Irak:Die Schergen des IS wissen, dass sie Mossul verlieren werden

Irak: Kurdische Peschmerga-Kämpfer am 17. Oktober 2016 auf dem Berg Zardak 25 Kilometer, östlich von Mossul.

Kurdische Peschmerga-Kämpfer am 17. Oktober 2016 auf dem Berg Zardak 25 Kilometer, östlich von Mossul.

(Foto: AFP)
  • Die Offensive auf Mossul hat begonnen: Bis zu 8000 Mitglieder des IS halten sich noch in der strategisch wichtigen Stadt auf.
  • Den Kämpfern der Terrormiliz steht eine Übermacht der irakischen Armee und der kurdischen Peschmerga gegenüber.
  • Westliche Geheimdienstler erwarten deshalb, dass die Dschihadisten im Kampf auf ihre bewährten Mittel setzen werden: Schon jetzt setzen sie Chemiewaffen ein und verbreiten Terror unter den Zivilisten.

Von Paul-Anton Krüger

Haidar al-Abadi zog den schwarzen Kampfanzug der Anti-Terror-Einheiten der irakischen Armee an, bevor er Montag um zwei Uhr morgens ins Fernsehen ging. Umringt von seinen Generälen verkündete der Premier aus der Kommandozentrale der Armee den lange erwarteten Beginn der Offensive, mit der Mossul aus den Händen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) befreit werden soll. "Die irakische Flagge wird in der Mitte von Mossul gehisst werden, in jedem Dorf und jeder Ecke, und das sehr bald", rief er.

Noch in der Nacht rückten kurdische Peschmerga-Kämpfer im Osten der einst zweitgrößten Metropole des Landes in eine Handvoll Dörfer vor; von den Amerikanern ausgebildete irakische Elitesoldaten waren jüngst nach einem Sonderurlaub bei ihren Familien an die Front im Süden beordert worden, von wo aus der Hauptvorstoß auf die Stadt geführt werden soll. Auch sie machten sich in langen Kolonnen auf den Weg in die entscheidende Schlacht um die letzte große Bastion des IS im Irak.

Kriegsparteien in Syrien und Irak

Unklar ist, ob der IS überhaupt kämpft - oder sich absetzt

In Mossul halten sich laut westlichen Geheimdiensten noch etwa 3000 bis 4500 Kämpfer des IS verschanzt, in manchen Schätzungen ist auch von 6000 oder 8000 die Rede. Ihnen stehen mehr als 20 000 irakische Soldaten und Polizisten gegenüber sowie Tausende Kämpfer verschiedener sunnitischer und schiitischer Milizen. Mehr als 5500 US-Soldaten unterstützen in verschiedensten Funktionen die Operation. Doch bis die irakischen Elite-Einheiten die schwarze Standarte des Dschihadisten von den Masten reißen, könnte es dauern.

"Maßgeblich wird es davon abhängen, ob der IS sich entscheidet zu kämpfen, oder ob sie versuchen, sich aus der Stadt Richtung Syrien abzusetzen", sagt Columb Strack, IS-Experte bei der Analyse-Firma IHS. Der IS wisse, dass er die Schlacht nicht gewinnen könne - die Frage sei, wie viel Ressourcen die Führung zu opfern bereit sei und ob die von Kadern überwachten Kämpfer, oft zwangsrekrutierte sunnitische Stammesleute, in großer Zahl desertieren würden. IS-Konvois aus Mossul seien vergangene Woche nach Raqqa gefahren, der syrischen Hauptstadt des Kalifats. Irakische Kommandeure sagen, sie würden ihnen diesen Weg vorerst offen lassen.

Die Dschihadisten brechen Widerstand mit Massenhinrichtungen

In der ersten Phase des Angriffs, der einige Wochen dauern könnte, werden die irakischen Truppen voraussichtlich den Ring um die Stadt enger ziehen und die Versorgung abschneiden. Dann dürften sie versuchen, in Viertel vorzustoßen, in denen der IS wenig Unterstützung genießt. Es gibt Berichte aus Mossul, dass sich manche Bürger gegen den IS erheben. Die Dschihadisten versuchen, aufkeimenden Widerstand mit Massenhinrichtungen zu brechen.

Zudem haben sie nach Informationen westlicher Geheimdienste in den vergangenen Monaten Verteidigungsanlagen errichtet, um den irakischen Soldaten den Vormarsch zu erschweren. Die wiederum verfügen nicht über die Ausrüstung und Logistik einer modernen Armee und nicht über die Möglichkeit, ihre Verletzten in Krankenhäuser auszufliegen, wie es etwa die USA tun. Sie müssen deswegen vorsichtiger vorgehen - und langsamer.

Mit Senfgas gegen die Übermacht

"Ein IS-Scharfschütze bindet Hundert Soldaten", sagte ein westlicher Geheimdienstler der Süddeutschen Zeitung. Zudem habe der IS die Zugänge der Stadt mit Tausenden Sprengfallen vermint, Gräben und Tunnelsysteme angelegt. In ihnen könnten sich die Kämpfer geschützt vor Luftangriffen bewegen. Selbstmordattentäter sollen sich auf Attacken mit massiven, fahrenden Autobomben vorbereiten. Die Produktionsstätten des IS für chemische Kampfstoffe wie Senfgas liegen in Mossul; einzelne Gift-Angriffe gegen kurdische und irakische Einheiten hat es in den vergangenen Wochen schon gegeben.

In der Stadt dürfte sich der IS Strack zufolge in dicht besiedelte ärmere Gebiete am westlichen Ufer des Tigris zurückziehen und sich dort in Regierungsgebäuden verschanzen. Luftangriffe und Artillerie können dort nur unter dem Risiko eingesetzt werden, Zivilisten zu töten und Infrastruktur sowie Kulturdenkmäler zu beschädigen - bis zu 1,5 Millionen Menschen sollen sich nach UN-Schätzungen noch in der Stadt befinden. Bis vor Kurzem konnten zumindest jene Mossul noch verlassen, die den IS dafür bezahlen konnten. Die Zurückgebliebenen könnte der IS nun als menschliche Schutzschilde missbrauchen und so den Kampf in die Länge ziehen.

Mossul hat für den IS große ideologische Bedeutung

US-Verteidigungsminister Ashton Carter sagte in Washington, der Beginn der Mossul-Offensive sei "ein entscheidender Moment" bei den Bemühungen, den "Islamischen Staat" zu besiegen. US-Truppen sind mit Hunderten Militärberatern in irakische Einheiten eingebettet; Luftangriffe und Unterstützung durch Apache-Kampfhubschrauber haben sich in früheren Operationen als entscheidend für den Erfolg der Iraker herausgestellt, ebenso wie die überlegene Aufklärung der Amerikaner durch Drohnen und Satelliten.

Mossul hat für den IS große ideologische Bedeutung. In der Großen Moschee der Stadt hatte sich Abu Bakr el-Bagdadi im Juni 2014 zum Kalifen ausgerufen und seinen umfassenden Herrschaftsanspruch formuliert. Mit gerade einmal 1000 Kämpfern hatte der IS zuvor die Stadt übernommen, die irakische Armee war geflohen. Vorbereitet hatte der IS die Aktion allerdings über viele Monate, in denen er die Stadt unterwanderte und geheimdienstähnliche Strukturen aufbaute - Offiziere aus dem Regime des gestürzten Diktators Saddam Hussein spielten dabei eine zentrale Rolle. 2006 schon hatte die Vorgängerorganisation des IS Mossul zur Hauptstadt ihre Islamischen Emirats im Irak erklärt.

Eine Eroberung wäre nicht das Ende des Kalifats

Nun warnen westliche Geheimdienste und das US-Militär allerdings, dass die Rückeroberung Mossuls noch nicht das Ende des Kalifats wäre. "Es wird dann immer noch vom IS kontrollierte Gebiete geben", sagte ein Analyst, sowohl im Irak als auch in Syrien. In Gesprächen mit hohen irakischen Offizieren sei wenig zu spüren vom großen Optimismus, wie ihn die Regierung in Bagdad zur Schau stellt. Zumindest aber könnte US-Präsident Barack Obama zum Ende seiner Amtszeit einen symbolisch wichtigen Erfolg seiner umstrittenen Strategie gegen den IS vermelden. Die Dschihadisten endgültig niederzuringen, vor allem in Syrien, bleibt seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin überlassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: