Irak:Das Scheitern studieren

Irak: Kurdenpräsident Massud Barsani empfängt Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Kurdenpräsident Massud Barsani empfängt Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

(Foto: Safin Hamed/AFP)

Bundesaußenminister Steinmeier besucht das Land und lernt zwei Welten kennen: Das umkämpfte Bagdad und das aufstrebende Erbil. Die Kurden dort könnten den Krieg gegen den IS gewinnen - und damit zum Problem werden.

Von Stefan Braun, Bagdad/Erbil

Ohne diese Weste geht nichts. Bis heute nicht. Jedenfalls nicht, wenn man mit offizieller Delegation kommt. Schusssichere Weste, Splitterschutzweste, Schutz-gegen-irgendwie-alles-Weste - wer einen Minister nach Bagdad begleitet, muss diese zwanzig Kilo Tarnfleckmuster tragen. Quasi als Eintrittskarte.

Dazu kommt der gepanzerte Wagen, kommen Straßensperren und Betonmauern links und rechts des Weges, die Selbstmordattentäter vom Selbstmord abhalten sollen. Außerdem überall bewaffnete Wachleute, Pick-ups mit Maschinenge-wehren, Panzer. In Bagdad wird, jedenfalls wenn man im Regierungs-Tross anreist, so viel an Sicherheit gedacht, dass man sich nur noch bedroht fühlt. Die Stadt zählt zu den gefährlichsten der Welt. Und das schwingt jede Sekunde mit, bei jeder Fahrt durch die Stadt, jedem Standortwechsel, jedem Gespräch. So verletzlich wirkt alles, dass auch gute Nachrichten schnell vom Bedrohungsgefühl überspült werden.

Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist für zwei Tage in den Irak gekommen. Der deutsche Außenminister will den Blick hierher lenken. Während alle Welt seit Wochen ins Nachbarland Syrien starrt, kommt auch dieses Land nicht aus der Krise. Und auch im Irak wird gegen die Terrormiliz Islamischer Staat gekämpft.

Und nicht nur das. Im Irak lässt sich trefflich studieren, was auch in Syrien mit guten Ansätzen starten, aber am Ende ganz furchtbar scheitern könnte. Fragil ist ein Hilfsausdruck für die Lage. Im Land herrscht ein sehr instabiles Gleichgewicht zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden, die seit dem Sturz des grausamen Dikta-tors Saddam Hussein mehr schlecht als recht versuchen, sich die Macht zu teilen. Ebenso wie in Syrien dominierte hier jahrzehntelang eine diktatorisch regierende Machtclique; hier wie dort drohen schwerste Konflikte und Zerfallserscheinungen bei denen, die dem Schreckensherrscher nachfolgen. Alles, was in Syrien an Machtteilung, Ämtertrennung, Gleichberechtigung zwischen den Religionen versucht werden wird, könnte bald dem ähneln, was sich im Irak an Misstrauen und Streit, Separierung und Konkurrenz breitgemacht hat. Gleiche Rechte? Sind ein schöner Traum geblieben.

Es fehlt die Zeit, den Blick nach links oder rechts zu wenden. Hier schaut man lieber nach vorne

Steinmeier besucht in Bagdad Präsident Fuad Masum, einen Kurden. Er spricht mit Ministerpräsident Haidar al-Abadi und Außenminister Ibrahim al-Dschafari, beide Schiiten. Und er schaut bei Parlamentspräsident Salim al-Jubouri vorbei, einem Sunniten. Von allen vier bekommt er schöne Worte zu hören; alle vier versichern, dass sie sich sehr für einen fairen Ausgleich einsetzen. Natürlich wissen sie, dass Steinmeier das hören möchte. Trotzdem wissen die Gastgeber wie ihr Besucher, dass die sogenannte Inklusion, also die Beteiligung, besser gesagt das Ende der totalen Benachteiligung der Sunniten im Land kaum bis gar nicht vorankommt. Nicht beim Militär, nicht in den Verwaltungen, nicht bei den Sicherheitsbehörden. Im Gegenteil fällt in diesen Tagen vor allem eines ins Auge, und das sind die zahllosen Fähnchen und Konterfeis schiitischer Politiker, die an fast jeder Straßensperre und an jedem Eingang zu den Ministerien im Wind flattern. Klarer könnte die Botschaft kaum sein, mit der die herrschende schiitische Elite jeden Tag zeigt, was sie von Gleichberechtigung hält: nämlich wenig.

Ein bisschen verärgert, ein bisschen trotzig lobt Steinmeier bei der Pressekonferenz zwar "mutige Schritte" hin zu einer Versöhnung. Doch sein Hinweis, ohne ebendiese Versöhnung werde das Land nicht auf die Beine kommen, ist für Steinmeier'sche Verhältnisse eine ziemlich un-missverständliche Warnung, mit dem Aus-gleich endlich Ernst zu machen.

Dass sein Kollege al-Dschafari die Worte so liest, wie sie gemeint sind, zeigt ein kleiner Hinweis zum Abschied. Erst be-dankt er sich höflich für die deutsche Hilfe, vor allem beim Wiederaufbau von Städten wie Tikrit, die dem IS entrissen werden konnten. Dann aber fügt der Iraker hinzu, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bekanntermaßen sehr viel Aufbauhilfe erhalten habe. Seine Botschaft: Ihr habt es gut gehabt, erinnert euch daran, werdet nicht zu Oberlehrern.

Botschaften wie diese würden Massud Barsani zurzeit nicht über die Lippen kommen. Zu anders sind seine Situation und sein Ziel. Barsanis Palast thront über den weiten Hügeln Kurdistans. Eine schnelle halbe Stunde Autofahrt von der Provinzhauptstadt Erbil entfernt, empfängt der kurdische Präsident den deutschen Außenminister. Mit seinem Palast protzt er nicht und zeigt doch den Stolz eines Staatschefs im Wartestand, dem die Zeitläufte im Augenblick sehr in die Hände spielen. So sehr die Zentralregierung in Bagdad ums Überleben kämpft, so gut meinen es die Entwicklungen derzeit mit Barsani und seinen Truppen.

Hier gibt es zwar auch an jeder Ecke eine Heerschar an Polizisten, Geheimdienst-lern und Sicherheitsbeamten. Trotzdem ist hier mehr Aufbruch als Angst. Schutzwesten trägt hier niemand, und trotz aller Vorsicht herrscht hier nicht die Bagdader Daueranspannung. In Erbil gibt es mehr Rohbauten, die in den Himmel schießen, als die einstürzende Altbauten, die in Bagdad das Stadtbild beherrschen. Als die Ministerkolonne in schweren Jeeps die kurvige Straße Richtung Barsani-Palast hinaufbraust, bleibt kaum Zeit, den Blick mal nach links oder nach rechts zu wenden. Das stört niemanden. Der Blick nach vorne ist es, von dem hier viele beseelt sind.

Ein Land, zwei Welten, das ist der Irak, wie er Steinmeier in diesen zwei Tagen begegnet. In Erbil besucht Steinmeier ein Flüchtlingslager, das gut geführt wird. Er fährt bei den deutschen Soldaten vorbei, die seit gut einem Jahr kurdische Peschmerga ausbilden. Hier ist kein Chaos, hier gibt es viel von dem, was sich westliche Politiker wie Steinmeier nur wünschen können im Kampf gegen die IS-Milizen.

Umso größer könnte das Problem werden, wenn das Problem IS einst gelöst sein sollte. Gemeint ist der Wunsch nach Unabhängigkeit, über den niemand sprechen will, aber über den alle nachdenken. Auch weil Barsanis Peschmerga, wenn sie Gebiete wie die Stadt Sindschar befreien, ziemlich genau darauf achten, dass sie sich nur dort engagieren, wo für sie Kurdistan liegt oder liegen müsste. Für Steinmeier kann das bald zu einer unangenehmen Baustelle werden. Er halte ,,nichts von neuen Grenzen im Nahen Osten'', sagt er beschwörend, weil er für einen Irak ohne Kurden Schlimmstes befürchtet.

Barsani aber sieht das anders. Ganz anders. Niemand habe das Ziel der Unabhängigkeit verheimlicht, sagt er schmunzelnd. Niemand habe es aufgegeben. Barsani kann still genießen. Die Dinge laufen derzeit in seinem Sinne.

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