Interview zum Rückzieher bei Diäten-Erhöhung:"Das ist die Arroganz der Macht"

Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim im Gespräch über den Rückzieher der Parlamentarierer, ihr Einkommen zu erhöhen, die Motivation dahinter und wie man das Thema Diäten künftig behandeln sollte.

Sarina Märschel, Berlin

sueddeutsche.de: Die Parlamentarier haben einen Rückzieher gemacht - sie erhöhen ihre Diäten jetzt doch nicht. Waren sie erst gierig und dann feige - oder war das ein vernünftiger Schritt?

Interview zum Rückzieher bei Diäten-Erhöhung: Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim.

Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim.

(Foto: Foto: dpa)

Hans Herbert von Arnim: Im Ergebnis ist der Rückzieher erfreulich. Aber es bestätigt sich einmal mehr, dass Politiker vor allen Dingen machtorientiert denken und handeln. Zuerst wollten sie die Diätenerhöhung aufgrund ihrer Machtstellung als große Koalition durchsetzen. Jetzt hat man vor der Übermacht der öffentlichen Meinung und der Kritik der eigenen Mitglieder kapituliert, aber von Einsicht keine Spur: Man sieht nicht ein, dass die Erhöhung falsch gewesen wäre.

sueddeutsche.de: Wie wirkt die Entscheidung, die Diätenerhöhung zu verschieben, auf die Bürger?

von Arnim: Die Grundsätze, die in den Augen der Mehrheit der Menschen verletzt wurden, sind durch den Rückzieher wieder bestätigt worden. Das hat eine integrierende, heilende und die Politikerverdrossenheit mindernde Wirkung. Diese wäre allerdings noch größer, wenn die Abgeordneten ihren Fehler offen einräumen würden. Das tun sie aber nicht, sie sagen: Das war richtig, nur haben die Bürger das nicht verstanden.

sueddeutsche.de: Die Abgeordneten wollten so viel verdienen wie Bundesrichter - ist das wirklich zu viel verlangt?

von Arnim: Der Vergleich hinkt. Die Diäten von Bundestagsabgeordneten haben schon jetzt einen sehr viel höheren Wert als die Bezüge von Bundesrichtern, wenn man die Extras dazurechnet: Die hohe steuerfreie Kostenpauschale, die überzogene Altersvorsorge und die rechtlich unbegrenzte Möglichkeit, nebenher zu verdienen. Da gibt es eine ganze Reihe von materiellen Vorteilen gegenüber Richtern.

sueddeutsche.de: Forschungsministerin Schavan hat gefragt, wer denn künftig noch Mitglied des Deutschen Bundestages sein soll, wenn jede Debatte über Diäten so geführt wird. Laufen dem Volk die Abgeordenten davon, wenn es die Diäten nicht erhöhen will?

von Arnim: Nein, das ist eine Schutzbehauptung, die noch dazu eine ganz schöne Abgehobenheit zeigt. Dahinter steht die These: Je höher wir die Abgeordneten besolden, desto bessere Leute kriegen wir ins Parlament. Das stimmt aber nicht. Um ins Parlament zu kommen, muss man meist eine lange Ochsentour innerhalb der Parteien durchlaufen. Das ganze Rekrutierungsverfahren von Abgeordneten ist vermachtet, da herrscht kein Wettbewerb nach der Qualifikation für das Amt. Würde man die Diäten verdoppeln, würden nicht bessere Leute reinkommen, sondern die internen Abschottungsmechanismen würden noch stärker. Anders ausgedrückt: Die Prämie auf Kungelei würde noch größer und man würde sich gegen Seiteneinsteiger, die vielleicht sehr fähig sind, erst recht abschotten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Hans Herbert von Arnim von dem FDP-Vorschlag hält, eine unabhängige Kommission über die Diäten der Abgeordneten entscheiden zu lassen ...

"Das ist die Arroganz der Macht"

sueddeutsche.de: Warum hat die geplante Diätenerhöhung so viel Entrüstung ausgelöst?

Interview zum Rückzieher bei Diäten-Erhöhung: Abgeordnete im Deutschen Bundestag.

Abgeordnete im Deutschen Bundestag.

(Foto: Foto: ddp)

von Arnim: Das Parlament hat im November eine fast zehnprozentige Erhöhung in zwei Stufen beschlossen, und kaum ist ein halbes Jahr verstrichen, sattelt man da noch drauf. Das war schon gar nicht mehr nachvollziehbar für die Menschen. Außerdem war die Begründung dass man nicht anders könne, weil man sich an die Besoldungserhöhung von Beamten und Richtern anlehnen müsse, fadenscheinig. Ihr widerspricht, dass man im November ausdrücklich ins Gesetz geschrieben hat: Weitere Erhöhungen frühestens 2010. Ich habe das als Diätenlüge bezeichnet und finde, das trifft den Sachverhalt genau.

sueddeutsche.de: Dass die Bevölkerung das merkt, hätten sich die Abgeordneten ja denken können. Warum haben sie sich trotzdem zunächst für eine Diätenerhöhung entschieden?

von Arnim: Meines Erachtens ist das die Arroganz der Macht. Die große Koalition glaubte offenbar, das durchsetzen zu können. Auch die Große Koalition in den sechziger Jahren hat hochumstrittene Dinge umgesetzt, unter anderem die hohe Altersvorsorge für Abgeordnete. Eine große Koalition neigt dazu, Dinge durchzusetzen, die eine kleine Koalition nicht riskieren würde.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von dem FDP-Vorschlag, eine unabhängige Kommission über die Diäten der Abgeordneten entscheiden zu lassen?

von Arnim: Das ist Augenwischerei. Denn wer ernennt denn diese Mitglieder? Das tun doch auch wieder die Parlamentarier selbst, auch wenn sie formal den Bundespräsidenten vorschieben würden. Die Kommission von außerordentlich Geneigten würde wahrscheinlich tolle Sachen beschließen. Und dann könnte man niemanden mehr verantwortlich machen: Die Parlamentarier würden ihre Hände in Unschuld waschen und sagen: "Wir haben das ja gar nicht beschlossen." Und die scheinbar unabhängige Kommission könnte auch niemand zur Rechenschaft ziehen. Dann gäbe es gar keine Kontrolle mehr.

sueddeutsche.de: Hätten Sie einen besseren Vorschlag?

von Arnim: Man dürfte Erhöhungsbeschlüsse der Diäten immer nur mit Wirkung für die nächste Wahlperiode machen. So hat das beispielsweise der US-Kongress in die amerikanische Verfassung geschrieben. Das hätte zur Folge, dass sich die Abgeordneten während des Wahlkampfes vor ihren Wählern rechtfertigen müssten - mit der Folge, dass sie unangemessene Beschlüsse erst gar nicht treffen würden.

Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim hat Anfang Mai sein neues Buch "Die Deutschlandakte. Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserm Land antun" vorgestellt. Darin setzt er sich unter anderem mit der Diätenerhöhung des Bundestags auseinander. Von Arnim ist Professor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

"Die Deutschlandakte", C. Bertelsmann Verlag, München 2008, ISBN: 978-3-570-01024-2

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