Auf der "Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik" am Wochenende werden die Nato-Vertreter auch über die Zukunft des Iraks reden. Peter Struck (SPD), der deutsche Verteidigungsminister, schließt einen Einsatz der Bundeswehr weiter aus. Erst wenn eine demokratisch gewählte Regierung um humanitäre Hilfe bitte, komme ein Engagement in Frage.
SZ: Herr Struck, wann werden deutsche Soldaten im Irak stehen? Struck: Die Frage stellt sich nicht. Mehr militärische Präsenz löst die Probleme des Irak nicht. Erst veränderte Rahmenbedingungen - ein neuer UN-Beschluss, eine irakisch gewählte Regierung - können Abhilfe schaffen.
SZ: Sie schließen einen Einsatz im Irak also nicht mehr kategorisch aus? Struck: Ich schließe einen solchen Einsatz aus. Aber wer weiß denn, ob es in drei, vier Jahren um Nation Building im Irak geht? Wenn eine demokratisch gewählte irakische Regierung um humanitäre Hilfe bittet, werden wir uns nicht verweigern.
SZ: Aber was ist, wenn noch dieses Jahr ein Nato-Hauptquartier nach Bagdad verlegt wird? Müssen dann die deutschen Stabsoffiziere hier bleiben? Struck: Das sind Spekulationen.
SZ: Die Nationen, die jetzt Truppen stellen, die Polen, die Italiener, die Spanier, dringen auf Ablösung. Struck: Eine solche Bitte ist bisher nicht vorgetragen worden. Selbst wenn sie vorgetragen würde - es gilt, was ich eingangs gesagt habe.
SZ: Angeblich ist Paris bereit, Truppen zu schicken. Bleibt es bei der deutsch-französischen Gemeinsamkeit? Struck: Meine französische Kollegin hat öffentlich erklärt, dass es keine Entscheidung über eine militärische Beteiligung an einem Nato-Engagement gibt. Die französische Regierung bewertet die politische Situation im Irak genauso wie die Bundesregierung.
SZ: Wenn aber beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister bei der Sicherheitskonferenz in München eine solche Bitte an Sie herangetragen würde, könnten Sie sich da überhaupt entziehen? Struck: Wir leisten die Hauptarbeit der internationalen Staatengemeinschaft in Afghanistan. Und ab August werden wir wahrscheinlich durch den Einsatz des Eurokorps dort im ISAF-Hauptquartier noch weitere Verantwortung übernehmen.
SZ: Ist das ein Entlastungsangebot, damit der Irak an Ihnen vorübergeht? Struck: Nein, das ist als Hilfe für die Nato gemeint, die in Afghanistan ihren Schwerpunkt sieht.
SZ: Muss dafür die Zahl der Soldaten über das Maß hinaus erhöht werden, das der Bundestag bisher genehmigt hat? Struck: Ich denke nicht. Wir können in den nächsten Wochen zum Beispiel die knapp 300 Soldaten abziehen, die den Flughafen Kabul betreuen, weil ein anderes Land die Aufgabe übernimmt. Und wir haben noch Luft im Bundestagsbeschluss. Sollte ein neuer Beschluss nötig werden, weil die deutsch-französische Brigade herangezogen wird, erwarte ich jedoch keine Schwierigkeiten im Parlament.
SZ: Das kostet aber auch mehr Geld. Struck: Ja, wir kommen an die Grenze. Wir haben schon den Einsatz in Kundus aus unserem Haushalt bestritten. Irgendwann werde ich den Finanzminister und das Kabinett darauf hinweisen müssen, dass der Verteidigungshaushalt nicht immer alle Kosten allein tragen kann.
SZ: Es gibt angeblich Klagen über zu wenig gepanzerte Fahrzeuge und altersschwache Transporthubschrauber. Ist die Bundeswehr in Afghanistan angemessen ausgestattet? Struck: Wenn sie es nicht wäre, würde ich unverantwortlich handeln. Ich war gerade in Kundus und habe keinerlei Beschwerden über mangelnde Ausrüstung oder mangelnden Schutz gehört. Im Gegenteil: Der Kommandeur vor Ort hat mir versichert, dass er über alles notwendige Material verfügt. Einen totalen Schutz gegen Selbstmordattentate können Sie aber nicht erreichen.
SZ: Der Kanzler hat vor kurzem Afrika entdeckt. Wird die Bundeswehr demnächst auch dort eingesetzt? Struck: Europa muss sich Afrika wegen der kolonialen Vergangenheit besonders verantwortlich fühlen. Nordafrika braucht auch zu unserer eigenen Sicherheit intensive Aufmerksamkeit, weil Terroristen über die Straße von Gibraltar nach Europa einsickern können.
SZ: Also deutsche Landesverteidigung nicht nur - wie Sie einmal gesagt haben - am Hindukusch, sondern auch am Rande der Sahara? Struck: Wir müssen Landesverteidigung wirklich neu definieren. Und ich wundere mich, dass die Debatte über diese Frage, auch die Debatte über meinen Satz, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, bisher so ruhig verlaufen ist. Ich würde gern intensiv darüber diskutieren. Ich denke, wir schützen unser Land, wenn wir verhindern, dass wir von irgendwo auf der Welt bedroht werden: durch Terroristen, terroristische Ausbildung oder gewaltbereite Staaten.
SZ: Warum halten Sie bei diesem Aufgabenprofil noch an der Wehrpflicht fest, die mit einem ganz anderen Begriff von Landesverteidigung verbunden ist? Struck: Ich bin der Überzeugung, dass Berufsarmeen weniger gut geeignet sind als die Armee, die wir haben.
SZ: Sie sprechen gerade von allen großen europäischen Nachbarn. Struck: Wir müssen deren Fehler nicht auch machen. Schauen Sie, welche Nachwuchs- und Besetzungsprobleme die Staaten ohne Wehrpflicht haben: Die erreichen ihre Sollstärke nicht mehr. Das halte ich nicht für den richtigen Weg.
SZ: Wehrpflicht aus Pragmatismus? Struck: Nein. Wehrpflicht, weil deutsche Soldatinnen und Soldaten in der Welt akzeptiert sind. Ohne Übertreibung: Von denjenigen, die irgendwo im Ausland im Einsatz sind, zum Beispiel in Kabul, gehören wir zu den Nationen, die das höchste Ansehen haben.
SZ: Deutsche Soldaten im Ausland sind Zeit- oder Berufssoldaten. Struck: Das stimmt nur bedingt. Ein Drittel der Mannschaftssoldaten sind Wehrpflichtige, die ihren Dienst freiwillig um einige Monate verlängert haben. Wenn nur noch Zeit- und Berufssoldaten in der Armee sind, greift in der Bevölkerung eine Mentalität um sich, die lautet: Das ist deren Beruf, dafür werden sie bezahlt, das Leben zu verlieren ist dann Berufsrisiko. Es würde eine Entfremdung der Gesellschaft von der Bundeswehr eintreten. Aber es gibt auch das pragmatische Element: Wir brauchen nach unserer Aufgabenbeschreibung auch bei einer Berufsarmee mindestens 240.000 Soldaten. Wenn wir 55.000 Wehrpflichtige nicht mehr haben, müssen wir andere Leute holen und sie bezahlen.
SZ: Sind Sie sich sicher, dass Ihre Partei noch immer keine Berufsarmee will? Struck: Man kann sich da nie sicher sein. Nach den jetzigen Debatten ist es denkbar, dass die SPD ihre Meinung ändert. Das kann frühestens auf dem Bundesparteitag im November 2005 geschehen. Ich möchte gerne, dass in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion darüber geführt wird. Zum Beispiel über die Frage: Was heißt das eigentlich, wenn Deutschland eine Berufsarmee einführt? Wen wollen wir dafür haben? Die Bundeswehr sollte nicht jeden nehmen, der kommen will. Man braucht Qualität. Dafür muss man entsprechende Anreize bieten. Das kostet zusätzlich Geld. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Finanzminister im Jahre 2010, wenn die Wehrpflicht tatsächlich abgeschafft sein sollte, dem Verteidigungsminister mehr Geld zum Aufbau einer Berufsarmee geben wird.
SZ: Wenn aber doch die Wehrpflicht abgeschafft wird, heißt das, dass der Verteidigungsminister Struck gehen würde? Struck: In solchen Kategorien denke ich nicht.
SZ: Apropos Geld. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass es ab 2007 eine Milliarde Euro mehr für den Wehretat gibt? Struck: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sprechen dafür. Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr Spielraum verschaffen. Und es gibt eine Vereinbarung zwischen dem Finanzminister und mir.
SZ: Die Reduzierung der Soldatenzahl im Zuge der Bundeswehrreform lässt sich anordnen, bei den Zivilbeschäftigten geht das nicht. Sie wollen 35000 Stellen bis 2010 abbauen. Wie soll das gehen? Struck: Es gibt einen Tarifvertrag, von meinem Amtsvorgänger abgeschlossen, der keine betriebsbedingten Kündigungen erlaubt. Dabei bleibt es. Aber ein Punkt ist mit dem Innenminister zu klären: Ich möchte gerne das Beamtenrecht ändern, damit ein Beamter, der freiwillig früher in den Ruhestand geht, entsprechende Abfindungen erhalten kann.
SZ: Ein goldener Handschlag? Struck: Es würde nicht einmal ein silberner sein.