Süddeutsche Zeitung

Interview mit Populismusforscher:"Österreich sollte eine Warnung für Deutschland sein"

Populismusforscher Walter Ötsch erklärt, wie sich Österreich nach rechts gewandelt hat - und warum ein Kanzler Kurz problematisch für FPÖ-Chef Strache sein wird.

Interview von Oliver Das Gupta

Walter Ötsch ist Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte. Der Österreicher beobachtet und analysiert seit vielen Jahren den Rechtspopulismus in seiner Heimat. Mit der Journalistin Nina Horaczek hat er das Buch "Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung" (Westend Verlag 2017) geschrieben.

Süddeutsche Zeitung: Herr Ötsch, Sie wissen, wie Populismus funktioniert. Hat Sebastian Kurz handwerklich alles richtig gemacht?

Walter Ötsch: Kurz hat jedenfalls viele grundlegende Ansprüche an den Populismus erfüllt. Es ist ihm gelungen, sich durchgängig zu inszenieren, und das offenbar über mehr als ein Jahr. Er hat sich zur Marke gemacht. Dazu kamen aber auch die krassen Fehler der SPÖ, die die ÖVP-Kampagne nutzen konnte. Die Skandalisierung der SPÖ ist den Kurz-Leuten gut gelungen.

Der Rechtspopulist Heinz-Christian Strache behauptet, 60 Prozent der Österreicher hätten das Wahlprogramm seiner FPÖ gewählt. Ist da was dran?

In einer gewissen Weise stimmt es. Im Wahlkampf hat das Flüchtlingsthema dominiert. Außerdem sind die Konservativen der FPÖ auf einem zweiten Feld gefolgt. Sie haben die soziale Frage als nationale Frage redefiniert.

Was meinen Sie damit genau?

Kurz hat in seiner Kampagne die klassischen Sozialthemen rund um die Umverteilungsfrage mit Sozialstaatsleistungen für Asylsuchende verbunden. Er täuscht aber darüber hinweg, dass die tatsächlichen Finanzmittel für Flüchtlinge im Bundeshaushalt nicht so ins Gewicht fallen. Diesen Kniff wenden Rechtspopulisten gerne an - und nun eben auch die Konservativen. Wie erfolgreich das war, zeigen Wählerstromanalysen: Die ÖVP hat die bisherigen Anhänger der kleineren rechten Parteien wie die vom Bündnis Zukunft Österreich oder vom Team Stronach regelrecht aufgesogen.

Das klingt so, als liefe es fast zwangsläufig auf eine Zusammenarbeit von ÖVP und FPÖ hinaus.

Dazu wird es wahrscheinlich auch kommen. Auf der anderen Seite hat sich Kurz inhaltlich kaum festgelegt. Da er so ein Inszenierungstalent ist, könnte er auch eine Minderheitsregierung versuchen oder ein Kabinett der Experten.

Verliert ein Demagoge wie Strache nicht schnell sein Profil im Kabinett eines Kanzlers wie Kurz, der ihm ähnlich ist?

Strache müsste auf jeden Fall Gegenstrategien entwickeln, denn sein bisheriges Alleinstellungsmerkmal "Ablehnung von Ausländern" hat Kurz vereinnahmt. Außerdem orientieren sich sowohl Kurz als auch Strache am ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Mit einem Kanzler Kurz dürfte es ziemlich mühevoll werden für die FPÖ.

Ist die Abgrenzung für Strache nicht auch deshalb schwierig, weil Kurz so jung und dynamisch auftritt wie früher Jörg Haider und Strache selbst?

Da ist was dran, Strache sieht gegen Kurz tatsächlich ziemlich alt aus. Kurz hat ein großes schauspielerisches Talent, ich schätze ihn wendig ein. Strache weiß sich auch darzustellen, vor allem ist er ideologisch gefestigt. Er selbst und fast alle wichtigen FPÖ-Kader sind Mitglieder in deutschnationalen Burschenschaften, die offen sind für das rechtsextreme Milieu.

Strache kam über seine Burschenschaft als junger Mann in die Neonazi-Szene, will aber seine Aktivitäten bis heute nicht einmal als Fehler bezeichnen. In Deutschland wäre er damit politisch diskreditiert, in Österreich ist er demnächst wohl Vizekanzler. Wie erklären Sie diese Unterschiede?

Das hat mit Jörg Haider und dann mit Strache selbst zu tun. Durch diese beiden FPÖ-Chefs hat sich in Österreich der politische Diskurs seit 30 Jahren komplett verschoben. Inzwischen empfindet man es in der Gesellschaft als normal, wenn rassistisch oder auch antisemitisch geredet wird. Wenn das in Deutschland AfD-Leute tun, gibt es einen Aufschrei, der in Österreich ausbleibt. Bei uns wird so etwas toleriert.

Auch in Deutschland hört man inzwischen häufiger solche Töne.

Die österreichische Entwicklung sollte tatsächlich eine Warnung für Deutschland sein. Hierzulande hat man kein Mittel gegen die Rechtspopulisten gefunden, eine Regierungsbeteiligung wie im Jahr 2000 hat die FPÖ nicht entzaubert, sondern die Verhältnisse noch verschlimmert.

Gibt es denn Mittel, die gegen Rechtspopulismus greifen?

Dämonisierung alleine reicht jedenfalls nicht. Klar: Abgrenzung ist wichtig und richtig, aber man muss sich auf anderen Ebenen mit der FPÖ und der AfD auseinandersetzen. Neben der Ursachenebene muss man die kommunikativen Muster von Populisten enttarnen und benennen. Beispielsweise spielt die FPÖ fast immer die Opferkarte, der Tenor lautet dann: Man tut uns Unrecht, alle sind unfair zu uns. Oder: Sie propagieren Verschwörungsmythen. Mit Blick auf die unterschiedlichen Zahlen von Hochrechnungen und dem prognostizierten Briefwahlergebnis hat Strache zum Beispiel schon die Unterstellung angedeutet, dass es da vielleicht nicht mit rechten Dingen zugeht.

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