Sebastian Krumbiegel im Gespräch:"Beste Patrioten sind Verfassungspatrioten"

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Die Wende hat ihn "politisch angeknipst'": Sebastian Krumbiegel, gebürtiger Leipziger und Frontmann der Pop-Gruppe "Die Prinzen", über die deutsche Einheit - und Klischees.

Oliver Das Gupta

Sebastian Krumbiegel kommt 1966 in Leipzig zur Welt. Früh widmet er sich der Musik: Krumbiegel singt im weltberühmten Thomanerchor, später studiert er Schlagzeug und Gesang. Vor der Wende spielt er in Rockbands, 1991 gründen er und seine Mitstreiter die A-Capella- und Pop-Gruppe "Die Prinzen", mit der er zahlreiche Hits hat. Krumbiegel hat sich unter anderem gegen Landminen und für die Ökumenische Friedensdekade engagiert sowie auf der Seite der Globalisierungskritiker während des G8-Gipfels in Heiligendamm. Derzeit ist er mit seinem Soloprojekt "Sebastian Krumbiegel und die feinen Herren" auf Tour. Im November erscheint das neue "Prinzen"-Album "Es war nicht alles schlecht".

"Man darf bitte nicht vergessen, dass der Osten immer noch große Probleme hat": Sebastian Krumbiegel, Frontmann der Gruppe "Die Prinzen". (Foto: picture alliance / dpa)

Für das Gespräch bittet Sebastian Krumbiegel in ein Leipziger Cafe. Es befindet sich in Sichtweite der Straße, auf der auch er 1989 demonstriert hat.

sueddeutsche.de: Herr Krumbiegel, vor 20 Jahren wurden Sie durch die Wiedervereinigung vom DDR-Bürger zum Bundesbürger. Fühlen Sie sich in der Bundesrepublik angekommen?

Sebastian Krumbiegel: (lacht) Die Bundesrepublik kam ja zu uns, nicht umgekehrt. Aber im Ernst: Ich fühle mich vor allem als Leipziger, ich bin Fan dieser Stadt. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, hier haben wir während der Montagsdemos vor mehr als 20 Jahren für Freiheit demonstriert. Da drüben, an der runden Ecke, sind wir an der Leipziger Stasizentrale vorbeigezogen. Inzwischen hat sich die Stadt prächtig entwickelt: Leipzig ist eine schicke, moderne und weltoffene Großstadt.

sueddeutsche.de: Also eine blühende Landschaft, wie von Helmut Kohl vorausgesagt?

Krumbiegel: In Leipzig und anderswo schon, aber natürlich nicht überall. Wobei Kohl ja so tat, als ob das alles nichts kosten würde - ein Irrtum. Deshalb gab es Verdruss, gerade im Westen. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck mokierte sich vor ein paar Wochen über die westdeutsche Schimpferei über den Osten und den Soli. Und er hatte mit seiner Kritik recht. Neid entzweit. Im Übrigen: Wir zahlen den Soli ja auch.

sueddeutsche.de: Trotzdem: Etliche Milliarden sind von West nach Ost geflossen...

Krumbiegel: ...und man kann ja auch sehen, dass viel Sinnvolles mit dem Geld finanziert wurde: Straßen und Brücken, ein Telefonnetz vom Allerfeinsten. Man darf aber bitte auch nicht vergessen, dass der Osten immer noch große Probleme hat: Dass das soziale Gefälle zwischen alten und neuen Bundesländern groß ist und die Leute nach wie vor von hier in den Westen abhauen, um dort Arbeit zu finden. Dass hier die Gehälter niedriger sind.

sueddeutsche.de: Haben Sie Vorschläge, wie sich das in absehbarer Zeit bessern kann?

Krumbiegel: Ich bin kein Politiker. Aber ich weiß, dass man nicht gegenseitig aufeinander einschlagen sollte. Es ist kontraproduktiv, wenn wir einander vorhalten, wie schlimm wir sind. Und die Klischees vom Jammerossi und Besserwessi sind sowieso Humbug. Wir sollten versuchen, zusammenzukommen, hier in Deutschland wie in Europa, oder auch global.

sueddeutsche.de: Zusammenkommen, zusammenhalten: Wäre da nicht ein gesamtdeutscher Patriotismus ein passendes Mittel zum Zweck?

Krumbiegel: Ich bin einerseits nicht mehr befremdet, wenn ich bei der Fußball-WM überall Deutschlandfahnen sehe, das war ich aber lange Zeit. Aber angesichts der gefährlichen Halbwahrheiten des Thilo Sarrazin, wonach wir muslimisiert werden, Türken weniger intelligent sind, aber sich "wie die Karnickel vermehren" und die Republik den Bach runtergeht, wird mir schlecht.

Das ist dumpfer Stammtisch, das ist brandgefährlich - und trotzdem ist der Zuspruch erheblich. Wenn Herkunft und Religion wieder Grundlage für Patriotismus sind, dann bin ich definitiv nicht dabei. Überhaupt fühle ich mich nicht als Patriot - das brauche ich nicht. Heute reden wir über Integration und Globalisierung, über verschiedene Kulturen, die auf einander prallen - das sind doch die Themen unserer Zeit. Außerdem sagte mal ein kluger Mann: Die besten Patrioten sind die Verfassungspatrioten.

sueddeutsche.de: Zählen Sie sich auch dazu?

Krumbiegel: Ich bin Anhänger unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, unseres Rechtsstaats. Unter anderem dafür sind wir 1989 auf die Straße gegangen.

sueddeutsche.de: Waren Sie damals auch für die Wiedervereinigung?

Krumbiegel: Die Wende hatte uns politisch angeknipst, mich hat die Euphorie damals auch angesteckt, aber "Deutschland, einig Vaterland", habe ich damals nicht skandiert. Bald folgte auch große Ernüchterung. Ich weiß noch genau, wie unangenehm mir dieses Wir-Deutschen-sind-die-Größten-Gehabe nach der gewonnenen Fußball-WM im Sommer 1990 war. Und ich kann mich auch noch genau an den Moment erinnern, als ich meinen ersten Republikaner-Flyer in der Hand hielt. Besonders schlimm war damals, dass ein paar Leute plötzlich sagten: Ist doch gar nicht so doof, was die Rechten da fordern.

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sueddeutsche.de: Hand aufs Herz: Vermissen Sie manchmal ein bisschen die DDR?

Der gebürtige Leipziger Sebastian Krumbiegel findet: "Es sollte einfach nicht schubladisiert werden." (Foto: picture alliance / dpa)

Krumbiegel: Nein! Ich will nicht auf Ostalgie machen und ich wünsche mir auch auf keinen Fall die Ostzone zurück. Es gibt nichts zu beschönigen an Willkür, an Schießbefehl und Stasi-Scheiße. Aber: Es wird mir zu sehr mit Schwarz-Weiß-Blick auf die DDR geschaut.

Das wird gerade den Ostdeutschen nicht gerecht, die eben nicht vom System profitiert haben, aber trotzdem in diesem Land gelebt haben. Im Osten war eben nicht alles schlecht, genauso wie im Westen nicht alles gut war. Ich wünsche mir mehr Differenzierung. Die Bedienung bringt das Essen. Sebastian Krumbiegel beäugt den Teller des Journalisten.

sueddeutsche.de: Wollen Sie mal probieren?

Krumbiegel: Gerne. (probiert) Oh, das schmeckt lecker.

sueddeutsche.de: Das ist bestimmt ein Westhühnchen.

Krumbiegel: Ganz sicher. Auch dafür danke ich euch! (lacht) Sicherlich ist mein Blick auf die DDR auch deshalb ein bisschen milder, weil ich nicht solange in ihr gelebt habe und mit dem Thomaner-Chor schon in jungen Jahren durch die Welt reisen konnte. Mein Vater ist in seinem Urteil viel härter - aber der hat auch gute Gründe.

sueddeutsche.de: Wie kommt das?

Krumbiegel: Mein Vater hatte Eingaben geschrieben, bevor 1968 in Leipzig von Ulbricht die Pauliner-Kirche gesprengt wurde. Dadurch ist er in seinem Beruf als Wissenschaftler nicht mehr vorangekommen. Da verstehe ich ihn auch, genauso wie ich jeden verstehe, der vom DDR-Regime drangsaliert wurde und deshalb nach wie vor voller Grimm ist. Ich will ihnen ein weiteres, viel krasseres Beispiel erzählen. Neulich war ich in Torgau für eine Lesung über Flüchtlinge in Deutschland. Die Veranstaltung fand in dem einzigen ehemaligen geschlossenen DDR-Jugendwerkhof statt.

sueddeutsche.de: Klingt mehr nach Knast.

Krumbiegel: Es muss die Hölle gewesen sein. Eine ehemalige Insassin führte mich durch die Anstalt und schilderte mir, was damals abging. Es gab Schläge, es gab sexuelle Gewalt, alles, was man sich nicht vorstellen will. Da gab es beispielsweise den sogenannten Fuchsbau. Das war ein Loch, in dem man weder stehen, noch sitzen noch liegen konnte. Man konnte sich höchstens reinkrümmen. In dieses feuchte Kellerloch wurden die Kinder und Jugendlichen zur Bestrafung gesperrt.

sueddeutsche.de: Die SED von damals ist die Linke von heute. Braucht es eine Partei mit solch einer Tradition überhaupt?

Krumbiegel: Die SED von damals ist nicht die LINKE von heute - außerdem finde ich manche Inhalte durchaus sympathisch.

sueddeutsche.de: Sie als Demonstrant von 1989 können mit einer Partei etwas anfangen, die die Stasi erfunden hat?

Krumbiegel: Immer mit der Ruhe. Der Großteil hat damals sein Parteibuch weggeschmissen, viele sind zur CDU gegangen. Die SPD hat diese Leute gar nicht erst reingelassen, was ich auch für einen Fehler halte. Diejenigen, die sich nach der Wende in der PDS engagiert haben, waren oft eben keine Hardliner, sondern Menschen, die durchaus idealistisch dachten.

sueddeutsche.de: Oder der DDR nachweinen wie Sarah Wagenknecht.

Krumbiegel: Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Ich rede nicht von allen, sondern von vielen. Unterschätzen Sie nicht: Die Leute von damals haben sich in den letzten 20 Jahren auch entwickelt. Oder haben Sie den Eindruck, jeder Linke will die DDR zurück?

sueddeutsche.de: Bislang ist die Linke vor allem eine Meisterin im Opponieren. Sollte Sie auch mehr regieren in den Ländern oder gar im Bund?

Krumbiegel: Warum nicht, wenn es strukturelle Mehrheiten gibt. Ich hoffe, dass die SPD, mit der ich sympathisiere, sich öffnet. Inhalte sollten doch entscheiden. Mir ist auch egal, ob wir eine Kanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern haben oder das halbe Kabinett aus Baden-Württemberg stammt. Ausschlaggebend ist, was für Politik gemacht wird.

sueddeutsche.de: Sie kritisieren Lager- und Proporzdenken und vermissen Pragmatismus?

Krumbiegel: Es sollte einfach nicht schubladisiert werden. Zum Beispiel unsere Fußball-Nationalmannschaft: Die gilt nun als cool und spielt eben auch deshalb so schön, weil die Leute, die am geeignetsten sind, darin spielen dürfen. Es ist egal, wie die heißen. Spieler wie Özil und Kedhira, sind Vorbilder und zeigen, dass unser Land auch aus Menschen besteht, die ihre Wurzeln woanders haben. Dass die Rechten sich deshalb nicht mehr mit der "Nationalmannschaft" identifizieren können, ist doch großartig!

sueddeutsche.de: Seit einiger Zeit begehren die Deutschen auf. In Volksentscheiden haben sie die Hamburger Schulreform gekippt, sie demonstrieren gegen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. In diesen Tagen eskaliert sogar im beschaulichen Stuttgart der Streit um den Bahnhofsneubau. Können Sie erklären, warum die Bevölkerung so aufmüpfig wird? Nimmt die Politik nicht mehr wahr, was große Teile der Bürger tief bewegt?

Krumbiegel: Nach dem schwarz-gelben Wahlsieg im letzten Jahr war ja abzusehen, dass sich die Politik verändern würde. Gerade was Atom-, Bildungs- und Sozialpolitik betrifft. Und dass sich das die Leute nicht so ohne weiteres gefallen lassen, spricht doch sehr für sie. Ich denke ja manchmal sogar, dass zum Beispiel die Sarrazin-Sache von großen Massenmedien gesteuert wurde, um gerade vom so genannten Atom-Deal abzulenken. Das hat nicht funktioniert - Zigtausende gehen auf die Straße und sagen: So nicht. Die Menschen sind nicht politikverdrossen, sie lassen sich nur nicht gern verarschen, und das wird sich auch bei den nächsten Wahlen niederschlagen.

sueddeutsche.de: Gerade beim Beispiel Stuttgart 21 wird der Ruf nach einer Volksabstimmung immer lauter. Mit Blick auf die Vergangenheit gibt es kaum plebiszitäre Elemente in der Bundesrepublik. Ist die Zeit reif für mehr direkte Demokratie?

Krumbiegel: Ich bin kein Kämpfer für mehr Volksabstimmungen. Was würde zum Beispiel passieren, wenn man das Volk kurz nach einem gruseligen Fall von Kindesmissbrauch über die Todesstrafe abstimmen lassen würde? Oder jetzt bei der unsäglichen Sarrazin-Diskussion - ich glaube nicht, dass Volkes Stimme immer richtig liegt, gerade in einer emotional aufgeheizten Situation. In der Schweiz gibt es das Frauenwahlrecht erst seit den 1970er Jahren - auch ein Resultat von Volksabstimmungen. Bitte verstehen sie mich nicht falsch - ich halte "das Volk" keineswegs für dumm. Ganz im Gegenteil, oft gibt es ein sehr gesundes Volksempfinden, und die Politik sollte nicht so arrogant sein, das einfach weg zu schieben, wie im Fall von "Stuttgart 21". Aber oft denke ich: Es ist schon gut, wie unser Rechtsstaat funktioniert, und die Väter des Grundgesetzes haben sich das schon sehr gut ausgedacht.

sueddeutsche.de: Immer wieder wird auch eine Direktwahl des Bundespräsidenten gefordert - doch das ist Sache der Bundesversammlung. Sie waren zweimal von der sächsischen SPD als Wahlmann nominiert ...

Krumbiegel: ...was mich sehr gefreut hat.

sueddeutsche.de: Am Ende der Präsidentenwahl wird traditionell die Nationalhymne gesungen. Geht Ihnen das leicht über die Lippen?

Krumbiegel: Ehrlich gesagt: Ich kann das nicht, ich krieg das nicht hin. Hitlers Deutschland hat diese Hymne auch gesungen und mit dieser Melodie hat die Wehrmacht Polen überfallen. Es genügt meiner Ansicht nach nicht, eine Strophe weg zu lassen, oder zu verbieten. Was denkt sich ein 90 Jahre alter Mann aus Warschau, wenn er im Fernsehen ein Fußball-Stadion voller Deutscher dieses Lied singen hört? Da schaudert es mich.

Die deutsche Nationalhymne ist für mich einfach negativ konnotiert, genauso wie der Satz: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Das Lied kann ja nichts dafür die Musik von Joseph Haydn ist großartig, und auch gegen den Text von Hoffmann von Fallersleben ist in seinem historischen Kontext nichts einzuwenden, aber es hängt eben eine schlimme Geschichte dran. Außerdem denke ich, dass man nur singen sollte, wenn man gern singen will. Es ist ja glücklicherweise jedem frei gestellt, und mir liegt es auch fern, irgendjemanden in dieser Frage missionieren zu wollen. Ich persönlich singe unsere Hymne nicht, und ich glaube auch nicht, dass ich sie in zehn Jahren singen werde.

sueddeutsche.de: Und ihre Kinder?

Krumbiegel: Das ist etwas anderes. Die haben hat mit dem Leipziger Gewandhaus-Kinderchor anlässlich der letzten Fußball-Europameisterschaft verschiedene Hymnen gesungen, auch die deutsche. Damit hatte ich überhaupt kein Problem, im Gegenteil: Das war sehr schön. Vielleicht verhält es sich mit meinen Kindern so wie bei mir und meinem Vater. So wie ich eine andere Sicht auf die DDR habe, wird mein Nachwuchs ein entspannteres Verhältnis zu Deutschland haben.

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