Süddeutsche Zeitung

Höppner über Minderheitsregierungen:"Mit Basta ist da nichts"

Kann die SPD mit der Linken oder doch nicht? Ein Gespräch mit Reinhard Höppner, Sachsen-Anhalts Ex-Regierungschef, über Minderheitsregierungen.

Lars Langenau

Reinhard Höppner, 61, ist Magdeburg tief verbunden. Dort verbrachte er den wichtigsten Teil seines politischen Lebens und lebt dort weiterhin. Bis zum Einstieg in die Politik in der Wendezeit war er Mathematiker, Lektor in einem Fachverlag und früh in der evangelischen Kirche aktiv. 1980 wurde er zum Präses der Synode der Kirchenprovinz Sachsen gewählt - und sah sich als Moderator, der eine Brücke zwischen Glaube und Moral sowie Gesellschaft und Politik schlagen wollte. 1989 schloss er sich der SDP an, die zur SPD in der DDR wurde, und wurde Vizepräsident der letzten Volkskammer. 1994 bildete er in Sachsen-Anhalt eine rot-grüne Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wurde. Nach dem verfehlten Wiedereinzug der Grünen 1998 ins Parlament führte er mit Hilfe der PDS eine SPD-Minderheitsregierung, die 2002 nach einer desaströsen Wahlniederlage von einer schwarz-gelben Mehrheit abgelöst wurde. Danach wandte sich Höppner wieder der Kirchenarbeit zu, war Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchtages 2007 und arbeitet als Autor und Herausgeber.

sueddeutsche.de: Egon Bahr plädiert seit zwei Jahrzehnten für einen entspannten Umgang mit der Linken. Das Blut, was uns einst die Kommunisten geraubt haben, müssen wir uns zurückholen, sagt er sinngemäß. Warum tut sich die Sozialdemokratie so schwer mit der Linken?

Reinhard Höppner: Das Anwachsen der Linken war ein Schnitt ins eigene Fleisch. Unsere Klientel ist teilweise zu einer anderen Partei abgewandert und die SPD hätte das gern verhindert. Aber die Realitäten sind jetzt andere. Damit muss sich die SPD abfinden.

sueddeutsche.de: Bahrs These ging weiter: Man müsse die Linke in Koalitionen einbinden - dann würden sie sich schon selbst entzaubern. Was halten Sie davon?

Höppner: Erstens glaube ich nicht daran, dass die Linke einen Zauber hat. Zweitens ist das natürlich richtig: Die Existenz der Linken können wir nicht leugnen, also müssen wir einen vernünftigen Umgang mit ihnen finden. Es muss möglich sein, die linken Mehrheiten in Deutschland auch in Regierungsmacht umzusetzen. Also müssen wir ein gesteigertes Interesse daran haben, dass Die Linke regierungsfähig wird. In Nordrhein-Westfalen war das noch nicht der Fall, in östlichen Bundesländern hingegen schon, wie wir in Berlin oder Brandenburg sehen.

sueddeutsche.de: Was sind für Sie die großen Knackpunkte auf der Bundesebene? Wo müssen sich SPD und Linke aufeinander zu bewegen?

Höppner: Natürlich muss es einen außenpolitischen Konsens geben, etwa bei der Mitgliedschaft in der Nato. Das ist bei allen anderen Parteien im Bundestag unumstritten und auch international nicht zu verändern. Das muss die Linke einsehen. Freilich hatten die Grünen das anfangs auch in ihrem Programm. Das kann sich also ändern.

sueddeutsche.de: Auch beim Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gibt es heftige Differenzen zwischen der Linken und ihrer Partei.

Höppner: Natürlich geht es auch um Verantwortung in der Welt. Aber diese Differenzen sind nicht unüberbrückbar. In Afghanistan geht es doch nur noch um die Frage: Wie schnell kommen wir da raus?

sueddeutsche.de: Und in der Innenpolitik?

Höppner: Da sind die Differenzen nicht so groß. Zwar sind die Forderungen der Linken da oft sehr populistisch. Aber es zeigt sich auch: Wenn die Linke in Regierungen eingebunden wird, überwindet sie diesen Populismus schnell. Das einzige Thema sind Verstaatlichungstendenzen der Linken, die uns einfach nicht weiterbringen.

sueddeutsche.de: Glauben Sie - irgendwann - an eine Wiedervereinigung von SPD und Linkspartei?

Höppner: Eher nicht. Personell derzeit schon gar nicht, weil die Phobie der SPD vor der Linken ausgeprägt ist und das direkt mit Oskar Lafontaine zu tun hat. Aber auch, weil wir ja mit der Existenz der Linkspartei in gewisser Weise in der europäischen Realität gekommen sind. Kleine Linksparteien neben den Sozialdemokraten gibt es in vielen Ländern Europas - in Skandinavien als Tolerierungspartner von Minderheitsregierungen. Andererseits gilt das auch im Blick auf die Zukunftsthemen. Etwa bei der Kapitalismuskritik kann eine Linke viel lautstarker Forderungen aufstellen als die Sozialdemokratie das kann und will. Also würde da immer eine Lücke bleiben, die jemand populistisch auszufüllen versuchen wird.

sueddeutsche.de: Was waren die Besonderheiten des "Magdeburger Modells", der rot-grünen beziehungsweise SPD-Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt? Warum hielt das acht Jahre?

Höppner: Es gab keine Mehrheit gegen den Ministerpräsidenten. CDU, FDP und PDS waren nicht in der Lage, sich zu einigen und vernünftige Absprachen zu treffen. Auch hatte die PDS damals und hat die Linkspartei heute kein Interesse daran, dass die CDU wieder an die Macht kommt, weil sie das ihrer eigenen Klientel nicht vermitteln könnte. Ein weiterer Faktor: In Sachsen-Anhalt und jetzt in NRW muss sich die Linke nur der Stimme enthalten, dann hat die Regierung eine Mehrheit. Solche Stimmenthaltungen waren allerdings selten, im Zweifelsfall wollten die Linken dann doch eher mitbestimmen und auch Verantwortung übernehmen.

sueddeutsche.de: Der realpolitische Flügel der Linken sagt ohnehin: Lieber eine Koalition als Tolerierung. Warum haben Sie damals keine Koalitionsregierung gebildet?

Höppner: Es gab zwei Faktoren: Die Bundestagswahl 1994 stand bevor und schon wegen unserer Minderheitsregierung war die Bundesrepublik in heller Aufregung. Ich erinnere nur an die "Rote-Socken-Kampagne". Die SPD dachte damals, man würde die Wahl verlieren, wenn man sich mehr erlauben würde ...

sueddeutsche.de: ... also im Grunde die gleiche Situation wie heute.

Höppner: Ja, aber auch Gespräche und Sondierungen wären damals mit der PDS überhaupt nicht möglich gewesen. Umso erstaunlicher ist, dass die PDS dann so ein zuverlässiger Tolerierungspartner wurde. Ganz im Unterschied zu Düsseldorf kann man sagen: Das war eine ganz verlässliche Fraktion.

sueddeutsche.de: Muss der Regierungschef einer Minderheitsregierung eher Moderator sein als in anderen Konstellationen? Welche Qualitäten muss man besitzen?

Höppner: Mit Basta ist da nichts. Und man muss die eigenen Leute zusammenhalten. Wenn der linke Flügel der Fraktion mit irgendetwas nicht durchkam, sind die eigenen Leute zur PDS gegangen und haben über Bande gespielt, in dem sie denen gesagt haben: Lasst das mal nicht durchgehen! Das waren die gravierendsten Probleme. Aber im Grunde braucht man mit einer Minderheitsregierung nur einen Haushalt durchzubekommen. Dann lassen sich auch in den Sachfragen Mehrheiten finden. Und vieles geht ja auch ohne Parlament, wie zum Beispiel Bundesratsentscheidungen.

sueddeutsche.de: Bei der gescheiterten Wahl von Andrea Ypsilanti in Hessen haben auch die eigenen Leute opponiert, allerdings vom rechten Flügel. Was hat sie falsch gemacht?

Höppner: Man muss solche Entscheidungen schnell treffen! Auch für Hannelore Kraft war es der letzte Zeitpunkt, diese Minderheitsregierung anzustreben. Man wird zerschlissen, wenn man das Problem ein Jahr lang vor sich herschiebt. Wenn Ypsilanti entschlossen gehandelt hätte, hätte es die gute Chance gegeben, dass sie heute Ministerpräsidentin in Hessen wäre.

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie die Kampagne 'So linkt Rot-Grün' der Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP? Glauben Sie, dass dieses Konzept heutzutage noch verfängt?

Höppner: Nein, das glaube ich nicht. Es ist heute doch viel offensichtlicher, dass ein machtpolitisches Interesse der Konservativen besteht. Man wird alle Register ziehen, um eine Zusammenarbeit mit der Linken zu verhindern, weil man sonst in Deutschland keine Mehrheiten mehr hat. Im Zweifelsfalle gehen immer große Koalitionen, aber wenn die SPD mit der Linken (und mit den Grünen) zusammenarbeiten kann, dann sitzt die CDU nun einmal auf der Oppositionsbank. Deshalb schießen die Konservativen aus allen Rohren, um diese Konstellation zu verhindern. Ich kann meiner Partei nur raten, damit gelassener umzugehen und die Panik, die sie früher befiel, nicht mehr an den Tag zu legen.

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie die Haltung von Schwarz-Gelb in Düsseldorf? Wird es eine Fundamentalopposition geben? Oder wird sich die Hoffnung der neuen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erfüllen, dass es zu Sternstunden der Demokratie im Parlament kommen wird?

Höppner: Zur Zusammenarbeit mit den Konservativen wird es eher nicht kommen. Aber vielleicht zeigt die FDP ja mal Vernunft, dass sie sich auch eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen vorstellen kann. Sternstunden der Demokratie wird es schon darum öfter geben können, weil mehr im Landtag ausgehandelt werden muss, nicht hinter den verschlossenen Türen eines Koalitionsausschusses.

sueddeutsche.de: Wie muss die Linke im Vorfeld in Entscheidungen eingebunden werden? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Höppner: Bei uns lag der rot-grüne Koalitionsvertrag vor und die PDS ist durch eine einseitige Erklärung dem Vertrag beigetreten. Das war eine ungewöhnliche Opposition, die wollte, dass wir das umsetzen, was wir uns vorgenommen hatten. Frau Kraft braucht allerdings nur eine Stimme. Das war bei uns nicht so. Sie wird es in dieser Hinsicht noch einfacher haben.

sueddeutsche.de: Der Linke-Fraktionschef Gregor Gysi hat schon angedroht, dass die Linke auch mit der CDU stimmt. Haben Sie das in Magdeburg auch erlebt?

Höppner: Das sind alles Drohungen, die man nicht besonders ernst nehmen muss - wenn die Linke mit CDU und FDP stimmt, hat sie auch keine Mehrheit.

sueddeutsche.de: War es ein geschickter Schachzug, das Kabinett in Düsseldorf erst nach der Wahl der Ministerpräsidentin bekanntzugeben?

Höppner: Ja, das habe ich auch gemacht. Aber es hätte auch anders den Wahlausgang nicht wesentlich geändert.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von der Idee des SPD-Chefs Sigmar Gabriel von einer Minderheitsregierung im Bund?

Höppner: Das ist im Land viel einfacher als im Bund. Mit wechselnden Partnern zu kooperieren, ist auf dieser nationalen Ebene schwierig. Das Projekt halte ich deshalb für unrealistisch. Im Zweifelsfalle muss man die Linke dann in die Regierungsverantwortung drängen und schauen, ob ein vernünftiger Koalitionsvertrag möglich ist.

sueddeutsche.de: Haben Sie noch eine Empfehlung für Frau Kraft?

Höppner: Gelassenheit, viel Gelassenheit. Jetzt ist sie im Amt - und da wird sie auch so schnell keiner wieder wegbekommen. Nun muss sie beherzt regieren, dann wird sie auch die Anerkennung im Land bekommen.

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