Interview zur Bundestagswahl:"Merkel profitiert von der AfD und die AfD profitiert von Merkel"

Interview zur Bundestagswahl: Wahl-Watcher Michael Hampe wünscht sich ein Ende der Großen Koalition.

Wahl-Watcher Michael Hampe wünscht sich ein Ende der Großen Koalition.

(Foto: SZ)

Der Philosoph Michael Hampe erklärt in der neuen Folge Wahl-Watcher, warum er sich nach einem Ende der großen Koalition sehnt.

Interview von Karin Janker

Nachdem der Alternative für Deutschland (AfD) interne Streitigkeiten zwischen den Parteichefs und ihren Spitzenkandidaten zugesetzt hatten, nimmt ihr Wahlkampf nun Fahrt auf. Die Rechtspopulisten setzen auf ihre bewährte Strategie: Provokation. Der Philosoph Michael Hampe, der als Wahl-Watcher für die SZ den Bundestagswahlkampf kommentiert, findet die Anstandslosigkeit dieser Partei abstoßend. Sorgen bereitet ihm besonders, dass große Koalition und AfD sich seiner Meinung gegenseitig stärken.

SZ: Herr Hampe, die AfD wird wohl in den Bundestag einziehen, Umfragen verorten sie derzeit bei sieben bis zehn Prozent. Was bedeutet das für die politische Kultur unseres Landes?

Michael Hampe: Zunächst einmal werden die AfD-Abgeordneten vermutlich keine Bereicherung in Sachen Kompetenz bringen, was die Arbeit in Ausschüssen angeht. Mir ist aus der bisherigen Landtagsarbeit dieser Partei, etwa in Sachsen oder Baden-Württemberg, kein Beitrag zu irgendeiner Problemlösung bekannt. Und selbst ihre eigenen Wähler trauen ihr laut einer Umfrage mehrheitlich gar nicht zu, Probleme lösen zu können.

Sie zweifeln ihre politische Kompetenz an? Dabei begann die AfD doch als Professorenpartei.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass eine akademische Karriere nicht notwendig politisch kompetenter oder kompromissbereiter macht. Das bezieht sich auf den praktischen Aspekt der politischen Arbeit. Daneben aber bringt die AfD auch eine neue Grobheit in den politischen Diskurs, von der man lange dachte, dass sie in Deutschland nicht noch einmal Fuß fassen könnte. Man hat es in den vergangenen Tagen erst wieder gesehen: Die AfD macht Wahlkampf um den Preis der Verrohung der politischen Kultur.

Sie spielen auf die jüngsten Äußerungen von AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland an, der auf einer Wahlkampfveranstaltung in Thüringen verbal gegen Aydan Özoğuz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, ausfällig wurde.

Ja, bei Gaulands Äußerung, die einen Menschen mit Müll gleichsetzt, der "entsorgt" werden müsse, ist das typische Muster erkennbar, das schon frühere Ausfälle etwa von Björn Höcke kennzeichnete: Am Anfang steht der Tabubruch, der dann, nach zum Teil heftigen Reaktionen von Presse und Politikern, wieder halb zurückgenommen wird. Seine Klientel hat Gauland aber schon bedient, das Zurückrudern ändert daran nichts.

Gauland wehrt sich unter anderem mit dem Verweis auf einen SPD-Politiker, der im März 2013 getwittert habe, Merkel entsorgen zu wollen und also das gleiche Vokabular benutzt habe. Wird die AfD hier ungerecht behandelt?

Menschen mit Abfall gleichzusetzen ist immer unverschämt, auch wenn es von der SPD kommt. Es gibt aber einen Unterschied, ob man sich einmal im Ton vergreift oder ob der Anstandsverlust zum Habitus des Spitzenpersonals einer Partei gehört. Bei der AfD scheint mir die Dekultivierung eher Dauerstrategie.

"Die Sozialen Medien sind das Biotop, in dem sich eine solche Partei am wohlsten fühlt"

Oft heißt es, Angela Merkel und die große Koalition seien dafür verantwortlich, dass es die AfD überhaupt gibt. Existiert ein Zusammenhang zwischen Merkels "alternativloser" Politik und der Gründung der Alternative für Deutschland?

Große Koalition und Rechtspopulismus verstärken sich derzeit gegenseitig: Durch den breiten Konsens in der Mitte der Gesellschaft wird der Ton an ihren Rändern schärfer. Das wiederum sorgt dafür, dass die Mitte stärker zusammenrückt und eine bürgerliche Gegenmobilisierung einsetzt. Merkel profitiert von der AfD und die AfD profitiert von Merkel. Diese Wechselwirkung hört erst auf, wenn keine große Koalition mehr regiert. Das wäre ehrlich gesagt auch mein Wunsch für das Wahlergebnis: Die CDU sollte aufhören mit der eigenen Sozialdemokratisierung und die SPD wieder zu einem demokratischen Sozialismus für die kleinen Leute zurückfinden.

Dabei ist die AfD nicht die erste rechtspopulistische Partei in Nachkriegsdeutschland. Doch sie erreicht politische Einflussmöglichkeiten, von denen NPD, Republikaner und DVU weit entfernt waren. Woran liegt das?

Die AfD besitzt ein breiteres Profil. Sie bedient zwar auch eine rechtsradikale Klientel, aber eben nicht nur, sondern auch ehemalige CDU-Anhänger, die von ihrer Partei enttäuscht sind. Zudem sind AfD-Funktionäre auch talkshow-tauglicher, sind rhetorisch geschulter, wirken seriöser und haben deshalb deutlich mehr Auftritte in öffentlich-rechtlichen Sendungen als etwa die Mitglieder von NPD oder Republikanern jemals hatten. Diese mediale Öffentlichkeit nützt der Partei ebenfalls.

Allerdings gehört es auch zur Strategie der AfD, einen Großteil ihres Wahlkampfs an den gängigen Medien vorbei und direkt im Internet zu machen, wo sie potenzielle Wähler etwa auf Facebook viel unmittelbarer erreicht.

Die Sozialen Medien sind ohnehin das Biotop, in dem sich eine solche Partei am wohlsten fühlt: Das Internet ist in manchen Teilen schon ein ziemlich dekultivierter Raum; an vielen Orten herrscht dort eine zum Teil unerträgliche Rhetorik, ein Gemisch aus Hass und Unwahrheiten. In dieser Halb-Öffentlichkeit mit ihren Meinungsblasen können AfD-Mitglieder einen ganz anderen Ton an den Tag legen.

Die AfD hat mit der Erarbeitung einer Online-Wahlkampagne die US-amerikanische Agentur Harris Media beauftragt, die bereits mit der Brexit-Kampagne der britischen Ukip oder auch Wahlkampfstrategien für die US-Republikaner auf aggressive Weise um Wählerstimmen geworben hat.

Im Internet gibt es enorm viel zu holen. Nicht nur, weil der Ton hier rauer ist, sondern auch, weil Algorithmen ermitteln, welche Personen man mit zielgerichteter Wahlwerbung am ehesten noch auf seine Seite ziehen kann. Personalisierte Wahlwerbung auf Facebook hat bereits Barack Obama betrieben, auch Donald Trump hat sie Erfolg gebracht.

Gleichzeitig erreicht die AfD mit dieser zielgerichteten Ansprache auch Menschen, die sich zuvor vielleicht überhaupt nicht mehr für den politischen Betrieb interessiert hatten. Muss man ihr das zugutehalten?

Da ist zumindest etwas Wahres dran: Die emotional aufgeladene Rhetorik der AfD spricht Wähler an, die sich bislang ausgeschlossen fühlten; insofern hat die Partei - solange sie nicht volksverhetzend, sondern im Rahmen der rechtsstaatlichen und demokratischen Regeln operiert - natürlich ihre Daseinsberechtigung. Das ändert aber nichts daran, dass ich persönlich sie und das, wofür sie steht, abstoßend finde.

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Michael Hampe, geboren 1961 in Hannover, lehrt Philosophie an der ETH Zürich. In Essays und Publikationen kritisiert Hampe immer wieder, dass sich die Philosophie hinter Großbegriffen verschanze und plädiert für ein eher erzählerisches Philosophieren in der Tradition des Sokrates. Zuletzt erschien von ihm "Die Lehren der Philosophie" (Suhrkamp).

Wahl-Watcher

Zur Interviewserie "Wahl-Watcher": In den Monaten vor der Bundestagswahl treten die Konturen der politischen Kultur in Deutschland besonders deutlich hervor. Deshalb beobachten vier ausgewählte Intellektuelle den Wahlkampf und erklären in regelmäßigen Interviews, was dieser über den Politikbetrieb und das Land und seine Bürger aussagt: Die Schriftstellerin Thea Dorn, der Philosoph Michael Hampe, die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling und der Historiker Martin H. Geyer werfen einen Blick auf Deutschland und seine Themen in diesem Wahljahr.

Hier können Sie sich an der Serie beteiligen und uns Ihre Fragen und Anregungen schicken.

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