Interview mit Salomon Korn:"Ich denke mal, wir schaffen das"

Kundgebung gegen Judenhass

"Es gibt einen stabilen Anteil von 20 bis 25 Prozent der Menschen in Deutschland, die antisemitisch eingestellt sind", sagt Korn, "aber die meisten denken anders".

(Foto: Maja Hitij/dpa)

Salomon Korn, langjähriger Vizepräsident des Zentralrats der Juden, über die Integration von Flüchtlingen, Pegida und den "Hype um Köln".

Interview von Oliver Das Gupta und Matthias Drobinski, Frankfurt am Main

Ist Deutschland seine Heimat? Das Wort sei ihm zu groß, sagt Salomon Korn. Frankfurt sei sein Zuhause. Und die deutsche Sprache. "Heine!", ruft er und rezitiert: "Unbequemer neuer Glauben! Wenn sie uns den Herrgott rauben, hat das Fluchen auch ein End. Himmel, Herrgott, Sakrament!"

SZ: Machen Sie sich Sorgen, Herr Korn?

Salomon Korn: Ich? Nur bedingt.

Das ganze Land macht sich Sorgen: ob man mit den Flüchtlingen überfordert ist, die Straßen noch sicher sind, ob Antisemitismus und Rechtsextremismus und Gewalt zunehmen.

Da muss man zwischen Realität und medialer Wirklichkeit unterscheiden. Unsere Wahrnehmung ist stark durch das geprägt, was in den Medien gezeigt wird.

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Geboren wurde Salomon Korn am 4. Juni 1943 in Lublin; seine Eltern verschlug es nach dem Krieg nach Frankfurt, von wo sie immer weg wollten und doch blieben. Korn studierte Architektur und Soziologie; das Zentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt ist nach seinen Plänen erbaut. Seit 1999 ist er Vorsitzender der Gemeinde, bis 2014 war er Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Als Publizist beteiligt sich Salomon Korn immer wieder an den politischen und intellektuellen Debatten in Deutschland.

(Foto: Getty Images)

Dass sich die Stimmung im Land gedreht hat, ist doch unübersehbar.

Dagegen hilft, auf die Fakten zu schauen. Mehr als eine Million Flüchtlinge sind gekommen, aber es leben mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland. Eine Gruppe begeht in Köln furchtbare Taten, aber fast alle Flüchtlinge finden dies abscheulich. Oder: Es gibt einen stabilen Anteil von 20 bis 25 Prozent der Menschen in Deutschland, die antisemitisch eingestellt sind. Aber die meisten denken anders. Die Wirklichkeit ist komplex.

Die Angst ist ein Medienphänomen? Der Vorwurf gegen die Journalisten geht derzeit eher so: Die verschweigen die Wahrheit, damit der Bürger sich nicht ängstigt.

Die Wahrnehmung, dass das Land am Abgrund steht, liegt am Hype nach Köln. Dass der Alltag anders läuft, droht vergessen zu werden. Die sexuelle Gewalt in Köln ist nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Ein anderer Ausschnitt ist, dass unsere Gemeinde einen guten Dialog mit Muslimen führt und ich gute Kontakte zu Muslimen habe. Ich finde die Lage besser, als zurzeit in den Medien dargestellt.

Was macht Ihnen mehr Sorgen: der Antisemitismus unter den Flüchtlingen oder jener der Neonazis?

Letzterer macht mir mehr Kummer. Ja: Gerade in den Ländern des Nahen Ostens wurden die Menschen antisemitisch und antiisraelisch erzogen. Damit werden wir uns auseinandersetzen müssen. Das rechte Spektrum erscheint mir aber festgefahrener und aggressiver zu sein. Mit den Muslimen müssen wir bestimmte Dinge diskutieren, das Verhältnis zur Gewalt, den Auftrag, die Welt zu islamisieren. Aber bedenklicher ist für Minderheiten, wenn ein Land nach rechts rückt.

Stimmt Merkels Satz: Wir schaffen das?

Ich stamme zwar aus dem Volk der Propheten, bin aber Architekt. Wir werden sicher nicht alle Probleme in den Griff bekommen. Bedeutet der Satz aber: "Wir schaffen es, die Mehrheit der Angekommenen irgendwann auf Dauer zu integrieren", dann glaube ich, dass er stimmt.

Das klingt nach Schweiß und Mühsal.

Es hat nach dem Krieg drei Generationen gedauert, bis Juden in Deutschland wieder einigermaßen heimisch waren - dabei kamen sie aus demselben Kulturkreis. Das ist bei den Muslimen anders. Vielleicht braucht ihre Integration mehr als drei Generationen. Ich denke mal, wir schaffen das. Aber wir drei hier werden nicht erleben, wie es ausgeht.

"Wir werden viel Geduld haben müssen"

Was muss nun passieren?

Die Integration kann nur gelingen, wenn wir Gemeinsamkeiten haben. Da ist zuerst die gemeinsame Sprache. Sie ist die Voraussetzung für die persönliche Begegnung, und ohne die können keine Feindbilder abgebaut werden. Dann, als nächster Schritt, muss die Relativierung des islamischen Totalitätsanspruchs stehen. Der totalitäre Islam, mit dem die Flüchtlinge aufgewachsen sind, beansprucht, die ganze Welt islamisch zu gestalten. Das ist so mit einer Demokratie nicht kompatibel.

Die CSU fordert eine Leitkultur.

Ich bin da skeptisch. Kultur ist ubiquitär. Sie ist vom Menschen geschaffen, sie ist wandelbar und von den jeweiligen historischen Verhältnissen geprägt. Das Gegenteil davon ist das Kulturverständnis einer Diktatur: Sie hat einfache Welterklärungsmodelle und blendet die Komplexität von Herkunft, Erziehung, Religion, Erfahrung aus. Wir werden sehr viel Geduld haben müssen. Wer glaubt, eine verordnete Leitkultur beschleunige den Prozess, der irrt.

Der Wunsch ist ja verständlich.

Das ist menschlich. Aber Kulturen, die keine Impulse von außen erhalten, verkalken. Unsere Kultur braucht Impulse. Der französische Schriftsteller Ernest Renan hat gesagt: Die Existenz der Nation ist ein tägliches Plebiszit. Das gilt auch für Kultur und Demokratie. Sie müssen sich täglich aufs Neue bewähren. Wer morgens aufsteht, muss wissen, dass an diesem Tag die Demokratie neu erkämpft werden muss. Das ist von den Einheimischen einzufordern und von den Flüchtlingen.

Einige Bundesländer verschenken inzwischen das Grundgesetz auf Arabisch.

Das ist eine schöne Geste - aber so, als ob man in einer fremden Gegend eine Landkarte in die Hand gedrückt bekommt. Aber um zu wissen, wie es dort aussieht, muss man hingehen. So ist es auch bei den Flüchtlingen. Die meisten sind gewohnt, dass ihnen jemand auf einfachste Weise die Welt erklärt. Nun sollen sie unser Differenzierungsweltbild annehmen. Das kann nur über die Generationen hinweg funktionieren.

Dass es auch hier Entdifferenzierungsprozesse gibt, macht das nicht leichter.

Ja, gerade auf der rechten Seite, wo nun auch versucht wird, alles auf einen Nenner und ein Feindbild zu bringen. Das wird leider nicht nur lauter, sondern auch breiter.

Zählt für Sie auch die AfD dazu?

Die AfD macht mir weniger Kummer, auch wenn ihr Weltbild grob geschnitzt ist. Größere Sorge bereitet mir, was jetzt von Menschen auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt, die nun ihrem Hass freien Lauf lassen. Es ist, glaube ich, nicht die Zahl der Antisemiten und Fremdenfeinde gewachsen, aber die Dreistigkeit hat zugenommen, mit der sie sich äußern.

Zehn Prozent würden AfD wählen.

Das ist keine große Überraschung. Wir müssen nur sehen, dass der demokratische Grundkonsens verpflichtend bleibt.

"Wer mit dem Vielfältigen nicht leben kann, ist für die Demokratie nicht reif"

Wie beschreiben Sie sich politisch?

Ich sehe mich als Liberalen.

Das über sich zu sagen ist ein wenig aus der Mode gekommen, oder?

Weil es mühsam ist. Eine liberale Haltung ist nicht im Besitz der absoluten Wahrheit, aber sie stellt Ansprüche: sich demokratische Spielregeln anzueignen und nach diesen zu leben. Sich um ein differenziertes Weltbild zu bemühen, es historisch zu gründen, um zu begreifen, wie schwer es war zu erreichen, was wir heute haben. In Ländern wie Ungarn oder auch Polen gibt es noch heute Vorurteilsstrukturen - auch rassistischer Art -, die wir für überwunden hielten. Wo man sich der nationalen Identität nicht sicher ist, setzt man sich ungern anderen Einflüssen aus.

Das gilt wohl auch für jene, die durch Dresden marschieren.

So ist es. Die Lebenserfahrung lehrt: Nur der Starke kann sich erlauben, schwach zu sein. Der Selbstbewusste kann akzeptieren, was ihm fremd ist. Wer mit dem Unvorhergesehenen, dem Vielfältigen, dem Differenzierten nicht leben kann, ist für die Demokratie nicht wirklich reif.

Hat sich Ihr Deutschlandbild geändert?

Nicht wesentlich. Dieses Land ist nicht in Gefahr, rückfällig zu werden. Natürlich sehen wir jetzt, was unter der Oberfläche gärt, da sollte man sich keine Illusionen machen. Aber demokratische Strukturen haben sich über zwei Generationen stabilisiert. Und deshalb bin ich dann doch gedämpft optimistisch.

Ignatz Bubis ist in Israel begraben. Sie haben ein Grab in Frankfurt gekauft.

Das zeigt den Generationenunterschied zwischen uns. Meine Eltern wollten auch in Israel begraben werden, für sie war die Erde in Deutschland blutgetränkt. Zuerst starb meine Mutter, ich ließ sie hier bestatten. Danach starb mein Vater. Ich wollte aber das Grab der beiden alle paar Wochen besuchen - also fragte ich unseren Rabbiner, ob ich die Eltern sofort nach Israel überführen müsse.

Was sagte der Rabbiner?

Es sei wichtiger, dass ich das Grab der Eltern oft besuche, als dass sie sofort in heiliger Erde lägen. Irgendwann müssten die beiden eben überführt werden. Vielleicht überlasse ich das unseren Kindern. Die Ewigkeit dauert noch lange genug.

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