Interview zur Debattenkultur:Wie man mit Populisten diskutiert - ohne ihnen in die Falle zu gehen

Lesezeit: 6 min

Auf einer Pegida-Kundgebung in Dresden (Foto: picture alliance / dpa)

Ist Deutschland auf dem Weg in den "geistigen Bürgerkrieg"? Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn erklärt, welche Fehler Populisten machen - und wie man diese ausnutzt.

Interview von Sebastian Gierke

SZ: Herr Zorn, ist die Debattenkultur in Deutschland kaputt?

Daniel-Pascal Zorn: Nein, aber sie verändert sich zum Schlechteren. Wir können das ja überall beobachten, auf der Straße, in den sozialen Medien, an der Universität. Die Bereitschaft, andere Sichtweisen zu akzeptieren, nimmt ab. Man geht lieber davon aus, dass man selbst schon richtig liegt. Das führt dann auch zu Debatten, die aber unproduktiv bleiben.

Woran liegt das?

Einerseits gibt es immer mehr Diskursformen, die sehr dogmatisch sind. Politische Auseinandersetzungen, die zum Beispiel auf Gemeinsamkeiten beruhen, werden verdrängt. Gleichzeitig neigen die Medien aber auch dazu, Beispiele für schiefgelaufene Kommunikation auszuwählen, die nicht überzeugen.

Wie meinen Sie das?

Das sind oft Gespräche, bei denen schon die Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass das Gespräch nicht gelingt.

In Dresden kam es vor Kurzem bei einer Kundgebung gegen ein Denkmal zu einer denkwürdig gescheiterten Diskussion zwischen einer Dresdnerin und dem sächsischen Wirtschaftsminister. Das ist doch eine typische Szene dafür, wie gerade in Deutschland gestritten wird.

Ja und nein. Ja, weil bei diesem Gespräch eine Seite gar nicht an Argumenten oder einer anderen Perspektive interessiert war, sondern schlicht ihren Unmut kundtun wollte.

Nein, weil das eine extreme Situation ist. Auf Demonstrationen demonstrieren Menschen ihren Unmut. Wenn da ein Politiker auftaucht, kann das als eine Form von Provokation aufgefasst werden. Man sollte nicht nur solche extremen Situationen betrachten.

Daniel-Pascal Zorn (Foto: oh)

Warum wollen sich Menschen anderen Meinungen nicht mehr aussetzen?

Menschen wollen vielleicht eine sichere argumentative Position haben und gegen Kritik immun sein. Dann setzen sie ihre Sichtweise von vornherein in Geltung oder gehen davon aus, dass alle anderen ihnen zustimmen müssen.

Alle wollen recht haben.

Ja, sozusagen. Daraus ergibt sich oft eine absurde Situation: Wenn jemand seine Meinung sagt und jemand anderes sagt etwas dagegen, klagt der Erste: Das schränkt meine Meinungsfreiheit ein. Dabei nimmt der andere die gleiche Meinungsfreiheit in Anspruch wie er selbst.

War das früher anders?

Die Auseinandersetzungen waren früher möglicherweise selbstbewusster. Sie waren nicht so sehr geprägt von Formen der Abschottung gegen andere Sichtweisen.

Was läuft da genau schief?

Sobald man die eigene Sichtweise von vornherein verabsolutiert, gerät man in einen Zirkel, einen sogenannten Bestätigungsfehler: Derjenige, der einem nicht zustimmt, liegt dann von vornherein falsch. Und da einem aus dieser Perspektive plötzlich ganz viele Menschen nicht mehr zustimmen, fühlt man sich davon unter Druck gesetzt, reagiert aggressiv.

SZ PlusManuel Arias Maldonado
:"Die Leute wollen ihr iPhone, keine Revolution"

Der spanische Philosoph Manuel Arias Maldonado über die Schnittmengen linker und rechter Populisten, wie wichtig Gefühle in der Politik sind - und warum sein Land ohne Krawall durch die Krise gekommen ist.

Von Sebastian Schoepp

Wie diskutiert man also richtig?

In einem Dialog sollte man erst mal nicht davon ausgehen, dass man recht hat. Man stellt eine Behauptung auf. Und man kann behaupten, dass der andere zustimmen soll, muss dafür aber Gründe vorlegen. Der andere muss die Gründe wahrnehmen und darüber nachdenken, ob er zustimmt. Wenn er nicht zustimmt, muss er sagen, warum. Das ist die Grundform des Gesprächs: Den anderen als gleichberechtigten Teilnehmer ernst nehmen.

Aber das ist doch eine Utopie. Es funktioniert nicht.

So wie ich das mache, ist es gerade keine Utopie. Was ich mache, ist einfach eine Beschreibung dessen, was wir sagen und was wir, indem wir es sagen, tun. Und das funktioniert sehr gut.

Ständig scheitern Gespräche.

Ich glaube, sie scheitern deshalb so häufig, weil wir uns sehr stark auf den Inhalt dessen, was wir sagen, konzentrieren. Dabei verlieren wir die Aufmerksamkeit dafür, was es bedeutet, an einem Dialog teilzunehmen. Und das zweite Problem ist, dass wir uns oft mit unseren Meinungen identifizieren. Wir nehmen sie als Eigenschaften unserer Person wahr. Und dann ist natürlich jede Kritik daran ein Angriff auf uns.

Ist nicht das Hauptproblem, dass heute nichts mehr wahr ist? Das hat uns die Postmoderne gelehrt.

Damit begehen Sie genau den Fehler, den ich beschrieben habe. Sie bezeichnen diesen Relativismus als gesetzt. Aber dann kann ich sagen, was ich will. Sie können immer sagen: Das ist eben so.

Aber ... Das ist eben so. Es gibt keine Fakten mehr, nur noch Interpretationen. Dieses Gefühl überführt Trump grade in die politische Praxis.

Diese Selbsterzählung von der postmodernen Lebensauffassung, dieser dogmatische Relativismus, das ist auch nur eine Aussage, eine Behauptung. Und dann müssen sie schauen, ob sie diese Aussage auch rechtfertigen können. Relativismus widerlegt man sehr leicht: Wenn Sie davon ausgehen, dass wir beide recht haben, dann kann ich damit recht haben, dass Sie unrecht haben. Sie hätten recht und unrecht zugleich. Und das widerspricht sich. Wenn aber einer von uns beiden recht und der andere unrecht hat, dann muss es dafür einen Grund, ein Kriterium, einen Maßstab geben. Darum geht es mir. Sie können alles Mögliche behaupten. Aber ob man es rechtfertigen kann, das steht auf einem anderen Blatt.

Das klingt sehr allgemein.

Deshalb habe ich mir ein konkretes Problem gesucht. Das Problem des populistischen Denkens. Aus der Beschreibung der Fehlschlüsse des Populismus kann man eine Art Werkzeugkasten für das Gespräch entwickeln.

Worin bestehen die Fehlschlüsse des Populismus?

Zum Beispiel, wenn sie behaupten, für alle anderen zu sprechen. Dazu müssten sie legitimiert sein. Oder wenn sie sagen: 'Die Wissenschaft hat aber gesagt.' Dann benutzen sie den Geltungsanspruch von jemand anderem für ihre Aussagen. Aber sie müssten erst mal zeigen, dass das, was der behauptet, auch gerechtfertigt ist.

Wahl in den Niederlanden
:"Manchmal ist Mittelmäßigkeit auch ein Segen"

Wut, Schuld, Scham: Bei der Wahl in den Niederlanden spielen diese Gefühle eine Rolle. Der Schriftsteller Herman Koch seziert sein Land brillant. Ein Gespräch über Toleranz, Überheblichkeit - und Wilders-Wähler.

Interview von Jakob Biazza

Und was bringt das in der Diskussion mit einem Populisten? Dem ist es doch egal, ob etwas gerechtfertigt werden kann oder nicht. Dessen Taktik ist es, eine Öffentlichkeit zu schaffen, in der jedes Argument gleich viel wert ist und die Wahrheit nichts mehr. So macht das Trump.

Aber nur wenn wir seine Fehlschlüsse erkennen und beschreiben, können wir sie auch kritisieren. Und auch anderen erklären, warum populistisches Denken, das immer eine dogmatische Setzung beinhaltet, nicht überzeugt. Denn genau diese anderen will ja auch der Populist erreichen. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass man dabei gar nicht an Inhalte gebunden ist. Anders als bei einer ideologischen Beschreibung des Populismus. Fehlschlüssig argumentieren, das können alle politischen Positionen, auch atheistische, wissenschaftliche, theistische. Der Inhalt ist hier nicht sonderlich relevant. Wichtig ist, welche Argumentationsformen in Anspruch genommen werden. Das trägt zur Versachlichung bei.

Muss man eigentlich mit jedem reden? Mit Nazis?

Ich behaupte gar nicht, dass man den Dialog immer oder mit jedem führen muss. Es ist jederzeit möglich, ein Gespräch abzubrechen, auch mal dogmatisch zu sein. Wichtig ist nur, dass sich diese Formen nicht verabsolutieren. Sonst befinden sie sich ganz schnell in einer Art geistigem Bürgerkrieg.

Geht man nicht erst durch das Gespräch mit einem Populisten diesem oft in die Falle? Der will ja ein Podium für seinen geistigen Bürgerkrieg.

Es geht nicht darum, jemanden von der Debatte auszuschließen. Es geht darum, zur Debatte einzuladen, aber gleichzeitig an die Kriterien zu erinnern, die jeder dafür mitbringt. Das Podium verpflichtet den Sprecher ja auch zu etwas.

Interview mit Josef Hader
:"In den USA kann der Populismus jetzt zeigen, was er drauf hat"

Der Kabarettist Josef Hader über Feinde, versagende Journalisten - und warum wir die Demokratie vielleicht doch noch retten können.

Interview von Tobias Kniebe

Aber wenn jemand nicht bereit ist, die Kriterien anzuerkennen. Wenn er nur provoziert?

Die Kriterien bringt er ja selbst zum Gespräch mit: Er nimmt an einer Diskussion teil, er nimmt Rechte in Anspruch, er erhebt Geltungsansprüche. Natürlich ist die Provokation eine Strategie des Populismus. Moralische Sichtweisen werden angetriggert und die Reaktionen, meistens Empörung, dann für sich genutzt. Zum Beispiel indem man sagt: 'Seht ihr, wir haben es euch doch gesagt. Das sind alles Moralisten.'

Was kann man dagegen tun?

Man kann auf Provokationen auch ohne Empörung reagieren. Indem man nicht sofort mit einer Gegenposition antwortet, sondern erst mal nachfragt, lässt man die Provokation ins Leere laufen.

Man muss doch seinen Standpunkt vertreten.

Der Begriff Provokation heißt wörtlich: hervorrufen. Eine Provokation ist genau dann keine mehr, wenn sie das nicht hervorruft, was sie hervorrufen soll. Und das kann man erreichen, ohne gleich in Schweigen verfallen zu müssen. Man kann einfach fragen: Warum? Kannst du diese Behauptung belegen? Worum geht es dir? Wenn man solche einfachen Fragen stellt, muss der Provokateur entweder seine Provokation wiederholen, wodurch sie als Provokation noch deutlicher wird. Oder er muss einen anderen Weg einschlagen. Dann hat die Provokation nicht funktioniert.

Provokation kann auch ein wichtiges Mittel in einer Debatte sein.

Klar, man kann damit Dogmatismen offenlegen.

Das müssen Sie erklären.

Ein Beispiel. Jemand sagt zu Ihnen: 'Sie sind ein Gutmensch, Sie sind ein Moralist.' Und Sie antworten darauf: 'Das sagen Sie nur, weil Sie ein böser Mensch sind.' Dann haben Sie vorausgesetzt, dass Sie festlegen können, wann jemand ein böser Mensch ist. Damit ist bewiesen: Sie sind ein Moralist. Die Provokation hat funktioniert.

Wenn Sie aber fragen: 'Warum sagen Sie das?' Und er antwortet: 'Weil Sie genau das sind, was ich von Ihnen glaube', dann bestätigt die Provokation nur sein geschlossenes Weltbild. Das sind feine Unterschiede, die man nur erkennt, wenn man dafür Aufmerksamkeit entwickelt.

Ich provoziere jetzt mal: An wen wenden Sie sich überhaupt? Doch nur an die gut gebildeten Eliten.

Nein, ich wende mich auch an die, die mit der Demokratie nicht so viel anfangen können. Und ich wende mich an diejenigen, die ratlos sind, wie sie mit Populisten umgehen sollen. Also an alle - mit einer Einschränkung: Wenn sie mein Buch lesen, sollten sie nicht davon ausgehen, dass ihre Weltanschauung der Maßstab von allem anderen ist. Denn dann werden sie daraus nicht viel gewinnen können.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Philosoph Michael Schmidt-Salomon
:"Solange Rechtspopulisten oder Islamisten keine Gesetze verletzen, müssen sie toleriert werden"

Wo sind die Grenzen der Toleranz? Der Philosoph Schmidt-Salomon sagt, man solle Demagogen recht geben, wo sie recht haben - und zugleich ihre Lächerlichkeit aufzeigen.

Interview von Markus C. Schulte von Drach

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: