Irak:Im Bann des Misstrauens

Irak: Weder Sicherheit, noch zumindest die grundlegendsten Dienstleistungen bietet den Irakern ihr Staat: der belebte Platz vor der schiitischen Imam Musa al-Kadhim-Moschee in der Hauptstadt Bagdad.

Weder Sicherheit, noch zumindest die grundlegendsten Dienstleistungen bietet den Irakern ihr Staat: der belebte Platz vor der schiitischen Imam Musa al-Kadhim-Moschee in der Hauptstadt Bagdad.

(Foto: Ahmad Al-Rubaye/AFP)
  • Im Irak wird am Samstag ein neues Parlament gewählt.
  • Die bisherige Regierung spaltete das Land, anstatt es zu einen.
  • Dem amtierenden Premier könnte der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran teuer zu stehen kommen.

Von Paul-Anton Krüger, Bagdad

Das Café von Khaled Hillali an der Sadoun-Straße in Bagdad ist ein beliebter Treffpunkt für Intellektuelle. "Politik war immer das Thema", sagt der 47-Jährige, der in braunem Hemd und schwarzen Jeans mit einem Glas Tee und einer Zigarette an einem Tisch auf der Terrasse sitzt. Politiker aber, die hier früher auch gerne auf eine Wasserpfeife vorbeischauten, lässt er seit zwei Jahren nicht mehr herein. "Schauen Sie", sagt er und weist auf die Wahlplakate und Transparente, mit denen der Mittelstreifen der Straße und auch die Fassaden tapeziert sind, "sie sind alle Diebe, korrupt, sie wirtschaften nur in ihre eigene Tasche und versorgen ihre Clans."

Von den Plakaten blicken die Größen der irakischen Politik: Premier Haidar al-Abadi und sein Vorgänger, der immer noch mächtige Strippenzieher Nuri al-Maliki, unter dessen Ägide die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein Drittel des Landes überrannte. Oder Hadi al-Ameri, wie Maliki aufs Engste mit dem Regime im benachbarten Iran verbunden. Er verdankt seine Popularität der Rolle als Anführer der Volksmobilisierungseinheiten, überwiegend schiitischen Milizen, die im Kampf gegen den IS eine zentrale Rolle spielten.

Posten vom Minister abwärts bis weit in die Verwaltung wurden nach Loyalität besetzt, nicht nach Kompetenz.

Sie alle sind Schiiten und konkurrieren miteinander bei der Wahl an diesem Samstag, bei der etwa 24,5 Millionen registrierte Wähler 329 Parlamentsabgeordnete bestimmen. Alle drei sind - wie auch sunnitische und kurdische Politiker - aber zugleich Teil eines komplizierten Proporz-Systems, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen verteilt wurden. Posten vom Minister abwärts bis weit in die Verwaltung wurden nach Loyalität besetzt, nicht nach Kompetenz. Das Ergebnis war hemmungslose Bereicherung für wenige, überbordende Korruption und ein Staat, der seinen Bürgern kaum grundlegende Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt.

"Wir müssen diese Krankheit überwinden", sagt Thair Feely, ein Wahlkampfberater von Premier Abadi, der auch schon Vizeminister und Chef der Investitionskommision war, die Geldgeber in den Irak locken soll. "Muhasassa", wie das Proporz-System auf Arabisch heißt, "und der Konfessionalismus haben uns alles Schlimme gebracht", sagt er. "Sie sind der Krebs dieser Gesellschaft." Und natürlich sei es Abadis Nasr-Liste, die das Leiden kurieren werde.

9700 Bewerber hätten sich gemeldet, die besten habe man ausgewählt. "Nach Kompetenz und danach, ob sie eine saubere Geschichte haben", sagt er. 93 Prozent hätten noch nie zuvor für das Parlament kandidiert. "Ob einer Schiit ist oder Sunnit oder Christ, ob Araber oder Kurde, das ist uns egal", sagt er. Die Liste habe als einzige in allen Provinzen Kandidaten aufgestellt. Für ihn ein weiterer Beleg, dass es Abadi um einen einigen Irak geht, darum, die tiefen Gräben der Vergangenheit zwischen den Volksgruppen hinter sich zu lassen, die in den 15 Jahren nach der amerikanischen Invasion und dem Sturz des Diktators Saddam Hussein aufgebrochen sind.

Der Irak stand schon einmal an einem ähnlichen Punkt wie jetzt, nach dem militärischen Sieg gegen den IS: 2009 waren al-Qaida und andere sunnitische Dschihadisten weitgehend niedergeworfen. Doch zur Einheit fand das Land nicht. Maliki wurde 2010 zum zweiten Mal als Premier gewählt und diskriminierte systematisch die Sunniten, schickte schiitische Todesschwadronen. Er ließ Zehntausenden Geister-Soldaten Sold zahlen, die nie Dienst taten. Und als nach dem schon seit 2012 wieder köchelnden Aufstand sunnitischer Kräfte im Sommer 2014 die Terrormiliz IS Mossul und andere Städte überrannte, flohen ganze Divisionen der Armee, während Teile der sunnitischen Bevölkerung den IS zunächst als das kleinere Übel begrüßten.

Diese Lektionen habe das Land gelernt, versichern Politiker quer durch alle Listen. Doch ob es so kommt, da ist sich die Abgeordnete und Wasserbau-Ingenieurin Schirouk al-Abayachi nicht so sicher. "Es gibt eine sehr tief sitzende Wut in der Bevölkerung auf die Politiker", sagt die 60-Jährige, die für Tamadun antritt, ein Reformbündnis ziviler und liberaler Parteien. "Damit sich wirklich etwas ändert, brauchen wir einen zivilen Staat", sagt sie - zivil ist die Umschreibung für säkular, ein Wort das im Irak niemand in den Mund nimmt.

Einen funktionierenden Rechtsstaat, Gleichberechtigung für Frauen, die viele der Bürden zu schultern hatten, während die Männer gegen den IS an der Front waren, Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft, dafür tritt sie ein. Abadi, sagt sie, hätte die "einzigartige Chance" gehabt, damit aufzuräumen. "Er hatte Massenproteste in Bagdad auf seiner Seite und die wichtigsten schiitischen Ayatollahs in Nadschaf", deren Fatwas Millionen Menschen folgen. "Doch er hat die Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen."

Das hat neue Allianzen hervorgebracht, die im Irak noch vor Kurzem als unvorstellbar galten. Der populäre schiitische Prediger Moqtada al-Sadr tat sich mit den Kommunisten und liberalen Gruppen zusammen. Sadr hatte Massenproteste in Bagdad organisiert; seine Anhänger stürmten die Grüne Zone. Er will eine Technokratenregierung und ein Ende des ausländischen Einflusses im Irak. Mit seiner Miliz kämpfte er einst gegen die Amerikaner, jetzt wendet er sich gegen Irans Einfluss, ließ sich gar von Saudi-Arabien hofieren.

Eine neue Spirale der Gewalt zwischen den Konfessionen könnte schnell in Gang geraten

Das zersplitterte politische Spektrum im Irak macht es schwierig, mit einem System zu brechen, von dem viele Politiker profitieren. Dem stärksten Block, den nach Ansicht vieler Analysten Abadi stellen dürfte, trauen sie zwischen 50 und 70 Sitze zu. Er braucht dann Verbündete aus den jetzt noch stärker fragmentierten schiitischen Parteien sowie bei den beiden großen sunnitischen und kurdischen Blöcken. Eine ähnliche Konstellation wie bisher. "Wir werden neue Gesichter im Parlament sehen", sagt Analyst Hischam al-Haschemi, der auch westliche Regierungen berät. "Ich glaube aber nicht, dass sich die Machtverhältnisse grundlegen ändern."

Die USA sehen Abadi als jemanden, mit dem man pragmatisch arbeiten kann. Auf ihn hatten sie sich mit Iran in einem unausgesprochenen Deal als Nachfolger für Maliki geeinigt. Westliche Diplomaten halten ihm zugute, dass er die beiden dominierenden externen Mächte im Irak trotz der zunehmend scharfen Rivalität ausbalanciert hat. Ob ihm das aber noch gelingen kann - oder er überhaupt wiedergewählt wird, ist fraglich nach dem Rückzug von US-Präsident Donald Trump aus dem Nuklearabkommen mit Iran. Teheran könnte nun etwa versuchen, bei der Regierungsbildung Hadi al-Ameri als Premier zu installieren. Das scheidende Parlament hat vor einiger Zeit schon einen Fahrplan für den Abzug der US-Truppen aus dem Irak verlangt. Abadi hat das bislang ignoriert.

Schnell könnte dann eine neue Spirale der Spannungen zwischen den Konfessionen in Gang geraten. Die Sunniten in Anbar und Niniveh fühlen sich ohnehin benachteiligt von Bagdad beim Wiederaufbau ihrer Städte, von Ramadi über Falludscha bis Mossul. Und die Kurden haben nicht vergessen, dass es maßgeblich Milizen unter Kommando des iranischen Revolutionsgarden-Generals Qassim Soleimani waren, die ihnen, kaum dass gemeinsam die letzte Schlacht gegen den IS geschlagen war, Kirkuk entrissen und alle Hoffnung auf einen eigenen unabhängigen Staat auf absehbare Zeit beendeten.

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