Interview mit NRW-Schulministerin Löhrmann:"Nicht mit Mittelmaß zufrieden"

Warum scheiterte die Bildungsreform in Hamburg? Ein Gespräch mit der neuen grünen NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann über Fehler, Lehren, ihre Minderheitsregierung und was sie noch von Schwarz-Grün hält.

Lars Langenau

Sylvia Löhrmann, 53, wuchs in Essen auf, ist Gesamtschullehrerin für Deutsch und Englisch, Oberstudienrätin und neue Ministerin für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen. Zudem ist sie stellvertretende Ministerpräsidentin. Die Grünen-Politikerin sitzt seit 15 Jahren im Landtag und hielt sich als Spitzenkandidatin im Wahlkampf die schwarz-grüne "Zweitoption" offen. Nun will sie aber erst mal mit ihrer Duzfreundin Hannelore Kraft eine rot-grüne Minderheitsregierung in NRW führen.

Grüne Parteitag

Neue Schulministerin in NRW, Sylvia Löhrmann: Wir wollen gute Leistungen und eine Anstrengungskultur.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Frau Löhrmann, gerade haben Sie Ihr Amt angetreten - und in Hamburg scheiterte per Volksentscheid das wichtigste schwarz-grüne Projekt: die Schulreform. Wird die Entscheidung auch Einfluss auf Ihre Politik in Nordrhein-Westfalen haben?

Sylvia Löhrmann: Von interessierter Seite wird versucht, die Entscheidung aus Hamburg auf Nordrhein-Westfalen zu übertragen. Aus meiner Sicht ist das jedoch völlig unangemessen. Wir haben für das längere gemeinsame Lernen in der Sekundarstufe 1 einen vollkommen anderen Ansatz gewählt: Bei uns bleibt es bei vier Jahren Grundschule - und danach wird mit den Kommunen und Eltern im Konsens entschieden, ob es Gemeinschaftsschulen gibt.

sueddeutsche.de: Die Gemeinschaftschule ist das große Projekt Ihrer rot-grünen Minderheitsregierung. Ein Modell des längeren gemeinsamen Lernens aus Skandinavien, das seit ein paar Jahren in Schleswig-Holstein praktiziert wird. Was ist der entscheidende Unterschied Ihrer Reform zu der in Hamburg?

Löhrmann: Wir machen pragmatische Angebote, setzen auf Ermöglichung und nicht auf Zwang. Die Hauptschule wird trotz ihrer guten Arbeit nicht mehr angenommen von den Eltern. Besonders im ländlichen Bereich haben wir parteiübergreifend Wünsche nach Veränderung. Die Gründung von Gemeinschaftsschulen soll ja gerade die Chance auf das Abitur im ganzen Land erweitern. Vor Ort wird das auch ganz pragmatisch gesehen. Leider wurde diese Entwicklung von der Regierung Rüttgers/Pinkwart blockiert. Wir hingegen setzen auf die Entwicklung von unten. Wenn wir auf sinkende Schülerzahlen nicht reagieren, beschleunigen wir das Schulsterben.

sueddeutsche.de: Sie ziehen also keine Lehren aus Hamburg?

Löhrmann: Die Entscheidung muss uns allen zu denken geben. Sie zeigt, dass man Veränderungen im Bereich der Schule mit Fingerspitzengefühl vornehmen muss. Und wie schwer es ist, mit einer Reform zu überzeugen, die ein Gewinn für alle Kinder sein soll.

sueddeutsche.de: Lohnt es sich wirklich, für etwas zu kämpfen, das offensichtlich die Mehrheit der Bürger nicht will?

Löhrmann: Das ist mir zu pauschal. Überall dort, wo vor Ort überzeugende Schulkonzepte entwickelt wurden, haben sich die Eltern mit großer Mehrheit dafür entschieden. Eltern wollen die beste Bildung für ihre Kinder. Dem wollen wir Rechnung tragen, mit uns wird es keinen ideologischen Schulkampf geben.

sueddeutsche.de: Zweifeln Sie zumindest an der Entscheidung des Volkes?

Löhrmann: In Hamburg hat es in einer Sachfrage eine Ablehnung gegeben. Das ist bedauerlich und tut mir leid für die vielen Befürworter in Hamburg. Als Demokraten respektieren wir das natürlich. Die Grünen stehen für Elemente direkter Demokratie - also versteht sich von selbst, dass das Ergebnis bindend ist. Aber unsere Schulreform in NRW ist ganz anders angelegt. Wir wollen das nicht verordnen, sondern mit den Menschen entwickeln.

sueddeutsche.de: Für viele Bildungsexperten ist das Ergebnis in Hamburg frustrierend. Sie fragen sich, ob die Trennung der Kinder schon im Kindergarten beginnen soll.

Löhrmann: Das stimmt. Und fängt manchmal schon in der Grundschule an. Mit den bekannten sozialen Verwerfungen. Es gelingt uns in Deutschland nur sehr schwer, die Menschen davon zu überzeugen, dass längeres gemeinsames Lernen Vorteile auch für begabte Kinder mit sich bringt.

sueddeutsche.de: Warum ist das in Skandinavien so unumstritten und führt zu phänomenalen Erfolgen in allen Vergleichsstudien?

Löhrmann: Weil sich die Skandinavier in einem großen Schulkonsens nach dem Krieg schon zu längerem gemeinsamen Lernen entschlossen haben - und dies mit individueller Förderung verbunden haben. Es geht ja gerade nicht um "Gleichmacherei", sondern um individuelle Förderung und gute Ergebnisse für möglichst viele Schülerinnen und Schüler. Wir wollen soziale Gerechtigkeit und gute Leistungen herausfordern. Das ist Bildungsaufstieg.

sueddeutsche.de: Bundesbildungsministerin Annette Schavan wertet das Scheitern der Hamburger Schulreform als positives Signal für die Bildungspolitik.

Löhrmann: Ich finde es entlarvend, dass Frau Schavan vom Sieg für Gymnasien spricht. Es geht doch nicht um Schulformen, sondern um Kinder! Schulpolitik muss für Kinder ein Gewinn sein. Und wenn sich Frau Schavan mit den Schulergebnissen in Deutschland zufriedengibt, dann ist sie keine gute Bildungsministerin. Wir geben uns mit Mittelmaß nicht zufrieden.

Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite: Ist Schwarz-Grün ein Auslaufmodell? Und warum eine Koalition mit der Linken in NRW nicht möglich war.

"Die Linke hat sich als politisch unreif dargestellt"

sueddeutsche.de: Warum wird bei allen Reformprojekten das Gymnasium ausgeklammert? Warum traut sich da niemand dran?

Löhrmann: Die Frage ist doch, ob es das Gymnasium schafft, sich weiter zu entwickeln. Stichworte sind hier Projektarbeit, Schülerorientierung, Verantwortung für jedes einmal aufgenommene Kind, eine Schule ohne Sitzenbleiben, eine erfolgreiche Schullaufbahn für alle - ohne privat dazugekaufte Nachhilfe. Deshalb müssen Gymnasien einbezogen werden in innovative Schulentwicklung.

sueddeutsche.de: ... und das klappt mit Ihren Gemeinschaftsschulen?

Löhrmann: Ja sicher. Denn dort wollen wir gymnasiale Standards und Angebote verankern, damit sie für Kinder und deren Eltern attraktiv sind. Es stimmt doch etwas nicht, wenn beim Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium in manchen Regionen die Wechsel-Quote bei 60 Prozent, und in anderen bei 25 Prozent liegt. Die Kinder sind doch nicht dümmer. Das zeigt nur, dass der Schul-Übergang vielfach nichts mit der Leistung, sondern oft mit den vorhandenen Angeboten sowie der Herkunft und dem Geldbeutel der Eltern zu tun hat. Wir hingegen wollen mehr Kinder und Jugendliche zu besseren Abschlüssen und zum Abitur führen.

sueddeutsche.de: Frau Löhrmann, was ist für Sie das Modell Schwarz-Grün? Ein Zukunftsprojekt? Ein Auslaufmodell?

Löhrmann: Weder noch. Es geht immer um die Inhalte. Wir haben in NRW einen Wahlkampf für Rot-Grün geführt, aber auch betont, dass wir mit der CDU reden, wenn es für Rot-Grün nicht gereicht hätte. Ich betone das Wort "reden"! Ob wir dann zusammengekommen wären, hätte davon abgehangen, ob wir wesentliche Teile unseres grünen Zukunftsplans in einem gemeinsamen Programm hätten verankern können. Sie hören die Konjunktive?! Im Moment habe ich keine Veranlassung, über Schwarz-Grün nachzudenken. Wir haben Rot-Grün und wir werden das gut machen.

sueddeutsche.de: Sie haben Schwarz-Grün einmal als "Zweitoption" bezeichnet. Das hört sich ziemlich pragmatisch an.

Löhrmann: Das ist auch ganz pragmatisch und wäre davon abhängig gewesen, was wir inhaltlich erreicht hätten. Das haben wir im Wahlkampf vertreten und das haben uns die Menschen offensichtlich auch abgenommen. Sonst hätten wir mit Sicherheit nicht ein Wahlergebnis von 12,1 Prozent erzielt.

sueddeutsche.de: Was raten Sie Ihren Kollegen von der GAL in Hamburg für die Ära nach Beust? Weitermachen? Rot-grüne Minderheitsregierung?

Löhrmann: Das entscheiden die Kolleginnen und Kollegen in Hamburg. Ich würde es mir auch verbitten, wenn ich aus Hamburg gute Ratschläge bekäme.

sueddeutsche.de: Und in NRW? Da sprachen Sie davon, dass Sie selbst nicht wissen, wie lange die Minderheitsregierung halten wird - fünf Monate oder fünf Jahre.

Löhrmann: Nein, das habe ich nicht gesagt. Es hängt nicht allein von uns ab. Wir haben unser Regierungsprogramm auf fünf Jahre angelegt.

sueddeutsche.de: Warum haben Sie die Linke nicht gleich mit ins Boot genommen?

Löhrmann: Weil sich die Linke als politisch unreif dargestellt hat.

sueddeutsche.de: Wie werden Sie die Linke künftig in Entscheidungen einbinden?

Löhrmann: Wir setzen auf wechselnde Mehrheiten. Das ist eine besondere Herausforderung, aber da gibt es keine Vorfestlegung. Natürlich liegt es näher, mit der Linkspartei über die Abschaffung der Studiengebühren zu reden, mit der FDP über Verbesserungen bei der Elementarpädagogik und mit der CDU über eine bessere kommunale Finanzausstattung. Ich bin da ganz zuversichtlich. Denn selbst beim Haushalt geht es nicht um aktive Zustimmung, sondern "nur" um Enthaltung.

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