Irak:Der Premier vor dem Aus

Regierungschef wankt unter dem Druck der Straße und unter den Attacken des Klerikers Muqtada al-Sadr. Bei wochenlangen Protesten waren 250 Menschen ums Leben gekommen.

Von Paul-Anton Krüger

Im Irak zeichnet sich nach wochenlangen Protesten mit mehr als 250 Toten die Ablösung der Regierung von Premierminister Adil Abdul Mahdi ab. Der politische Führer der stärksten Fraktion im Parlament, der populistische schiitische Kleriker Muktada al-Sadr, hat den Regierungschef aufgefordert, Neuwahlen anzusetzen. Mahdi ist dem bislang aber nicht nachgekommen. Daraufhin rief Sadr am Dienstagabend den eng mit Iran verbündeten schiitischen Milizenführer Hadi al-Ameri, der die zweitgrößte Fraktion im Parlament kontrolliert, auf, gemeinsam mit ihm den Regierungschef zu entmachten. Amiri ließ daraufhin eine Erklärung verbreiten, in der es hieß: "Wir werden zusammenarbeiten, um die Interessen des irakischen Volkes zu schützen und die Nation in Übereinstimmung mit dem öffentlichen Interesse zu retten."

Seither gehen Abgeordnete in Bagdad davon aus, dass sich der Regierungschef nicht wird halten können, auch wenn alle mit Iran verbündeten Gruppen bislang der Regierung die Treue hielten. Mahdi hat keine eigene Machtbasis im Parlament und war als Kompromisskandidat zwischen den rivalisierenden schiitischen Gruppen ins Amt gekommen - Sadr steht dem iranischen Einfluss sehr kritisch gegenüber, währen die meisten anderen schiitischen Gruppen Iran nahestehen.

Proteste im Irak

Ruhe vor dem nächsten Sturm: Demonstranten hinter einer Barrikade, während Sicherheitskräfte Bagdads Grüne Zone absperren.

(Foto: Hadi Mizban/AP/dpa)

International wurden in seine Regierung zunächst gewisse Hoffnungen gesetzt, weil Mahdi als unbestechlich und kompetent galt. Ihm gelang es aber nicht, die Günstlingswirtschaft aufzubrechen. Schon die Besetzung der wichtigen Ministerämter für Inneres, Verteidigung und Justiz zog sich monatelang hin und hatten Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit des Premiers geweckt.

In Bagdad versammelten sich am Mittwoch erneut Zehntausende überwiegend junge Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz. Die Polizei beschoss sie mit Tränengas, als sie versuchten, in die Grüne Zone vorzudringen, wo sich die meisten Regierungsinstitutionen und viele Botschaften befinden. Bei einem Raketenangriff in der stark gesicherten Grünen Zone in Bagdad ist nach Angaben aus Sicherheitskreisen ein irakischer Soldat getötet worden, berichtete die Nachrichtenagentur AP. Mindestens eine der beiden am Mittwochabend abgefeuerten Raketen sei rund 100 Meter vom Gelände der US-Botschaft entfernt gelandet. Auch in den Städten des schiitisch geprägten Südens kam es zu neuen Protesten, Demonstranten blockierten den Hafen von Umm Qasar. In der Nacht zuvor waren laut Ärzten in der für Schiiten heiligen Stadt Kerbela 18 Demonstranten getötet und mehr als 800 verletzt worden. Der Gouverneur bestritt ebenso wie der Premier und das Militär, dass es Tote gegeben habe.

Die Demonstranten glauben ihnen nicht mehr, seit auch in Bagdad Dutzende während weitgehend friedlicher Proteste getötet wurden. In manchen Fällen feuerten vermummte Scharfschützen gezielt mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten. Seit dem Beginn der Proteste Anfang Oktober sind mindestens 250 Menschen getötet worden. Im Irak vermuten viele Menschen, dass mit Iran verbündete Milizen für die Gewalt mitverantwortlich sind. Die Protestierenden skandierten Parolen wie: "Iran raus!"

Hariri wieder bereit

Der nach landesweiten Protesten zurückgetretene libanesische Ministerpräsident Saad al-Hariri soll geschäftsführend im Amt bleiben. Laut einem Vertrauten ist er auch bereit, eine neue Regierung anzuführen. Dem Kabinett müssten aber Experten angehören, die Wirtschaftsreformen rasch umsetzen. In Beirut bauten Demonstranten indes Barrikaden ab. dpa

Irans Oberster Führer Ali Chamenei sagte mit Blick auf die Proteste im Irak und in Libanon, die Demonstranten hätten legitime Forderungen, sie könnten diese aber nur "im Rahmen der bestehenden Gesetze" erreichen. Er beschuldigte "einige westliche Länder", den Aufruhr angestachelt zu haben, auch habe "Geld aus einigen reaktionären Staaten" dazu beigetragen - eine Chiffre für die sunnitischen Golfstaaten, vor allem Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Demonstranten fordern nicht mehr nur den Rücktritt der Regierung, sondern ein neues politisches System. Sie machen das informelle Proporzsystem für die Misere bei der Strom- und Wasserversorgung und die Korruption verantwortlich. Es war nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein 2003 durch die Amerikaner etabliert worden. Sadr hatte sich im Wahlkampf mit den Kommunisten und anderen säkularen Gruppen verbündet und gegen dieses System gewandt. Er kann wie kein anderer Politiker im Irak seine Anhänger mobilisieren.

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