US-Präsidentschaftswahlkampf:Iowa offenbart das Dilemma der Demokraten

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Was die Begeisterung seiner Anhänger betrifft, ist Bernie Sanders kaum zu schlagen. Ein zweiter Platz bei der Vorwahl in Iowa würde für ihn schon einen Rückschlag bedeuten. (Foto: AFP)
  • In Iowa starten diesen Montag die Vorwahlen für die US-Präsidentschaftswahlen.
  • Der Staat hat ein besonderes Verfahren dabei.
  • Die demokratischen Anhänger müssen sich entscheiden, ob sie taktisch wählen und somit zum Beispiel den Kandidaten Joe Biden unterstützen, der momentan die vermeintlich besten Chancen hat, zu gewinnen.

Von Hubert Wetzel, Iowa City

Der kleine Junge hat keine Lust, Elizabeth Warren zu treffen. Er sitzt in der Turnhalle der West High School in Iowa City und spielt auf dem Telefon seiner Mutter ein Spiel, bei dem Züge Autos überfahren. Was kümmert ihn da diese Frau, von der die Wahlkampfmitarbeiterin behauptet, sie sei die "nächste Präsidentin"? Also wird ein kleines Mädchen ausgewählt, um hinter die Bühne zu gehen und dort Senatorin Warren zu begrüßen.

Solche Szenen spielen sich derzeit überall in Iowa ab. An diesem Montag beginnen in dem Bundesstaat im Mittleren Westen die Vorwahlen, in denen die Parteien ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im November bestimmen. Bei den Republikanern steht der Kandidat fest: Amtsinhaber Donald Trump. Bei den Demokraten bewerben sich dagegen fast ein Dutzend Frauen und Männer. Und um noch möglichst viele Wähler zu treffen und von sich zu überzeugen, hetzen sie in diesen letzten Stunden kreuz und quer durch Iowa und treten jeden Tag bei drei oder vier Wahlkampfveranstaltungen auf.

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Warren sieht dafür, dass es ihr dritter Auftritt an diesem Tag ist, noch sehr frisch aus. Sie kommt winkend auf die Bühne. Sie erzählt den Leuten, wie sie in Oklahoma aufgewachsen ist, wie sie ihren Job als Lehrerin verlor, weil sie schwanger war, wie sie gerackert hat, um Kindererziehung und Studium hinzukriegen, wie sie Anwältin, Juraprofessorin und schließlich Senatorin wurde. Jeder Satz in ihrer Rede läuft auf eine Botschaft zu: Ich bin eine von euch, ich weiß, wie hart das Leben ist, ich werde es als Präsidentin leichter für euch machen. Sie werde die Korruption in Washington abstellen, verspricht Warren, damit die Regierung sich wieder um die einfachen Bürger kümmert, nicht nur um Konzerne und Reiche. Den Menschen in der Halle, die meisten von ihnen Frauen, gefällt das.

Früher galt eine Faustregel: Egal, wie viele Kandidaten herkommen, es gibt nur drei Fahrkarten raus aus Iowa. Das bedeutet: Nur die drei Bestplatzierten der Vorwahl können von sich behaupten, ernsthafte Kandidaten zu sein. Es gehe nicht unbedingt darum, in Iowa zu gewinnen, sagt John Norris, ein altgedienter Demokrat, der in den vergangenen Jahrzehnten praktisch alle erfolgreichen demokratischen Politiker aus Iowa beraten hat. Wichtig sei für einen Kandidaten, durch ein gutes Ergebnis so viel Rückenwind zu bekommen, dass sie oder er mit Schwung in die nächsten Vorwahlen gehe - in New Hampshire, Nevada, South Carolina. "Unser Job hier in Iowa ist nicht, den endgültigen Präsidentschaftskandidaten auszuwählen", sagt Norris. "Sondern wir sieben die Leute aus, die eigentlich keine Chance im restlichen Vorwahlkampf haben."

In diesem Jahr, da sind sich die meisten Beobachter einig, gibt es mindestens vier Karten für die Fahrt aus Iowa heraus. Die Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren, der frühere Vizepräsident Joe Biden und der Kleinstadtbürgermeister Pete Buttigieg - sie alle haben genug Geld und Rückhalt bei den Parteianhängern, um weitermachen zu können, selbst wenn sie in Iowa nicht allzu erfolgreich sind. Die Senatorin Amy Klobuchar, deren Umfragewerte zuletzt gestiegen sind, würde vielleicht sagen, es gebe auch noch ein fünftes Ticket. Das mag eine subjektive Sicht sein. Aber Klobuchar ist immerhin so optimistisch, dass sie am Sonntag eine Wahlveranstaltung um 2.30 Uhr in der Nacht ansetzte.

Und wer weiß? Iowa ist ebenso berühmt wie berüchtigt für Überraschungen. Der Bundesstaat ist wie eine tückische Klippe, die Kandidaten umschiffen müssen und an der Felsen, Fallwinde und Strömungen lauern. Alle vier Jahre laufen hier Kandidaten auf Grund, die zuvor sehr chancenreich aussahen; die aber in dem Moment, in dem die Wähler etwas mitzureden hatten, jämmerlich untergingen. So erging es zum Beispiel dem Demokraten Howard Dean, dem enttäuschenden Drittplatzierten von 2004. Andere Kandidaten, etwa Barack Obama 2008, bekamen hingegen in Iowa so viel Wind in die Segel, dass sie stetig weitersegelten - bis zur Nominierung.

Es gibt zwei Abstimmungsrunden

Neben dem starren Kriterium der Platzierung gibt es ein zweites, sehr vages und flexibles, das für die Bewertung von Erfolg oder Misserfolg in Iowa wichtig ist: die Erwartungen. Ob ein Kandidat besser oder schlechter abschneidet als angenommen, kann die Berichterstattung nach der Wahl, das Image eines Bewerbers und damit die Entscheidung der Wähler in anderen Bundesstaaten nachhaltig beeinflussen.

Um Klobuchar als Beispiel zu nehmen: Wenn die Senatorin aus Minnesota, die bisher in den Umfragen eher dahindümpelte, am Montag tatsächlich ein zweistelliges Ergebnis bekäme, wie eine Erhebung es vorhersagt, wäre das ein gewaltiger Sieg - eine spektakuläre Comeback-Geschichte, selbst wenn sie nur Dritte oder Vierte wird. Sanders hingegen, der die Umfragen anführt, muss eigentlich gewinnen. Ein zweiter oder gar dritter Platz wäre für ihn ein Rückschlag, auch wenn er doppelt so viele Stimmen wie Klobuchar bekäme. Das Medienspiel mit Erwartungen und Prognosen zu gewinnen, ist daher mindestens so wichtig für Kandidaten in Iowa wie das Sammeln von Wählerstimmen.

Und es gibt noch eine Besonderheit, die die Wahl in Iowa so unberechenbar macht. Das ist der Umstand, dass in Iowa eigentlich gar keine Wahl stattfindet, jedenfalls nicht in dem Sinn, dass Wähler in einem Wahllokal ein Kreuz neben einem Namen auf einem Wahlzettel machen, diesen in eine Wahlurne werfen und wieder heimfahren. So laufen die Vorwahlen in Bundesstaaten ab, die eine "Primary" ausrichten. In Iowa gibt es jedoch "Caucuses" - Bürgerversammlungen, bei denen die Bewohner eines Wahlkreises sich in Schulen oder Feuerwachen treffen und zuweilen stundenlang über die Auswahl des richtigen Kandidaten diskutieren. Es gibt zwei Abstimmungsrunden, bei denen die Unterstützer der Bewerber sich in Gruppen aufteilen.

Nach der ersten Runde dürfen nur noch die Kandidaten gewählt werden, welche die Unterstützung von mindestens 15 Prozent der Anwesenden haben. Ein wesentlicher Teil des Caucus-Verfahrens ist, dass Wähler zwischen den Kandidatengruppen wechseln können und dazu von den Mitgliedern der anderen Gruppen sogar eindringlich ermutigt werden.

Insofern ist ein Caucus eine sehr kollektive, kommunikative, vor allem aber zeitraubende Veranstaltung. Es haben diejenigen Kandidaten einen Vorteil, die ihre Anhänger am Montagabend tatsächlich mobilisieren können und in jedem Bezirk engagierte Anhänger haben, die bei den Diskussionen und dem Umwerben unentschlossener Wähler mithelfen. Der Sieg bei einem Caucus hängt nicht nur vom politischen Programm eines Kandidaten ab, sondern auch davon, ob sein Wahlkampf gut organisiert ist und die Anhänger genügend Begeisterung mitbringen.

Was die Begeisterung angeht, so ist diese bei den Fans von Bernie Sanders vermutlich am größten. Als er am Freitagabend in Cedar Rapids in einer Konzerthalle auftrat, kamen um die 3000 Leute - so etwas gab es bei den Demokraten in Iowa noch nie. Sanders hielt eine eher trockene, recht klassenkämpferische Rede, die trotzdem von großem Jubel begleitet wurde. Doch es war kein Zufall, dass Sanders seine vielen jungen Anhänger bat, am Montag auch tatsächlich zum Caucus zu gehen, statt Netflix auf dem Sofa zu schauen. Junge Leute sind nicht die verlässlichsten Wähler.

In diesem Jahr verkompliziert ein weiterer Faktor die Lage: Donald Trump. Den verhassten Präsidenten im November zu schlagen, sei das mit Abstand wichtigste Ziel der meisten Demokraten, sagt Norris. Die Furcht ist daher groß, dass die Partei jemanden nominiert, der zwar sympathisch ist und die richtigen politischen Ideen hat, bei dem aber ein hohes Risiko besteht, dass er gegen Trump verliert. "Viele Demokraten haben panische Angst, jetzt beim Caucus die falsche Wahl zu treffen", sagt Norris. Das macht es für Sanders schwer, vor allem aber für Warren. Eine linke Frau als Kandidatin - das würde vielen Demokraten gefallen. Aber unter anderem weil Umfragen immer wieder zeigen, dass Joe Biden gegen Trump vermeintlich bessere Chancen hätte, liegt der ehemalige Vizepräsident in Iowa stabil vor Warren.

John Norris hält nichts von solchen taktischen Wahlentscheidungen. Ein Kandidat, der die Menschen begeistern könne, sei am Ende mehr wert als einer, der in Umfragen gut dastehe. "Ich rate den Leuten immer: Stimmt für denjenigen, den ihr am meisten mögt, nicht für den, den ihr für am wählbarsten haltet."

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© SZ vom 03.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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