Süddeutsche Zeitung

Irak:Verbrannt auf der Corona-Intensivstation

Lesezeit: 3 min

In einem Krankenhaus in Bagdad bricht ein Feuer aus, Ärzte springen aus dem Fenster, um sich zu retten - Dutzende Menschen verbrennen. Die Katastrophe facht die Wut im Land über das marode Gesundheitssystem noch mehr an.

Von Paul-Anton Krüger, München

Der irakische Premierminister Mustafa al-Kadhimi zeigte sich entschlossen am Morgen nach der Katastrophe: "Nachlässigkeit in solchen Angelegenheiten ist kein Fehler, sondern ein Verbrechen", sagte er am Sonntag in Bagdad. Und jeder, der sich Nachlässigkeit zu Schulden kommen lassen habe, müsse dafür zur Verantwortung gezogen werden. Der Regierungschef gab den Behörden 24 Stunden, um Untersuchungsergebnisse zum Brand im Ibn-al-Khatib-Krankenhaus im Südosten der Hauptstadt vorzulegen.

Mindestens 82 Menschen sind in den Flammen gestorben. Mehr als 100 wurden verletzt; zum Teil erlitten sie schwere Verbrennungen und Rauchgasvergiftungen. Die Opferzahl könnte noch weiter steigen. Das Feuer war von einer Intensivstation für Covid-19-Patienten ausgegangen. In dem Krankenhaus wurden die schwersten Fälle behandelt; 30 Patienten lagen auf der Station in den Betten, bewegungsunfähig an Beatmungsgeräte angeschlossen.

Sprinklersystem oder Löschschläuche gab es nicht

Eine Sauerstoffflasche soll durch einen Unfall explodiert sein. Dann folgte eine tödliche Kettenreaktion: Mehr Flaschen mit dem lebensrettenden Gas flogen in die Luft, eine Feuerwand fraß sich durch die Räume. Ärzte und Pfleger sprangen aus den Fenstern im zweiten Stock, um sich zu retten. Angehörige stürmten in das brennende Hospital, um ihre Verwandten vor dem Feuertod zu bewahren.

Was der Chef des Zivilschutzes in der Hauptstadt, General Kadhim Bohan, nach der Höllennacht berichtete, wird die Wut der Menschen anfachen: Eine abgehängte Decke war nicht feuerfest, sondern beschleunigte den Brand noch. Ein Sprinklersystem oder Löschschläuche gab es nicht in dem Krankenhaus, genausowenig Rauchmelder. "Wenn es Rauchmelder gegeben hätte, wäre die Situation eine total andere gewesen", sagte Bohan im Staatsfernsehen.

Premier Kadhimi hat angeordnet, den Chef des Krankenhauses sowie den technischen Leiter festzunehmen und auch den Gesundheitsdirektor des Bezirks al-Rusafa, in dem das Krankenhaus liegt. Der Regierungschef hat eine Untersuchung angekündigt, die auch "die Verantwortlichen" im Gesundheitsministerium einbeziehen soll. Damit dürften sich viele Iraker kaum zufrieden geben. In sozialen Medien verbreitete sich am Sonntag die Forderung, Minister Hassan al-Tamimi zu entlassen. Auch die Menschenrechtskommission der Regierung verlangte dies.

Der Gesundheitsminister steht schon länger in der Kritik

Das Gesundheitssystem ist marode. Grassierende Korruption und jahrelange Unterfinanzierung haben dazu ebenso beigetragen wie US-Sanktionen und die Kriege, die das Land seit 2003 erschüttert haben. Viele Ärzte sind ausgewandert, in den Kliniken fehlt es oft schon an einfacher Ausstattung. Das fügt sich in das Bild eines Staates, der nicht imstande ist, seinen Bürgern grundlegende Dienstleistungen bereitzustellen, wie eine zuverlässige Stromversorgung oder vielerorts auch sauberes Trinkwasser.

Dagegen waren die Iraker schon 2019 auf die Straßen gegangen; sie forderten, das System zu stürzen, in dem Milliarden Petrodollars versickern. Ministerien sind im Irak oft nach politischem Proporz vergeben worden, auf den sich die Vertreter von Religions- und Volksgruppen verständigt haben. Die Amtsinhaber nutzen ihre Position nicht selten, um ihrem Gefolge Vorteile zu verschaffen, und sie vernachlässigen ihre eigentlichen Aufgaben - für die sie zudem oft gar nicht kompetent sind.

Gesundheitsminister al-Tamimi war bereits vergangenes Jahr wegen seines Corona-Managements in die Kritik geraten. Aktivisten hatten damals eine Online-Kampagne gestartet, mit der sie seine Entlassung forderten, nachdem die Infektionszahlen in Irak rapide gestiegen waren. Versprechen, die Zahl der Intensivbetten zu erhöhen, hat der Minister ebenso wenig erfüllt, wie die Zusagen, bereits im Februar mit Impfungen zu beginnen.

Das Land leidet bereits massiv unter Corona

Auch derzeit ist die Situation kritisch. Mehr als eine Million der 40 Millionen Bewohner hat sich laut der WHO seit Ausbruch der Pandemie angesteckt, 15 000 sind gestorben. Zuletzt wurden mehr als 8000 Neuinfektionen pro Tag gezählt. Viele Menschen meiden die Krankenhäuser, auch lassen sich nur wenige Iraker testen, weil sie das soziale Stigma fürchten, das mit einer Infektion einhergeht.

Präsident Barham Salih geißelte die Katastrophe bei Twitter als "Ergebnis von Korruption und Missmanagement", welche die staatlichen Institutionen zerstört habe. "Schmerz und Sympathie mit unseren Märtyrern" sei nicht genug, ohne die Verantwortlichen mit aller Strenge zur Rechenschaft zu ziehen. Derartige Forderungen aber haben die Iraker schon zu oft gehört, um ihnen noch zu glauben.

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