Süddeutsche Zeitung

Irak:Machtkampf per Drohne

Mit Sprengstoff beladene Flugkörper sollten Iraks Premier Mustafa al-Kadhimi töten. Er überlebte - und gilt vielen Landsleuten nun als Held. Doch die Iran nahestehenden Kräfte werden kaum nachgeben, es geht um ihre Existenz.

Von Thore Schröder, Beirut

Für den Experten grenzen die Bilder vom Anschlagsort, der Residenz des irakischen Premiers, den Täterkreis deutlich ein. "Die aufgefundenen Bestandteile der verwendeten Drohnen und ihrer Zuladungen sind nahezu identisch mit ähnlichen Komponenten vom Anschlag auf die US-Botschaft im Juli 2021", sagt der Drohnenfachmann Markus Reisner. Diese Waffen werden seit Monaten auch immer wieder gegen US-Streitkräfte im Irak eingesetzt, so der Österreicher. Sie sind also eine neue Standardwaffe proiranischer Milizen.

Insgesamt drei mit Abwurfladungen versehene Drohnen waren am frühen Sonntagmorgen auf das Haus des Premiers gesteuert worden. Zwei konnten abgefangen werden. Eine dritte sprengte eine Tür der Residenz auf, ließ Betonteile von der Decke stürzen und zerstörte ein geparktes Auto. Sieben Wachleute wurden verletzt.

Mustafa al-Kadhimi zeigte sich wenige Stunden nach dem Anschlag bei einer Fernsehansprache. "Feige Raketen- und Drohnenangriffe errichten keine Heimat und keine Zukunft", sagte er und trug dabei offensichtlich einen Verband am linken Handgelenk. Große Teile der politische Klasse in Bagdad sind nach der Mordattacke in Aufregung.

Einen Anschlag auf einen amtierenden Premierminister hat es seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 nicht gegeben. "Der friedliche Transfer der Macht ist seitdem ein hohes Gut im Irak", sagt der Nahostexperte Daniel Gerlach, Leiter einer internationalen Expertenkommission beim Nationalen Dialog. Dieses Gesprächsformat bringt Vertreter der Zivilgesellschaft und Politiker zusammen. Die nächste Runde war eigentlich für Ende dieses Monats in der irakischen Hauptstadt geplant.

Nach der Drohnenattacke fuhren Panzer in Bagdad auf, Helikopter kreisten über der Green Zone nahe dem Anschlagsort. Gleichzeitig harrten die Anhänger schiitischer Milizen in ihrem benachbarten Protestcamp aus. Dieses hatten sie nach der Parlamentswahl am 10. Oktober aufgeschlagen, um eine Neuauszählung der Stimmen zu erwirken.

Den Irakern ist Strom wichtiger als der Kampf gegen den IS

Der Urnengang, der laut internationalen Beobachtern vorbildlich abgelaufen ist, endete für die Iran nahestehende Fatah-Koalition mit einer schweren Niederlage. Waren sie bei der Wahl 2018 mit 48 Sitzen noch zweitstärkste Kraft geworden, erreichten sie nun lediglich 14. Aus zwei wesentlichen Gründen: Zum einen hatten sie taktisch versagt, weil sich ihre Kandidaten in vielen neu konzipierten Wahlbezirken gegenseitig Stimmen abnahmen.

Zum anderen hatte sich der Fokus der Iraker verändert: Der "Islamische Staat", gegen den die Iran nahestehenden sogenannten "Volksmobilmachungseinheiten", die Hashd al-Shaabi, gekämpft hatten, wird von vielen nicht mehr als existenzielle Gefahr eingestuft. "Vielmehr verlangen die Menschen jetzt vor allem Dienstleistungen wie Strom im teils über 50 Grad heißen Sommer", sagt die Irak-Expertin Inna Rudolf vom Londoner King's College.

Mit großem Erfolg hatte sich der schiitische Prediger Moqtada al-Sadr im Wahlkampf als von Iran unabhängiger Kämpfer gegen die Korruption dargestellt und seinem Image als islamistischer Warlord entgegengewirkt. Damit trug er auch der nationalen Protestbewegung im Herbst 2019 Rechnung. Vor zwei Jahren gingen Tausende junge Iraker gegen den Nepotismus der Herrschenden auf die Straßen. Al-Sadrs Bewegung erreichte bei der Wahl nun 73 Sitze, die relative Mehrheit. Der Schiitenführer dringt auf die Bildung einer Mehrheitsregierung ohne Fatah-Beteiligung. Der frühere Geheimdienstchef Mustafa al-Kadhimi könnte als parteiloser Technokrat Regierungschef bleiben.

Dem Premier wurde nach dem Anschlag umfangreicher Beistand aus der Region, Europa und den USA zugesichert. Als Überlebender eines gezielten Tötungsversuchs hat er politisches Kapital gewonnen. Für viele gilt er als Held. Es bieten sich drei mögliche Szenarien: Al-Kadhimi bleibt im Amt mit Unterstützung der Anhänger al-Sadrs, ein Angehöriger der Sadristen selbst wird Regierungschef, oder aber es findet sich ein Konsenskandidat, der die Lager ohne die Sadristen zusammenführt. Für letzteres könnte sich laut Daniel Gerlach Ex-Premier Nuri al-Maliki anbieten, der angeblich in diesen Tagen eine konstruktive Rolle als Initiator von Gesprächen spielt in Bagdad. "Er ist gerade dabei, sich neu zu erfinden", so Gerlach.

Die Milizen wollen ihren Teil an der Macht

Die Hashd al-Shaabi dürften ihre drohende Marginalisierung nicht einfach hinnehmen. Schließlich geht es bei der Vergabe von Posten und Ministerien auch um Budget und damit Versorgung. Die Integration ihrer Kampfverbände in die nationalen Sicherheitskräfte ist für sie nicht hinnehmbar.

Die Frage ist nun, wie weit sie gehen könnten, um ihre Ziele durchzusetzen, insbesondere nach dem Anschlagschock. Am Freitag war es bereits zu schweren Ausschreitungen nahe der Green Zone gekommen, bei der die staatlichen Sicherheitskräfte mindestens zwei Milizionäre erschossen. Ein Partei- und Milizführer hatte wenige Stunden vor dem Drohnenangriff dem Premier öffentlich gedroht: "Das Blut der Märtyrer wird dich richten."

Laut Inna Rudolf vom King's College drohen die Hashd al-Shaabi, bei vielen Irakern ihr positives Image zu verspielen: "Sie wurden 2014 als Retter des Staates im Kampf gegen den IS aufgestellt. Wenn sie sich nun gegen die Institutionen des Staates positionieren würden, untergrübe das ihr Gründungsnarrativ und damit ihre Glaubwürdigkeit."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5459392
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/jbb/cat
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.