Interview mit Schirin Ebadi:"Ein Analphabet zählt mehr als eine Ministerin"

Wie geht es weiter in Iran? Um die grüne Bewegung ist es ruhig geworden, dafür tobt zwischen Präsident Ahmadinedschad und dem geistlichen Führer Chamenei ein Machtkampf. Die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi über die Gründe für diesen Konflikt, die Situation der Opposition - und die Frage, ob die Lage der iranischen Frauen doch gar nicht so schlecht ist.

Johannes Aumüller und Lilith Volkert

Seit vielen Jahren zählt Schirin Ebadi, 64, zu den prominentesten Kritikern des iranischen Systems. Sie war die erste, später abgesetzte Richterin des Landes, saß wegen angeblicher staatsfeindlicher Umtriebe im Gefängnis - und erhielt 2003 als erste muslimische Frau den Friedensnobelpreis. Sie engagiert sich vor allem für die Rechte der Frauen, gründete aber auch ein Kinderhilfswerk und vertrat als Anwältin Oppositionelle und Menschen, die sich keinen Rechtbeistand leisten können.

Schirin Ebadi

Schirin Ebadi Anfang Juli in München: Im Rahmen der Redereihe "Freiheitsfelder" der Bayerischen Staatsoper sprach die iranische Menschenrechtsaktivistin über das Thema "Maß". Die Reihe schließt am 18. Juli mit dem Vortrag von Leoluca Orlando, dem als "Mafia-Jäger" bekanntgewordenen früheren Bürgermeisters von Palermo, über "Mut".

(Foto: Wilfried Hösl)

Am Vorabend der Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 verließ Ebadi Iran, um an einem dreitägigen Kongress in Spanien teilzunehmen - und kehrte danach nicht wieder zurück. Sie hatte es nicht so geplant, doch binnen kürzester Zeit war aus Iran ein grundlegend anderes Land geworden. Das Regime knüppelte die Proteste gegen die mutmaßlichen Wahlfälschungen nieder, es gab viele Verhaftungen und Tote, die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen war auf einmal verboten - schlechte Bedingungen für eine Menschenrechtsanwältin. Seitdem lebt Ebadi im Exil in London.

sueddeutsche.de: Frau Ebadi, wenn früher Freunde von Ihnen aus Iran geflohen sind, haben Sie den Kontakt zu diesen abgebrochen. Sie waren für Sie wie gestorben, heißt es in Ihrer Autobiographie. Nun leben Sie selbst seit zwei Jahren im Exil.

Schirin Ebadi: Ich würde viel lieber in Iran leben. Aber mein Besitz wurde beschlagnahmt, ich bekomme Todesdrohungen. Mein Mann und meine Schwester wurden verhaftet. Zwar sind sie gerade gegen Kaution auf freiem Fuß, doch man hat ihnen die Pässe abgenommen. Ich kehre an dem Tag zurück, an dem ich als Anwältin politische Gefangene vor Gericht vertreten kann. Solange das nicht möglich ist, bin ich im Ausland nützlicher als zu Hause.

sueddeutsche.de: In Iran tobt gerade ein Machtkampf zwischen dem Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und dem geistlichen Führer Ali Chamenei, der sich in diversen Personalien niederschlägt. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Ebadi: Es gibt nicht nur einen Machtkampf, es gibt drei sehr unterschiedliche Konflikte: Erstens zwischen der Bevölkerung und dem Regime. Zweitens zwischen den Reformkräften und den Fundamentalisten. Und drittens unter den Fundamentalisten selbst. Vor etwa zwei Monaten schlug sich Chamenei, der sich lange neutral verhalten hatte, auf die Seite der Ahmadinedschad-Gegner.

sueddeutsche.de: Was steckt hinter dieser Entscheidung?

Ebadi: Es geht in erster Linie um politische und wirtschaftliche Macht. Nach der Niederschlagung der Protestbewegung im Sommer 2009 hatte Ahmadinedschad das Gefühl, aus einer besonderen Machtposition heraus agieren zu können. Das gefällt Chamenei nicht.

sueddeutsche.de: Aber dennoch stand er lange Zeit zu ihm. Hat Chamenei vielleicht gestört, dass sich Ahmadinedschad als Wegbereiter für den Mahdi sieht, den verschwundenen Imam, der gemäß der schiitischen Glaubensvorstellung eines Tages als Erlöser auf die Erde kommt?

Ebadi: Ahmadinedschad und seine Gefolgsleute waren dabei, einen Gedanken zu etablieren, der der Geistlichkeit nicht gefallen konnte. Sie wollten zeigen, dass sie die Geistlichkeit nicht brauchen, um die Verbindung und den Kontakt mit dem Mahdi aufzunehmen, sondern dazu selbst in der Lage sind. Auf diese Weise schwächten sie die Position von Chamenei, der ja als Vertreter des Mahdi angesehen wird und sich auch so verhält. Aber diese Sache ist nur ein Vorwand, ich bleibe dabei: Es geht einzig und allein um die Macht.

sueddeutsche.de: In zwei Jahren ist Ahmadinedschads zweite Amtszeit vorbei, die Verfassung untersagt ihm eine erneute Kandidatur. Derzeit sieht es so aus, als ob er seinen engen Vertrauten und Freund Maschaie (dessen Tochter ist mit Ahmadinedschads Sohn verheiratet; Anm. d. Red.) als Nachfolger durchsetzen möchte. Was ist Ihre Prognose: Wie entwickelt sich diese Auseinandersetzung?

Ebadi: Das kann man seriös nicht voraussagen. Ich kann nur sagen, dass sich das Regime momentan in seiner schwächsten Phase befindet. Denken Sie an die Streitigkeiten unter den Mächtigen, denken Sie an die Bevölkerung, die dieses Regime nicht mehr will, denken Sie an die desolate wirtschaftliche Situation, die hohe Inflation. Schlimmer geht es nicht.

sueddeutsche.de: Das klingt so, als hätte die grüne Bewegung doch noch Chancen auf einen Erfolg.

Ebadi: Auch das lässt sich nur schwer beurteilen. Die Situation in Iran ist dermaßen desolat, dass es auch für die Oppositionsführer Mussawi und Karrubi schwer wäre, etwas zu verbessern. Aber wenn wir Veränderungen wollen, müssen wir uns dafür einsetzen. Ob das erfolgreich ist, steht auf einem anderen Blatt.

"Die Iraner haben das Blutvergießen satt"

sueddeutsche.de: Engagiert sich die iranische Bevölkerung denn genug oder müsste da mehr kommen?

Ebadi: Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind gegen die Regierung, sehr viele engagieren sich. Aber die Menschen in Iran wollen friedlich bleiben. Wir wollen nicht eine solche Situation haben wie derzeit in Libyen.

sueddeutsche.de: Man hat den Arabischen Frühling oft mit dem iranischen Aufstand verglichen. In Tunesien und Ägypten hat sich das Militär auf die Seite des Volkes gestellt, in Iran nicht. Ist das der einzige Unterschied?

Ebadi: Das ist der wichtigste Unterschied. Aber es gibt noch zwei andere. Erstens hatten Ben Ali und Mubarak über Jahre die Unterstützung der USA und standen nach deren Abkehr plötzlich alleine da, in Iran gab es diesen Moment so nicht. Und zweitens wollten die Menschen in Iran auf keinen Fall den Weg der Gewalt gehen. Denn die Iraner haben in den vergangenen 32 Jahren eine Revolution und einen acht Jahre dauernden Krieg gehabt. Sie haben das Blutvergießen und die Gewalt satt.

sueddeutsche.de: In Tunesien und Ägypten war es aber auch weitgehend friedlich.

Ebadi: In Tunesien und Ägypten war die Bewegung nicht so friedlich wie in Iran. In Teheran sind noch nicht einmal Steine geflogen. Deshalb müssen die Iraner auch geduldiger sein: Friedliche Veränderungen brauchen einfach länger.

sueddeutsche.de: Als Frauenrechtlerin hat Sie vermutlich besonders gefreut, dass bei der grünen Bewegung vor zwei Jahren sehr viele Frauen auf der Straße waren. Wie sieht es heute aus, engagieren sich Frauen noch öffentlich für mehr Rechte?

Ebadi: Die Iranerinnen sind sehr unzufrieden, dass sie auf allen Ebenen schikaniert werden und nutzen jede Gelegenheit, diesen Ärger zu äußern. Aber in der Öffentlichkeit ist das heute undenkbar, das geht nur noch im Verborgenen - im privaten Umfeld oder im Internet. Die Kampagne "Eine Million Unterschriften gegen frauendiskriminierende Gesetze in Iran" etwa läuft unter der Hand weiter.

sueddeutsche.de: Schon bei der Revolution 1979 waren Frauen maßgeblich am Sturz des Schahs beteiligt. Gebracht hat es ihnen nichts, im Gegenteil: Ihre Rechte wurden deutlich eingeschränkt. Sie persönlich mussten danach ihr Richteramt abgeben. Angenommen, die Oppositionsbewegung hat irgendwann doch noch Erfolg: Wie lässt sich verhindern, dass sich so etwas wiederholt?

Ebadi: Wir dürfen uns nicht mehr vertrösten lassen. 1979 waren sich alle einig, dass der Schah weg muss. Wenn Frauen mit zusätzlichen Forderungen kamen, hieß es: Das wird angepackt, wenn das Wichtigste erledigt ist, also nie. Heute fordern Frauen viel lauter ihre eigenen Rechte ein und verlangen auch von der Opposition, dass sie Position dazu bezieht. Und es gibt da durchaus gute Zeichen: Im Präsidentschaftswahlkampf 2009 trat Hossein Mussawi mit seiner Frau Sahra Rahnaward auf, auch Mehdi Karrubi ließ seine Frau zu Wort kommen. Karrubi, ein Kleriker. So etwas war bis vor einigen Jahren undenkbar.

sueddeutsche.de: Aber etwas zugespitzt lässt sich doch feststellen, dass es den Iranerinnen im Vergleich zu den Frauen in anderen islamischen Ländern doch relativ gut geht: Sie sind an den Universitäten in der Mehrzahl, können Politikerin werden, die bunten Kopftücher der Großstadtbewohnerinnen ähneln oft einem locker getragenen Schal.

Ebadi: Die Frauen in Iran waren aus gesellschaftlicher und kultureller Sicht immer schon in einer besseren Situation als in anderen islamischen Ländern. Doch in der Islamischen Republik wurden eine Reihe Gesetze verabschiedet, die sie deutlich benachteiligen. Eine Frau ist nur halb so viel wert wie ein Mann: Wenn mein Bruder und ich bei einem Unfall dieselben Verletzungen erleiden, bekommt er doppelt so viel Schmerzensgeld wie ich. Dasselbe gilt für Zeugenaussagen vor Gericht: Das Wort eines Mannes zählt dort doppelt so viel wie das einer Frau - auch wenn sie Ministerin ist und er Analphabet.

sueddeutsche.de: Welches Gesetz würden Sie als erstes ändern?

Ebadi: Das Familiengesetz, weil es fast alle Frauen betrifft. Ein Mann kann vier Frauen haben und sich auch ganz einfach von ihnen trennen. Will sich eine Frau scheiden lassen, muss ihr Mann einwilligen und sie verliert automatisch das Sorgerecht für die Kinder.

sueddeutsche.de: Es gibt auch immer wieder dramatische Einzelfälle, wie den von Sakineh Ashtiani, die wegen Ehebruch und Beihilfe zum Mord gesteinigt werden sollte. Wegen internationaler Proteste wurde das Urteil in eine Gefängnisstrafe umgewandelt.

Ebadi: Leider ist Frau Ashtiani kein Einzelfall. Es gibt einige Frauen, die im Gefängnis sitzen und gesteinigt werden sollen. Es ist gut, Einzelne durch den Druck der Öffentlichkeit zu retten. Wichtiger ist es aber, das Gesetz zu ändern, damit in Zukunft allen anderen so ein Schicksal erspart bleibt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: