SZ: Herr Zorn, ist die Debattenkultur in Deutschland kaputt?
Daniel-Pascal Zorn: Nein, aber sie verändert sich zum Schlechteren. Wir können das ja überall beobachten, auf der Straße, in den sozialen Medien, an der Universität. Die Bereitschaft, andere Sichtweisen zu akzeptieren, nimmt ab. Man geht lieber davon aus, dass man selbst schon richtig liegt. Das führt dann auch zu Debatten, die aber unproduktiv bleiben.
Woran liegt das?
Einerseits gibt es immer mehr Diskursformen, die sehr dogmatisch sind. Politische Auseinandersetzungen, die zum Beispiel auf Gemeinsamkeiten beruhen, werden verdrängt. Gleichzeitig neigen die Medien aber auch dazu, Beispiele für schiefgelaufene Kommunikation auszuwählen, die nicht überzeugen.
Wie meinen Sie das?
Das sind oft Gespräche, bei denen schon die Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass das Gespräch nicht gelingt.
In Dresden kam es vor Kurzem bei einer Kundgebung gegen ein Denkmal zu einer denkwürdig gescheiterten Diskussion zwischen einer Dresdnerin und dem sächsischen Wirtschaftsminister. Das ist doch eine typische Szene dafür, wie gerade in Deutschland gestritten wird.
Ja und nein. Ja, weil bei diesem Gespräch eine Seite gar nicht an Argumenten oder einer anderen Perspektive interessiert war, sondern schlicht ihren Unmut kundtun wollte.
Nein, weil das eine extreme Situation ist. Auf Demonstrationen demonstrieren Menschen ihren Unmut. Wenn da ein Politiker auftaucht, kann das als eine Form von Provokation aufgefasst werden. Man sollte nicht nur solche extremen Situationen betrachten.
Daniel-Pascal Zorn
(Foto: oh)Warum wollen sich Menschen anderen Meinungen nicht mehr aussetzen?
Menschen wollen vielleicht eine sichere argumentative Position haben und gegen Kritik immun sein. Dann setzen sie ihre Sichtweise von vornherein in Geltung oder gehen davon aus, dass alle anderen ihnen zustimmen müssen.
Alle wollen recht haben.
Ja, sozusagen. Daraus ergibt sich oft eine absurde Situation: Wenn jemand seine Meinung sagt und jemand anderes sagt etwas dagegen, klagt der Erste: Das schränkt meine Meinungsfreiheit ein. Dabei nimmt der andere die gleiche Meinungsfreiheit in Anspruch wie er selbst.
Durch das 2017 erschienene Buch "Mit Rechten reden", das er mit Maximilian Steinbeis und Per Leo geschrieben hat (Klett-Cotta, Stuttgart 2017, 183 Seiten, 14 Euro), wurde Daniel-Pascal Zorn (Jahrgang 1981) bekannt. Er studierte neben Philosophie auch Geschichte und Komparatistik. Das Mittel der Wahl des Philosophen: die Logik. So kommentiert er auf seiner Facebook-Seite aktuelle politische Äußerungen, indem er sie logisch auseinandernimmt.
War das früher anders?
Die Auseinandersetzungen waren früher möglicherweise selbstbewusster. Sie waren nicht so sehr geprägt von Formen der Abschottung gegen andere Sichtweisen.
Was läuft da genau schief?
Sobald man die eigene Sichtweise von vornherein verabsolutiert, gerät man in einen Zirkel, einen sogenannten Bestätigungsfehler: Derjenige, der einem nicht zustimmt, liegt dann von vornherein falsch. Und da einem aus dieser Perspektive plötzlich ganz viele Menschen nicht mehr zustimmen, fühlt man sich davon unter Druck gesetzt, reagiert aggressiv.
Wie diskutiert man also richtig?
In einem Dialog sollte man erst mal nicht davon ausgehen, dass man recht hat. Man stellt eine Behauptung auf. Und man kann behaupten, dass der andere zustimmen soll, muss dafür aber Gründe vorlegen. Der andere muss die Gründe wahrnehmen und darüber nachdenken, ob er zustimmt. Wenn er nicht zustimmt, muss er sagen, warum. Das ist die Grundform des Gesprächs: Den anderen als gleichberechtigten Teilnehmer ernst nehmen.
Aber das ist doch eine Utopie. Es funktioniert nicht.
So wie ich das mache, ist es gerade keine Utopie. Was ich mache, ist einfach eine Beschreibung dessen, was wir sagen und was wir, indem wir es sagen, tun. Und das funktioniert sehr gut.
Ständig scheitern Gespräche.
Ich glaube, sie scheitern deshalb so häufig, weil wir uns sehr stark auf den Inhalt dessen, was wir sagen, konzentrieren. Dabei verlieren wir die Aufmerksamkeit dafür, was es bedeutet, an einem Dialog teilzunehmen. Und das zweite Problem ist, dass wir uns oft mit unseren Meinungen identifizieren. Wir nehmen sie als Eigenschaften unserer Person wahr. Und dann ist natürlich jede Kritik daran ein Angriff auf uns.