sueddeutsche.de: Herr Panjuschkin, hatten Sie Angst während Ihrer Recherchen? Der frühere russische Finanzminister Jegor Gaidar warnte Sie ja persönlich, das Thema Gazprom sei lebensgefährlich.
Waleri Panjuschkin: Während unserer Arbeit bekamen wir nie Anrufe aus der Gazprom-Zentrale oder von den Behörden. Offene Drohungen gab es auch nicht. Aber die letzten Jahre haben gezeigt, dass Journalisten und Menschen mit einer eigenen Meinung in Russland gefährlich leben. Viele Journalisten trauen sich gar nicht, kritisch über Gazprom zu berichten, weil sie Einschüchterungen befürchten. Das ist die für Russland typische Selbstzensur. Vielleicht hat sich Herr Gaidar aber auch Sorgen gemacht, weil er viel mehr über die Verflechtungen zwischen Gazprom und der politischen Elite weiß.
sueddeutsche.de: Wurden Sie bei Ihrer Arbeit tatsächlich nicht behindert?
Panjuschkin: Nein. Ich war selbst überrascht, wie professionell und offen Gazprom reagiert hat. Mein Mitautor Michail Sygar und ich konnten mit vielen Managern sprechen, Förderanlagen besuchen und in die Welt von Gazprom eintauchen. Das Unternehmen möchte so transparent wie möglich erscheinen. Das eigentliche Problem sind die Kreml-Beamten.
sueddeutsche.de: Sie schreiben, Gazprom sei eine Waffe in den Händen des Kremls. Was macht den Gasmonopolisten zu einer Waffe?
Panjuschkin: Lassen Sie mich mit ein paar Zahlen antworten: Finnland ist wie Estland vollständig vom Import russischen Gases abhängig. Deutschland bezieht etwa 40 Prozent seiner Energie aus Russland, Österreich 75 Prozent. In Italien und Frankreich sind es immer noch 25 Prozent. Die Steuerzahlungen von Gazprom bilden ein Viertel des russischen Staatshaushalts. Die Konflikte mit der Ukraine und Weißrussland wegen der Pipelines haben auch in Westeuropa für Aufsehen gesorgt, weil man gesehen hat, wie massiv der Kreml seine Interessen durchsetzt.
Die Beispiele Venezuela oder Saudi-Arabien zeigen, dass alle großen Energiekonzerne benutzt werden können, um Politik zu machen. Das Problem ist aber nicht so sehr, dass Gazprom als Waffe eingesetzt wird - es kommt nur drauf an, wer sie in der Hand hält. Ein Polizist benutzt die Pistole, um andere zu beschützen, ein Verbrecher verwendet sie für seine Zwecke.
sueddeutsche.de: Als Wladimir Putin Präsident wurde, setzte er seinen Freund Alexei Miller als Gazprom-Chef ein. Sein Vertrauter Dimitrij Medwedjew ist dort Vorsitzender des Aufsichtsrates und soll am 2. März russischer Präsident werden. Offenbar hat Putin bei Gazprom alles im Griff.
Panjuschkin: Ich glaube nicht, dass Putin alles unter Kontrolle hat. Viele Topmanager wurden zwar persönlich von ihm eingesetzt, doch sie werden mit der Zeit selbstbewusster. Sie fühlen sich für ihren Konzern verantwortlich und wollen respektiert werden. Es ist schwer zu sagen, ob Putin von Gazprom abhängig ist - oder doch Gazprom von Putin.
sueddeutsche.de: Aber das Management ist doch ein gehorsamer Erfüllungsgehilfe der Wünsche aus dem Kreml.
Panjuschkin: Alle Gazprom-Manager stehen vor einem kaum lösbaren Problem: Sie wollen ihr Gas so teuer wie möglich verkaufen. Zugleich muss Gazprom aber auf Wunsch des Kremls auch in Bereichen investieren, die nichts mit dem Kerngeschäft zu tun haben. Das Management tut dies, um Präsident Putin nicht zu verärgern. Der Konzern besitzt zum Beispiel wichtige Fernsehsender und Zeitungen. Trotz dieser Einflussnahme erzielt Gazprom große Gewinne - aber diese könnten noch höher sein.
sueddeutsche.de: Ihr Buch schließt mit den Worten: "Eine Waffe ist ein seelenloses Ding. Sie kennt keine Angst, keine Liebe und kein Erbarmen. Sie hält ihrem Besitzer nicht die Treue, wenn sich die Zeiten ändern." Könnte Medwedjew nach seiner Wahl zum Präsidenten eigene Leute in Führungspositionen einsetzen?
Panjuschkin: Das wäre denkbar. Medwedjew hat enge Kontakte zu Alisher Usmanow, dem Chef der Investmentsparte von Gazprom, und könnte diesen befördern. Aber das sind Spekulationen, ernsthafte Prognosen sind kaum möglich. Ich bin mir sicher, dass Medwedjew nicht zum Putin-Nachfolger wurde, weil er Vorsitzender des Gazprom-Aufsichtsrates ist, sondern weil er ein enger Vertrauter ist. Putin hat ihn 2002 dorthin gesetzt, weil es einer der prominentesten Posten im Land ist. Heute hat Putin deutlich mehr Einfluss auf Gazprom als Medwedjew, aber auch er kontrolliert dieses riesige Geflecht nicht vollständig.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso Altkanzler Gerhard Schröder nicht mit den russischen Journalisten sprechen wollte.
Gazprom:Der angeblich mächtigste Konzern der Welt
Kurz vor den Präsidentschaftwahlen in Russland erscheinen in Deutschland zwei Bücher über den Konzern Gazprom und die Verbindungen zwischen dem Gasmonopolisten und dem Kreml. sueddeutsche.de stellt das Energieunternehmen und seine wichtigsten Vertreter vor.
sueddeutsche.de: Als die Sowjetunion zerfiel, wurden fast alle Staatsbetriebe zerschlagen und aufgeteilt. Michail Chodorkowskij konnte in der Erdölindustrie mit Jukos Milliarden verdienen. Wieso konnte Gazprom als Monopolist überleben?
Panjuschkin: Die zwölf Ferngasleitungen von Gazprom und die Erdgasvorkommen bilden ein System, das nur in seiner Gesamtheit existieren kann. Wenn ein Rohr einen Riss hat oder sich die Betreiber nicht abstimmen, tritt Gas aus und explodiert.
Beim Erdöl ist das anders, einzelne Anlagen können unabhängig voneinander betrieben werden. Wiktor Tschernomyrdin, der frühere Sowjetminister und spätere Gazprom-Chef, hat das erkannt und eine Zerschlagung von Gazprom verhindert.
Es ist aber wichtig zu wissen, dass Gas in Russland immer eine politische Angelegenheit gewesen ist: Der Bau der ersten Pipeline Moskau-Saratow unterstand während der Stalinzeit der Kontrolle von KGB-Chef Lawrenti Berija und hatte eine ähnliche Priorität wie die Atombombe.
sueddeutsche.de: Einer wollte partout nicht mit Ihnen sprechen: Altkanzler Gerhard Schröder, der das Image von Gazprom in Europa verbessern soll. Warum?
Panjuschkin: Ich weiß es nicht. Wir haben mehrmals versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Als er seine Memoiren in Moskau vorstellte, kamen wir ihm so nahe wie nie, aber als er die Worte "Interview" und "Gazprom" hörte, tippte er sich nur vielsagend an die Schläfe. Später kam ein Brief, dass Herr Schröder keine Interviews zum Thema Gazprom gebe. Meine Erfahrung als Journalist sagt: Wenn ein Politiker oder Manager nicht mit der Presse reden will, dann will er unangenehmen Fragen ausweichen. Offenbar will Herr Schröder über manche Themen nicht sprechen.
sueddeutsche.de: Hat es sich für Gazprom gelohnt, Schröder als Aufsichtsratsvorsitzenden für die Ostsee-Pipeline zu engagieren?
Panjuschkin: Nein, es war meiner Ansicht nach ein großer Fehler. In der Gazprom-Zentrale war man sich sicher, dass der erfahrene Politiker Schröder ihnen in Europa helfen werde, die Ostsee-Pipeline zu realisieren. Stattdessen ist er eher eine Behinderung, weil seine Arbeit für Gazprom international sehr negativ aufgenommen wurde. Nach unseren Recherchen finden es viele Deutsche seltsam, dass die Firma in einem Schweizer Steuerparadies ihren Sitz hat.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Russen über Gazprom denken.
sueddeutsche.de: Trotz des Engagements bei Schalke 04 hat Gazprom in Deutschland ein schlechtes Image. Was denken die Russen über den angeblich mächtigsten Konzern der Welt?
Panjuschkin: In Russland sagt man: Gazprom ist wie Amerika. Die ganze Welt hasst Amerika, aber jeder will unbedingt dort wohnen. Alle Russen hassen Gazprom, aber jeder will dort arbeiten, weil die Bezahlung sehr gut ist und es eine gute soziale Absicherung gibt. Wenn ein normaler Russe krank wird, kann er sich nicht sicher sein, dass ein Krankenwagen kommt und im Krankenhaus ein Bett frei ist. Wer für Gazprom arbeitet, der hat diese Sicherheit.
sueddeutsche.de: Der Konzern besitzt nicht nur Pipelines in einer Länge von 463.000 Kilometer, sondern verfügt auch über eigene Banken, Fluglinien, Medien und Kraftwerke. Gazprom erscheint wie ein eigener Staat innerhalb Russlands.
Panjuschkin: In Gesprächen mit den Angestellten bekommt man den Eindruck, sie seien zuerst Bürger eines Gazprom-Staates und erst an zweiter Stelle Russen. Viele sind der Meinung, die Erdgasvorkommen gehörten nur der Firma und nicht allen Bürgern der Russischen Föderation.
sueddeutsche.de: Immer wieder warnen Wissenschaftler und die Internationale Energieagentur (IEA) davor, dass Russland das Gas ausgehen könne. Ist dies realistisch?
Panjuschkin: In Russland gibt es riesige Vorkommen an Erdgas. Die Herausforderung besteht darin, das Gas aus Sibirien in die russischen Städte und nach Westeuropa zu liefern. Gazprom muss in Pipelines und neue Felder investieren, um die Verträge erfüllen zu können. Das wäre kein Problem, wenn Gazprom wie ein normales Unternehmen geführt würde und stärker mit ausländischen Partnern zusammenarbeiten könnte. Doch Putin möchte dies nicht. Da Gazprom momentan als Instrument der russischen Innen- und Außenpolitik eingesetzt wird, könnte es Probleme geben. Kurzum: Die Warnungen der IEA oder des früheren Energieministers Boris Nemzow haben ihre Berechtigung.
sueddeutsche.de: Was hat Sie eigentlich an Gazprom fasziniert?
Panjuschkin: Schon als Kind haben mich vor allem Dinosaurier und Drachen interessiert, weil sie so groß waren. Der Gasmonopolist ist das größte russische Unternehmen und Michail Sygar und mir ist schnell klar geworden, dass man die Geschichte von Gazprom nur erzählen kann, wenn man zugleich die Geschichte des modernen Russlands erzählt. Vielleicht trägt das Buch ja dazu bei, dass die deutschen Leser Russland besser verstehen. Zudem ist Gazprom mittlerweile ein Begriff, der in fast allen Sprachen der Welt bekannt ist.
sueddeutsche.de: Hat sich Ihre Meinung über Gazprom verändert?
Panjuschkin: Ich dachte vorher, dass Gazprom und das Putin-Regime identisch sind. Nun weiß ich, dass die meisten Manager und Angestellten der Firma gerne mehr Freiheit hätten. Es soll eine ganz normale Firma sein. Wenn sich eine so große Organisation wie Gazprom nach Freiheit sehnt, dann macht mir das Hoffnung, dass irgendwann alle Russen mehr persönliche Freiheiten und demokratische Rechte haben werden.
Waleri Panjuschkin/ Michail Sygar: "Gazprom. Das Geschäft mit der Macht", 304 Seiten, Droemer Verlag 2008, 16,95 Euro