Irak:Wo Influencer um ihr Leben fürchten

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Die einflussreiche irakische Tiktokerin Umm Fahad wurde vor ihrem Haus in Bagdad erschossen. (Foto: Ahmad Al-Rubaye/AFP)

Im Irak erfreut sich Tiktok großer Beliebtheit. Zum Ärger von Extremisten und Politikern, die in der Social-Media-Plattform moralisches Verderben vermuten. Zumindest offiziell.

Von Dunja Ramadan

Viele Hände schnellten im irakischen Parlament nach oben, als dessen Präsident Mohsen al-Mandalawi kürzlich zur Abstimmung rief. Die Abgeordneten verabschiedeten eine Änderung des Prostitutionsgesetzes aus dem Jahr 1988. Demnach müssen Homosexuelle im Irak künftig für zehn bis 15 Jahre ins Gefängnis, wenn sie ihre sexuelle Orientierung ausleben. Außerdem droht Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, eine Gefängnisstrafe von einem bis zu drei Jahren. Ein früherer Entwurf sah für gleichgeschlechtlichen Sex sogar die Todesstrafe vor.

Das neue Gesetz verbietet auch die Aktivitäten von Organisationen, die die Akzeptanz "sexueller Abweichungen" fördern. Ihnen droht eine Strafe von mindestens sieben Jahren und eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 7500 Dollar. Kritiker befürchten, dass damit auch Menschenrechtsorganisationen ins Visier geraten können. Al-Mandalawi sieht in der Gesetzesänderung einen entscheidenden Schritt, um "unsere Kinder vor den Rufen moralischer Verderbnis und Homosexualität zu schützen".

Umm Fahads Videos verletzten laut Behörden "die öffentliche Moral"

Diese Gesetze kommen zu einer Zeit, in der Gewalt gegen Influencer, politische Aktivisten, Homosexuelle und Transgender regelmäßig die Schlagzeilen im Irak bestimmen. Vor zwei Wochen wurde die Tiktokerin Ghufran Sawadi, auch genannt Umm Fahad, vor ihrem Haus in Bagdad erschossen. Umm Fahad tanzte in eng anliegenden Outfits und mit ordentlich Make-up im Gesicht für ihre Follower zu irakischer Musik. Die Behörden hatten sie bereits vor gut einem Jahr im Visier. Damals wurde sie zu sechs Monaten Haft verurteilt. Auch hier lautete der Vorwurf, ihre Videos würden "unanständige Äußerungen enthalten, die unbescheiden sind und die öffentliche Moral verletzen".

Sie war nicht die erste Influencerin, die auf diese Weise getötet wurde. Erst im vergangenen September wurde Noor Alsaffar, auch bekannt als Noor BM, ein Tiktoker, der sich als männlich definierte und gerne lange Haare, Make-up und bauchfreie Tops trug, in Bagdad getötet. 2018 wurde die Instagramerin Tara Fares, gerade mal 22 Jahre alt, erschossen. Und nur wenige Wochen danach wurde der erst 14-jährige Hamoudi al-Mutairi, der auf Social Media wegen seines "femininen Looks" regelmäßig angefeindet wurde, in Bagdad erstochen. Der Täter filmte seine Tat, die letzten Worte des Jungen waren, in seiner eigenen Blutlache liegend: "Ich will meine Mutter sehen."

Erst im vergangenen März hatte die Kommunikationsministerin Hayam al-Yasiri die Regierung dazu aufgefordert, "zum Schutz gesellschaftlicher Werte" gegen die Social-Media-Plattform Tiktok vorzugehen. Al-Yasiri, die der proiranischen Miliz Kataib Hisbollah nahesteht, sprach davon, dass das Portal zur "Erosion der sozialen Einheit des Landes" beigetragen habe. Tiktok erfreut sich im Irak hoher Beliebtheit, Schätzungen gehen davon aus, dass rund 32 der 44,5 Millionen Irakerinnen und Iraker die App nutzen.

"Ob alt oder jung, reich oder arm, Tiktok ist unter allen Irakern extrem beliebt", sagt Ahmed al-Basheer. Der irakische Komiker hat sich oft mit brisanten Themen beschäftigt, in seiner politischen Satireshow Al-Basheer-Show sprach er über den IS-Terror, die Korruption und konfessionelle Spannungen im Land. Seine Videos entstanden im jordanischen Exil, al-Basheer weiß, wie gefährlich es im Irak werden kann für Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Sein Vater und sein Bruder wurden im Irak getötet - einer von der Terrororganisation al-Qaida, der andere von einer schiitischen Miliz.

Täter kommen ungestraft davon, viele Iraker haben sich offenbar an die Toten gewöhnt

"Das Hauptproblem im Irak ist, dass Täter ungestraft davonkommen. Deshalb fühlen sich viele ermutigt solche Morde zu begehen", sagt al-Basheer und nennt das Beispiel des im Jahr 2020 ermordeten Politikanalysten Hisham al-Hashimi. Alle Beweise deuteten auf einen Täter der einflussreichen proiranischen Miliz Kataib Hisbollah hin. Doch ein Gericht sprach den Mann frei.

Ein weiteres Problem sei, dass auf Social Media viele die Gewalt gegen die Influencer sogar gutheißen, sagt al-Basheer. Oft hätten diese Influencer nämlich Kontakte zu Milizen, Geschäftsleuten und Politikern, weshalb sie in der Öffentlichkeit auch in der Kritik stünden. "Viele Influencer sind mittlerweile eine eigene Macht im Land, und irgendwann scheint der Punkt zu kommen, an dem ihre einflussreichen Kontakte dann entscheiden, dass sie zu viel wissen", sagt al-Basheer.

Die Schadenfreude auf Social Media sei zwar verstörend, aber auch die jüngste Geschichte seiner Heimat sei ja verstörend, sagt der 39-Jährige. Nach dem Einmarsch der Amerikaner im März 2003, begründet mit der Existenz von Massenvernichtungswaffen, die es nie gab, kam es in den Folgejahren zur Besatzung und zu einem Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten. Nach Schätzungen der UN kamen in dieser Zeit monatlich bis zu 3000 Menschen ums Leben. "Seitdem haben sich einige Leute an das Blut gewöhnt, anders kann man es nicht sagen", sagt al-Basheer.

In den vergangenen Jahren beschloss die Regierung außerdem vage formulierte Gesetze, um jeden - von Aktivisten bis hin zu Influencern - ins Visier zu nehmen, der mutmaßlich gegen die "öffentlichen Moralvorstellungen" verstoßen hat. Anfang 2023 stellte das Innenministerium die Plattform "Ballegh" online, die die Bürger dazu animiert, "unanständige Inhalte zu melden, die gegen öffentliche Moral, Bräuche und Traditionen verstoßen und respektlos gegen militärische Institutionen sind".

Kritiker werfen der Regierung vor, sie bringe damit Stimmen zum Schweigen, die die Korruption der politischen Klasse und die Machenschaften der proiranischen Miliz anprangern. Der Einfluss des schiitischen Nachbarlandes ist allgegenwärtig. Immer wieder kommt es - auch im schiitischen Süden des Iraks - zu Demonstrationen, vor allem die jungen Menschen im Land wehren sich gegen die Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und den politischen Einfluss Irans.

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