter ihnen; viele nehmen nur lokale Polizeiaufgaben wahr und halten sich an die Anweisungen aus der Regierung in Bagdad.

Einige der kampfstärksten Milizen hören auf die Befehle von General Soleimani

Andere sind tief in kriminelle Machenschaften verstrickt, werden schlimmster Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen beschuldigt. Vor allem aber hört etwa ein halbes Dutzend dieser Milizen, darunter einige der kampfstärksten, auf die Befehle von General Qassem Soleimani, dem ebenso legendären wie berüchtigten Kommandeur der Quds-Brigaden der Revolutionsgarden, die für Auslandseinsätze in der Region zuständig sind und direkt Irans Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei unterstellt sind, nicht der Regierung von Präsident Hassan Rohani.

Die Volksmobilisierungseinheiten waren im Juni 2014 nach einem Aufruf des wichtigsten schiitischen Geistlichen im Irak, Großayatollah Ali al-Sistani, aufgestellt worden, um den Vormarsch des IS zu stoppen. Die Dschihadisten waren damals bis auf 30 Kilometer auf die Hauptstadt Bagdad vorgerückt und bedrohten schiitische Heiligtümer dort und auch in Kerbela und Nadschaf, Sitz der schiitischen Kleriker und wichtiger Schreine. Allerdings gab es zuvor schon sieben schiitische Milizen, die eng mit Iran verbunden sind.

Die älteste und mächtigste von ihnen, die Badr-Organisation war bereits 1983 in Iran als bewaffneter Arm einer radikalen islamistischen irakischen Schiiten-Partei gegründet worden, die gegen die Herrschaft des sunnitischen Diktators Saddam Hussein und im ersten Golfkrieg auf Seiten des schiitischen Regimes unter Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini kämpften. Sie unterstand von Beginn an den Revolutionsgarden, die sie ausgebildet und bewaffnet haben, und wurde auch nach dem Ende des Krieges im Sommer 1988 nicht demobilisiert. Andere Iran-treue Gruppen, von denen Nachfolge-Organisationen und Abspaltungen bis heute existieren, begannen nach dem Sturz Saddams durch die Amerikaner Anschläge gegen deren Truppen im Irak zu verüben.

Etwa ein halbes Dutzend der eng mit Iran verbundenen Gruppen wie die Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haq, Kataib Hisbollah oder Harakat Hezbollah al-Nujaba, haben sich schon während des Kampfes gegen den IS weitgehend der Kontrolle des irakischen Staates entzogen. Manche Offensive ordnete der iranische General Qassem Soleimani entgegen Absprachen des irakischen Militärs mit den USA an.

Dem damaligen Premierminister Haidar al-Abadi blieb mehrere Male nicht mehr übrig, als mit dem Hubschrauber an die Front zu fliegen, wo er dann als Oberbefehlshaber zwar vor Fernsehkameras den Einsatz anordnete, letztlich aber nur Entscheidungen der Revolutionsgarden nachvollzog. Später kämpften manche Milizen unter dem Kommando der Revolutionsgarden oder der libanesischen Hisbollah auf Seiten des Assad-Regimes im Bürgerkrieg in Syrien.

Vertreter der Milizen sind auch in der irakischen Regierung präsent

Manche dieser Gruppen haben den USA in den vergangenen Jahren offen gedroht, Washington hat manche von ihnen als terroristisch eingestuft und jüngst auch die iranischen Revolutionsgarden. So haben sich die Spannungen hochgeschaukelt.

Die irakische Regierung bemüht sich, eine Eskalation zu verhindern. "In den vergangenen Tagen hat es kontinuierlich Treffen mit allen Gruppen gegeben, um die Botschaft der Regierung deutlich zu machen", sagte am Donnerstag noch Said al-Jayashi, ein Berater des Premiers und Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat: "Wenn irgendeine Gruppe etwas macht, dann ist es ihre Verantwortung, und nicht die des Irak." Die Regierung sei verpflichtet, die US-Interessen im Irak zu schützen und werde "zum Feind eines jeden", der diese Interessen gefährde.

Zugleich sind Vertreter dieser Milizen im irakischen Parlament und teils auch in der Regierung präsent. Badr-Chef Hadi al-Ameri etwa wurde mit seiner Fatah-Allianz mit 48 von 329 Sitzen zweitstärkste Kraft bei den Wahlen vor einem Jahr. Der Machtkampf zwischen pro-iranische Gruppen und ihren Gegner ist allerdings auch maßgeblicher Grund dafür, dass die wichtigen Posten des Verteidigungs- als auch des Innenministers in Bagdad bis heute vakant sind.

Pläne für Vergeltungsschläge

Ameri appellierte am Montag an die nationale und religiöse Verantwortung. Sie verlange es, den Irak und die ganze Region vom "Geist des Krieges" entfernt zu halten. Wenn ein Krieg ausbreche, werde dieser alle verbrennen, warnte er.

Die Bedrohung durch die Milizen stand dem Vernehmen nach im Mittelpunkt eines zuvor nicht angekündigten Besuchs von Pompeo in Bagdad, für den er die eigentlich geplanten Gespräche mit Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas in Berlin hatte ausfallen lassen.

Das US-Militär beobachtet die Milizen genau und hat offenbar auch Pläne für Vergeltungsschläge gegen Gruppen im Irak, sollten sie US-Soldaten oder Einrichtungen dort direkt angreifen, mutmaßlich ohne Bagdad vorher darüber zu informieren. Zugleich könnte der Tod von amerikanischen Diplomaten oder Soldaten die rote Linie überschreiten, die US-Militärschläge gegen Iran auslösen könnten.

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