Interview mit Otto von Habsburg:"Putin ist ein eiskalter Technokrat"

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Otto von Habsburg, mit seiner Frau Regina im Jahre 2001, wäre seinem Vater als Kaiser auf dem Thron der Donaumonarchie gefolgt - wenn es diese nach dem Ersten Weltkrieg noch gegeben hätte. (Foto: Reuters)

Der langjährige Europa-Politiker misstraut dem mächtigen Ex-KGB-Mann im Kreml - er fürchtet eine Restalinisierung Russlands. Im SZ-Gespräch plädiert der Sohn des letzten österreichischen Kaisers zudem für ein entbürokratisiertes Europa und einen EU-Senat.

Johannes Honsell und Oliver Das Gupta, Pöcking

Otto von Habsburg, Jahrgang 1912, ist langjähriger Europapolitiker der CSU. Sein Vater war von 1916 bis 1918 der letzte Kaiser von Österreich und König von Ungarn. Habsburg ließ sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie in Pöcking nahe des Starnberger Sees nieder. Dort, in seiner "Villa Austria", fand das folgende Gespräch statt.

SZ: Herr von Habsburg, waren die Unterzeichnung der EU-Verfassung und die Osterweiterung die glücklichsten Momente in Ihrem Leben?

Otto von Habsburg: Ich würde sagen, die Unterzeichnung der Verfassung nein, die Osterweiterung ja. Weil für mich die europäische Union eine Sicherheitsgemeinschaft ist. Wenn man viele Kriege erlebt hat, weiß man: Wenn man Sicherheit hat, ist die ökonomische Situation gleich besser. Daher ist das Allerwichtigste die Sicherheit. Schauen sie sich doch die Karte an, wo Europa liegt. Da haben wir einige Nachbarn, die nicht so erfreulich sind.

An welche Nachbarn denken Sie da?

Russland, an erster Stelle. Russland hat sich immer ausgedehnt. Unter Jelzin war das im Grunde schon so. Es ist das größte imperialistische Land, das es gibt. Es geht bis zu den Kurilen auf der einen Seite und träumt auf der anderen noch immer davon, die baltischen Staaten zurückzubekommen.

Wladimir Putin ist also eine Gefahr für Europa?

Putin ist etwas ganz anderes als Jelzin war. Jelzin war immer betrunken, was ihn sympathisch gemacht hat. (lacht) Er war halt so ein typischer hundertprozentiger Russe. Auf mich machte er immer einen sehr guten Eindruck.

Für Sie ist Putin ist kein typischer Russe?

Putin ist ein eiskalter Bürokrat und Technokrat. Ich befasse mich schon sehr lang mit Putin, schon zu einer Zeit, als die Leute noch gar nicht wussten, dass er existiert. Aus einem reinen Zufall übrigens.

Aus Zufall? Sind sie sich etwa begegnet?

Schauen Sie, als damals der letzte Wahlkampf in der DDR (im Jahr 1990) stattfand, kam ich an einem Freitagabend in einem Dresdner Hotel an. Der Direktor sagte mir: Vergessen sie nicht, heute finden die antikommunistischen Demonstrationen statt. Man fürchtete, dass dort vielleicht geschossen würde. Ich bin natürlich hingegangen, hab dann bei dieser Demonstration Leute getroffen, die aus Gefängnissen herausgelassen wurden damals, in denen sie auch mit Russen zu tun hatten. Und einige haben gesagt: Da gibt es einen jungen Russen, der besonders arg ist. Sein Name sei Wladimir Putin. Und seither habe ich mich für ihn interessiert, weil sich niemand sonst für ihn interessiert hat.

Sie nehmen Putin also eine Wandlung nicht ab?

Das ist ein uralter KGB-Mann, der in der eigenen Schule die Schulkameraden denunziert hat. Schauen Sie, wie sehr Russland wieder restalinisiert worden ist, seitdem Putin an der Macht ist, schauen sie sich allein die innere Struktur der Regierung an, schauen sie sich die Emigration an, die Russland wieder hat. Schauen Sie sich den Prozess gegen Chodorkowskij an, der ein Skandal gewesen ist.

Nun hörte man seit dem Irak-Krieg, dass Europa als Sicherheitsgemeinschaft eher von einem Präventivkriege führenden Amerika Ungemach droht als von Russland.

Das ist eine Trottelhaftigkeit, verzeihen Sie. Die Amerikaner sind für uns keine Gefahr. Das wir uns gegen gewisse Wellen der amerikanischen Kultur wehren müssen, das ist völlig klar. Aber unsere Sicherheit ist von Seiten der Amerikaner nicht gefährdet.

Es ist wohl eher gemeint, sich gegenüber den USA als Gegenpol zu etablieren.

Schauen Sie, ich bin kein begeisterter Anhänger einer Hegemonie der Vereinigten Staaten. Dazu kenne ich Amerika zu gut. Ich bin ja mehrere Jahre meines Lebens dort gewesen. Aber daraus eine Gefahr für Europa zu konstruieren, ist abwegig. Man darf nicht vergessen, die Amerikaner haben uns immerhin in sehr kritischen Zeiten geholfen. Die Amerikaner sind ja unsere Kinder.

Sie setzen sich seit den Dreißigerjahren für die Einigung Europas ein, saßen 20 Jahre im europäischen Parlament. Die EU steckt derzeit in der Krise. Wie geht es nun weiter?

Wir werden weiterkommen. Rumänien und Bulgarien stehen vor dem Beitritt, Bulgarien wird glatt gehen, Rumänien ist schon etwas schwieriger, wird aber wohl auch beitreten können. Und natürlich Kroatien.

Und wie steht es um die institutionelle Reform?

Gott sei Dank ist die Verfassung weg. Ich bin gegen eine Verfassung, die 200 bedruckte Seiten hat. Aber ich habe in Frankreich Versammlungen für die Verfassung gemacht. Ich bin unglücklich über Teile dieser Verfassung, sie entspricht nicht meinem Ideal, aber ich habe gesagt: Stimmt bitte dafür, weil es psychologisch notwendig ist, ja zu sagen. Aber mein Rat ist: Am nächsten Tag, nachdem ihr gewählt habt, tretet ein für die Veränderung.

Über welche Teile der Verfassung sind sie unglücklich?

Eine Verfassung muss kurz und klar sein, diese ist weder das eine noch das andere. Dafür tragen die Regierungen die Verantwortung. Der ursprüngliche Text von Giscard d'Estaing war nicht zu lang. Doch dann kam diese Kommission der 106.

Sie meinen den EU-Konvent, der im Sommer 2003 Vorschläge für eine neue Verfassung vorgelegt hat?

Ja. Schauen Sie, viele Köche verderben den Brei. Haben Sie jemals ein Dokument gesehen, dass durch 106 Leute gut gemacht wird? Außerdem gehört das meiste, was drin steht, nicht in eine Verfassung. Wir haben heute in der EU zwei Verfassungsbestimmungen, die funktionieren. Die eine ist, dass in den römischen Verträgen von 1957 die soziale Marktwirtschaft einklagbar gemacht worden ist, wobei das Soziale allzu oft vergessen wird. Die andere ist das Subsidiaritätsprinzip, das im Maastrichter Vertrag festgeschrieben wurde. Das ist die Art, wie man eine Verfassung machen soll.

Und die Reform der EU-Institutionen? Die Verfassung will die Kommission verkleinern und dem Parlament mehr Befugnisse geben.

Die vorhandenen Institutionen sind nicht schlecht. Der EU-Rat ist schlecht. Da sind die Großmächte drinnen, die immer wieder ihre Politik durchziehen. Das müsste reformiert werden.

25 Kommissare sind nicht zu viel?

Im Rat sind noch viel mehr. Schauen Sie, wir brauchen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, aber wir müssen auch gleichzeitig die innere Dezentralisierung wahren. Ich bin nicht dafür, dass man die Staaten und Regionen abschafft. Wir müssen eine neue Formel für Europa finden, die auf der einen Seite in den wesentlichen Dingen einigend ist, in allem anderen aber die Freiheit gibt.

Sitzen zu viele Abgeordnete im Europa-Parlament?

Die Zahl der Abgeordneten sollte drastisch reduziert werden. Maximal 200 Abgeordnete wären genug. Was wir jetzt haben ist genau die Zahl der Menschen, die im obersten Sowjet gesessen sind. Und die große Weisheit des obersten Sowjet ist ja: wenn so viele Leute in etwas sind, dann ist einer oben, der befiehlt, und dann machen es die anderen. Wir müssen die Zahl der Abgeordneten drastisch reduzieren und ein Zweikammersystem mit einem Senat einführen.

Und wer soll in diesem Senat vertreten sein?

Der Senat sollte durch die Funktionäre der Gemeinden konstituiert werden. Wir brauchen Wurzeln im Boden, die haben wir etwas verloren. Ich habe immer Angst, dass unsere Demokratie einmal etwas Entsetzliches erleben wird, weil man ihr nicht genug die Wurzeln im Boden lässt.

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