Süddeutsche Zeitung

Golfregion:Alle Feinde an einem Tisch

Iraks Premier Mustafa al-Kadhimi versucht sich als Mittler zwischen Iran und Saudi-Arabien. Er will das eigene Land stabilisieren und kämpft um seine politische Zukunft.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Der irakische Premier Mustafa al-Kadhimi hatte eine recht eindeutige Botschaft an seine Gäste: "Wir wehren uns dagegen, den Irak in einen Schauplatz für regionale und internationale Konflikte zu verwandeln", sagte er am Samstag zur Eröffnung einer Konferenz arabischer Staaten in Bagdad, die dazu beitragen sollte, die Spannungen in der Golf-Region zu verringern. Es war das erste Mal seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran im Januar 2016, dass die Außenminister der beiden rivalisierenden Regionalmächte an einem Tisch saßen.

Gekommen waren überdies Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi, Jordaniens König Abdullah, der Emir von Katar, Tamim bin Hamad al-Thani, die Regierungschefs von Kuwait und der Vereinigten Arabischen Emirate sowie der Außenminister der Türkei, die auch noch Truppen im Land hat. Zu ihnen gesellte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der als Co-Gastgeber offenkundig den Raum ausfüllen will, den die Amerikaner am Golf unter Präsident Joe Biden zunehmend lassen. Der US-Präsident hatte jüngst Kadhimi bei einem Besuch im Weißen Haus den Abzug der letzten Kampfverbände bis Ende des Jahres zugesagt. Die Amerikaner, die noch mit etwa 2500 Soldaten im Land sind, sollen dann die irakischen Sicherheitskräfte nur noch beraten im Kampf gegen die wieder erstarkende Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Der Kampf um die Vormacht in der Region soll nicht weiter im Irak ausgetragen werden

Kadhimi, der als früherer Geheimdienstchef seines Landes über gute Beziehungen sowohl nach Teheran als auch nach Riad und in die USA verfügt, versucht einen Dialog zwischen den Staaten der Region zu moderieren und so zu verhindern, dass sie ihr Ringen um die Vormacht weiter auf dem Territorium seines Landes austragen. Irak wolle Beziehungen mit anderen Staaten durch Zusammenarbeit und Integration pflegen ohne fremde Einmischung in interne Angelegenheiten, sagte er.

Angesprochen durften sich da einige fühlen, nicht zuletzt Irans neuer Chefdiplomat Hossein Amir-Abdollahian. Der 57-Jährige war vergangenen Woche in Teheran vom Parlament im Amt bestätigt worden und ist wie Präsident Ebrahim Raisi ein Hardliner. Unter dem früheren Präsidenten Hassan Rohani hatten vor allem die Revolutionsgarden die Politik gegenüber dem Nachbarland bestimmt; sie kontrollieren mehrere der kampfstärksten schiitischen Milizen in Irak, die sich einen Schattenkrieg mit den Amerikanern liefern und auch in der Politik eine wichtige Rolle spielen.

Amir-Abdollahian ist diesen Kräften deutlich näher als sein Vorgänger Mohammad Dschawad Sarif, der sich in geleakten Interview-Mitschnitten massiv über den Einfluss der Garden beschwert hatte. Der neue Außenminister hat angekündigt, die Beziehungen zu Nachbarländern in den Fokus seiner Arbeit zu stellen; er hat unter dem Hardliner Mahmud Ahmadinedschad und zeitweise auch noch unter Rohani bereits die für die Region zuständige Abteilung des Außenministeriums geleitet, er spricht zudem fließend Arabisch.

Kadhimi hatte sich zuvor schon als Mittler zwischen Riad und Teheran versucht und mehrere Treffen zwischen hochrangigen Vertretern der beiden Seiten in Bagdad organisiert, von denen das erste im April stattfand. Damals kamen Khalid bin Ali al-Humaidan, der saudische Geheimdienstchef, und Amir Saeid Iravani zusammen, stellvertretender Sekretär des Obersten Sicherheitsrates in der Islamischen Republik. Mit am Tisch waren auch die Revolutionsgarden.

Thema war damals vor allem der Krieg in Jemen, wo Saudi-Arabien die international anerkannte Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansour Hadi unterstützt und Iran die schiitsche Huthi-Miliz, die Sanaa, die Hauptstadt, und den Norden des Landes kontrollieren. Kadhimi hatte für Teheran zudem auch "Kommunikationskanäle" mit Ägypten und Jordanien etabliert.

Amir-Abdollahian traf die Vertreter aus den Emiraten und Kuwait zu bilateralen Gesprächen, nicht aber den saudischen Außenminister, Prinz Faisal bin Farhan al-Saud. Allerdings hatte die irakische Regierung die Erwartungen schon vor dem Treffen gedimmt. Mit großen diplomatischen Durchbrüchen sei nicht zu rechnen, hieß es in Bagdad. Angesichts der Spannungen in der Region sei es schon ein Erfolg, die verfeindeten Staaten alle an einen Tisch zu bekommen.

Frankreichs Präsident Macron sagte, Hauptzweck des Treffens sei Stabilität im Irak, "was offenkundig zur Stabilität in der gesamten Region beitragen" werde. Es müssten im Irak auch die richtigen Bedingungen für junge Menschen geschaffen werden, dass diese nicht in "Extremismus und Terrorismus" abdrifteten. Nach dem überstürzten Abzug der USA aus Afghanistan, dem Zusammenbruch der Regierung und der Machtübernahme der Taliban sind die Sorgen groß, wie lang der notorisch korrupte irakische Staat und die Sicherheitskräfte bestehen können, wenn der Westen seine Unterstützung reduziert und seine Präsenz beendet.

Frankreich werde seine "Präsenz für den Kampf gegen den Terrorismus" aufrechterhalten, sagt Macron

Dies hatte das Parlament gefordert, nachdem US-Präsident Donald Trump den iranischen Revolutionsgarden-General Qassim Soleimani im Januar 2020 mit einem Drohnenangriff am Flughafen von Bagdad hatte töten lassen und mit ihm Abu Mahdi al-Muhandis, einen der wichtigsten Milizenführer im Irak. Macron kündigte an, Frankreich werde seine "Präsenz für den Kampf gegen den Terrorismus so lange aufrechterhalten, wie die Terrorgruppen ihre Aktivitäten fortsetzen und solange die irakische Regierung uns darum bittet". Frankreich habe dazu die operationellen Kapazitäten, unabhängig von den Entscheidungen der Amerikaner.

Für Kadhimi geht es zugleich um sein politische Überleben. Er steht an der Spitze einer Übergangsregierung, im Oktober soll ein neues Parlament gewählt werden. Eine Hausmacht hat er dort nicht. Bei der jüngsten Wahl im Mai 2018 war es den Iran nahestehenden Parteien nicht gelungen, eine Mehrheit zu erobern. Stärkste Kraft wurde die Wahlliste des schiitischen Predigers Muqtada al-Sadr, der Teheran ebenso wie den USA kritisch gegenübersteht. Er hat gerade seinen angekündigten Wahlboykott zurückgenommen und versprach, das Land von Korruption und fremder Einmischung zu befreien. Ein Sieg der Sadristen wäre Kadhimis beste Chance, weitermachen zu können.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5395319
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.