Interview mit Saakaschwili:"Russland hat den Krieg angekündigt"

Georgiens Präsident Michail Saakaschwili über den Konflikt mit Moskau, einen Nato-Beitritt und die Demokratisierung seines Landes.

Cathrin Kahlweit

Georgiens Regierung hat einen schweren Stand. Russland protestiert gegen eine Nato-Mitgliedschaft, die Kriegsschuldfrage ist ungeklärt, und die Opposition fordert mehr Mitsprache. Michail Saakaschwili sieht die Verantwortung für die schlechte Lage seines Landes vor allem bei den Russen.

Interview mit Saakaschwili: Georgiens Präsident Saakaschwili sieht die Verantwortung für die schlechte Lage Georgiens bei Russland.

Georgiens Präsident Saakaschwili sieht die Verantwortung für die schlechte Lage Georgiens bei Russland.

(Foto: Foto: AFP)

SZ: Sie bleiben dabei: Georgien wurde von Moskau angegriffen?

Saakaschwili: Es gibt immer Leute, die die russische Version glauben. Aber wahr ist: Russland hat sich auf diesen Krieg vorbereitet und ihn angekündigt. Russische Truppen wurden vor dem 7.August an der Grenze zu Südossetien zusammengezogen - und russische Soldaten sollten eine Bahnlinie bis zum 5. August reparieren. Warum gerade bis zum 5. August? Wir wussten, wir mussten vorsichtig sein, aber zuletzt waren wir nicht mehr in der Lage, uns zu schützen. Putins enger Berater selbst sagte, er wisse, dass es einen Angriffsplan Moskaus gab.

SZ: OSZE-Beobachter können nicht bestätigen, dass die Russen zuerst angegriffen haben.

Saakaschwili: Die OSZE hat nie gesagt, dass Georgien den Krieg angefangen hat. Ein ehemaliger OSZE-Beobachter, der das behauptet hat, wurde gefeuert. Kürzlich hat Moskau gedroht, es gebe einen neuen Krieg, wenn Georgien der Nato beitritt. Wir haben keine militärische Hilfe vom Westen erwartet, als der Krieg da war. Aber wir haben verzweifelt um Hilfe gebeten, um den Krieg zu verhindern. Die Mobilisierung russischer Truppen, die Kriegsrhetorik - ich habe immer gehofft, das wäre nur eine Erpressung von Moskau. Ich fragte einen US-General, ob die US-Armee Beweise habe, dass russische Truppen durch den Roki-Tunnel vorrücken - er sagte, es gebe keine Satellitenfotos, weil der Himmel bedeckt war. Als wir eine Untersuchung planten und die Nato um Satellitenbilder baten, hatten die keine. Die Russen greifen gerne an, wenn der Himmel bedeckt ist.

SZ: Reden wir eigentlich vom 7. August, oder von der Vorgeschichte?

Saakaschwili: Niemand kann jemals hundertprozentig beweisen, was genau in der Nacht des 7. August geschah.

SZ: Man hört, dass Sie am 7. nachts einen Anruf von den Amerikanern bekamen und daraufhin den Angriff befahlen?

Saakaschwili: Nein, wir hatten unsere Informationen von unserem eigenen Geheimdienst.

SZ: Es gibt zwei Untersuchungskommissionen, eine von der EU, eine vom georgischen Parlament. Erwarten Sie unterschiedliche Ergebnisse?

Saakaschwili: Wir heißen jede Untersuchung willkommen. Die Parlamentskommission ist wichtig für die Georgier selbst. Sie wird von einem Oppositionspolitiker geleitet - einer Person, die noch vor einem Jahr für meinen Sturz demonstriert und sogar gefordert hat, mich erschießen zu lassen. Es wurden schon lange Befragungen vieler Generäle vorgenommen, nun bin ich vorgeladen. Das hat es in Georgien noch nicht gegeben. Das Ganze findet live im Fernsehen statt.

Auf Seite zwei: Michail Saakaschwili über Opposition, Demokratie und Wiederaufbau in Georgien.

SZ: Ist das Teil der von Ihnen angekündigten "Welle der Demokratisierung"?

Saakaschwili: Wir stärken das Parlament generell. Wir haben angefangen, politische Parteien zu finanzieren, ebenso eine Plattform für Nicht-Regierungs-Organisationen. Das hat pragmatische Gründe - entweder wir finanzieren das, oder es tun Kräfte von außerhalb, die unser System unterminieren wollen.

SZ: Wen meinen Sie?

Saakaschwili: Russland. Wir würden uns auch über finanzielle Unterstützung aus Europa freuen, um unsere Demokratie weiter auszubauen.

SZ: Nun ja, Ihnen wurden ja gerade 3,4 Milliarden Euro Hilfsgeld zugesagt, Experten bezweifeln, ob so viel für den Wiederaufbau überhaupt gebraucht wird.

Saakaschwili: Die Hilfe wird nicht nur für den Wiederaufbau im engeren Sinne gebraucht, sondern auch für die ökonomische Stabilisierung. Außerdem befinden wir uns gerade in einem Demokratisierungsprozess. Wir reformieren zum Beispiel unser juristisches System. Wir erfüllen zwar die Anforderungen an die formelle Unabhängigkeit der Justiz, aber das System ist manipulierbar.

SZ: Und trotzdem gibt es Oppositionelle, die sagen, Ihre Regierung sei etwa so demokratisch wie die von Weißrussland.

Saakaschwili: Normalerweise sagen sie so etwas in den Medien - das ist der Unterschied zu Belarus. Ich möchte eine starke Opposition.

SZ: Im vergangenen Winter haben Sie Demonstrationen niederschlagen lassen.

Saakaschwili: Damals gab es den Versuch, einen Coup d'Etat zu organisieren. Die Umstürzler wollten den Innenminister töten, den Präsidenten stürzen. Wir mussten reagieren; keine demokratische Gesellschaft hätte das hingenommen.

SZ: Die Lage Georgiens ist unerfreulich. Russland und der Westen reden miteinander, ohne dass Georgien dabei eine große Rolle spielt, die Gespräche in Genf sind mühsam, die Chance auf eine Mitgliedschaft in der Nato schwindet. Setzt Sie das unter Rechtfertigungsdruck?

Saakaschwili: Es ist keine normale Situation, wenn im 21. Jahrhundert ein Land die Grenzen eines anderen mit Gewalt verändert. Mehr als 20 Prozent Georgiens sind besetzt, durch die Konflikte in Abchasien und Südossetien gibt es mehr als 500.000 Flüchtlinge. Wenn die internationale Gemeinschaft das akzeptiert...

SZ: Glauben Sie, dass beide Provinzen je wieder zu Georgien gehören werden?

Saakaschwili: Das wird viel Zeit brauchen - und eine Veränderung des internationalen Systems. Dieses System ist in einer schlechten Verfassung, weil internationales Recht dramatisch verletzt wurde und es keine Konsequenzen gibt.

SZ: Wer könnte Moskau zwingen, abzuziehen und die Provinzen aufzugeben?

Saakaschwili: Eines Tages wird es vielleicht eine vernünftigere russische Regierung geben. Es ist nicht in Russlands Interesse, feindselige Nachbarn zu haben.

SZ: Das klingt nach Wunschdenken.

Saakaschwili: Historisch gesehen sollte niemand mit einem solch brutalen Akt davonkommen. Außerdem: Südossetien kann nicht allein überleben, es ist ökonomisch abhängig von Georgien. Tomaten kosten derzeit 20 mal mehr als in Tiflis, weil sie den langen Weg aus Russland importiert werden müssen.

SZ: Wann kommt der Nato-Beitritt?

Saakaschwili: Diese Frage wird derzeit in Deutschland entschieden.Frankreich hat immer gesagt, man müsse sich mit Deutschland einigen. Ohnehin wird man auf die neue amerikanische Administration warten müssen.

SZ: Was erwarten Sie von Obama?

Saakaschwili: Ich hatte kürzlich ein gutes Telefonat mit ihm. Er hat seine Unterstützung signalisiert.

SZ: Wie lange werden Sie noch Präsident sein?

Saakaschwili: Nach dieser Wahlperiode ist Schluss.

SZ: Sie träumen nicht von einer längeren Amtszeit, wie Medwedjew?

Saakaschwili: Das würde niemand aus meiner Umgebung unterstützten. Wir halten uns an demokratische Regeln.

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