Süddeutsche Zeitung

Irak-Enthüllung von Wikileaks:400.000 geheime Dokumente

Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht geheime US-Militärdokumente über den Irak-Krieg. Darin sollen Folter und Missbrauch irakischer Häftlinge durch irakische Polizisten und Soldaten dokumentiert sein. Die USA hätten die Folterpraktiken vertuscht.

Paul-Anton Krüger und Janek Schmidt

Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht an diesem Samstag geheime US-Militärdokumente über den Irak-Krieg. Das berichteten am späten Freitagabend übereinstimmend der arabische Fernsehsender al-Dschasira und die britische Zeitung Guardian. Laut dem Sender belegen die Dokumente "zahlreiche Fälle von Folter und Missbrauch irakischer Häftlinge durch irakische Polizisten und Soldaten". Die USA hätten in mehr als tausend Fällen die vom Irak offenbar gedeckten Folterpraktiken vertuscht. Dabei habe die US-Armee laut den Militärdokumenten die Anweisung erhalten, nicht gegen die Misshandlungen einzuschreiten, berichtete al-Dschasira unter Berufung auf Wikileaks.

Laut dem TV-Sender mit Sitz in Katar stammen die zitierten Unterlagen aus der Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2009. Wikileaks besitze 400.000 Dokumente. Dies wäre die umfangreichste Veröffentlichung von US- Geheiminformationen, die es je gegeben hat. Nach Angaben von al-Dschasira hatte Wikileaks dem Sender die Dokumente zehn Wochen lang zur Sichtung zur Verfügung gestellt. Wikileaks hatte eine Pressekonferenz für diesen Samstag angekündigt und damit Spekulationen über eine Veröffentlichung angeheizt.

Al-Dschasira berichtete weiter, während des Irak-Kriegs seien "Hunderte Zivilisten an Kontrollposten der US-Armee" getötet worden. Auch zeigten die Dokumente bislang unbekannte Fälle, in denen Mitarbeiter der umstrittenen Sicherheitsfirma Blackwater, heute Xe Services, auf Zivilisten schossen. Der Guardian schrieb auf seiner Internetseite von Belegen für Kriegsverbrechen. Mehr als 15.000 Zivilisten seien bei bisher unbekannten Vorfällen umgekommen. Entgegen früherer Dementis Washingtons habe die US-Armee während des gesamten Krieges die Zahl der Toten protokolliert. Demnach seien 66081 von 109.000 Kriegsopfern Zivilisten gewesen. Damit ist die Zahl laut al-Dschasira "viel höher gewesen als offiziell angegeben".

Die Dokumente belegen demnach auch die Unterstützung der iranischen Regierung für schiitische Milizen im Nachbarland. "Die Papiere stellen Irans geheimen Krieg im Irak detailliert dar und erörtern, wie Irans Revolutionsgarden angeblich Waffen an Aufständische geliefert haben", teilte al-Dschasira mit. Zudem enthielten die Dokumente Berichte der US-Armee über Iraks Premier Nuri al-Maliki und "Vorwürfe von seinen Verbindungen zu Todesschwadronen".

In Erwartung der bevorstehenden Veröffentlichung hatte sich das US-Verteidigungsministerium am Nachmittag bereits bemüht, den Neuigkeitswert der Dokumente herunterzuspielen. "Da wird es wahrscheinlich keine großen Überraschungen geben", sagte ein Sprecher in Washington. "Das sind alles Nachrichten von gestern." Über das meiste sei bereits "sehr, sehr ausführlich berichtet worden". Das Pentagon hat dennoch eine 120 Mann starke Arbeitsgruppe eingerichtet, um den befürchteten Schaden durch die Veröffentlichung zu begrenzen. Sie hat jene Dokumente gesichtet, die Wikileaks nach Vermutung des Pentagon veröffentlichen wird. Dabei identifizierten die Analysten Namen und andere sensible Informationen und warnten das für den Irak zuständige Central Command vor. Die genaue Natur der Dokumente war nicht bekannt, ebenso wenig war klar, ob und wie sie auf Echtheit überprüft worden sind. Wikileaks hatte im Juli bereits 77000 Dokumente zum Afghanistan-Krieg veröffentlicht.

US-Außenministerin Hillary Clinton griff Wikileaks noch am Freitagabend scharf an. Sie verurteile es "klar und eindeutig", sollten geheime Unterlagen zugänglich gemacht werden, sagte sie. Solche Enthüllungen gefährdeten Leben und bedrohten die nationale Sicherheit der USA "und derer, die mit uns zusammenarbeiten".

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SZ vom 23.10.2010/segi
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