sueddeutsche.de: Herr Jaenicke, Sie rufen öffentlich zum Boykott der Fernsehübertragungen der Olympischen Spiele auf. Haben Sie nicht einmal die Eröffnungsfeier gesehen?
Jaenicke: Um Gottes Willen, das ist die schlimmste Propaganda-Veranstaltung von allen. Warum sollte ich mir ausgerechnet die anschauen? Ich sehe bestimmt nicht zu, wenn Leute wie Schröder und Bush mit den Chinesen feiern.
sueddeutsche.de: Informieren Sie sich auf anderen Wegen über den Verlauf der Spiele? Über Zeitungen oder das Internet?
Jaenicke: Ja, zum Beispiel in der Süddeutsche Zeitung. Die Ergebnisse und ganz besonders die Berichte über das chinesische Doping lese ich mit wachsendem Zynismus. Es ist eine unglaubliche Augenwischerei des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), einfach über die Vorwürfe hinweg zu gehen.
sueddeutsche.de: Sie sagten, dass die Spiele in diesem Jahr für Sie nicht stattfänden. Inwiefern kann ein Boykott der Spiele die Menschenrechte in China beeinflussen?
Jaenicke: Man darf das natürlich nicht auf dem Rücken der Sportler austragen. Die haben einfach Pech, dass sie in diesem Jahr in China antreten müssen. Aber wenn ich sehe, wie Politiker aus aller Welt auf der Tribüne sitzen und in diesem Land ein großes Sportfest feiern, halte ich das für Arschkriecherei. So etwas sollte es nicht geben.
sueddeutsche.de: Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hat scharf kritisiert, dass die deutsche Regierungsspitze nicht bei der Eröffnung war. Wie stehen Sie dazu?
Jaenicke: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob wir auf die Worte eines Gazprom-Aufsichtsratsmitgliedes hören müssen. Einen fragwürdigeren Ex-Politiker kann ich mir derzeit nicht vorstellen. Das wird nur noch getoppt von unserem Altkanzler Helmut Schmidt (SPD), der bei Maischberger solche Sätze sagt, wie "Menschenrechte sind doch nicht mein Bier". Da frage ich mich: Hat der das Wort sozialdemokratisch irgendwie missverstanden?
sueddeutsche.de: Hatten Sie im Jahr 2001 die Hoffnung, dass sich die Situation Chinas durch den Zuschlag für die Olympischen Spiele verbessert?
Jaenicke: Ich war immer der Meinung, dass das nicht passieren wird. Es gab aber so viele Leute, die dafür waren - gerade der Dalai Lama - dass ich vorübergehend die Klappe gehalten habe. Aber das hat sich leider nicht bewahrheitet.
sueddeutsche.de: Hätte das IOC Ihrer Meinung nach die Zusage an Peking zurückziehen sollen, als sich zeigte, dass die gemachten Versprechen nicht eingehalten werden können?
Jaenicke: Das IOC hätte Bedingungen stellen müssen, wenn es den Chinesen diese Milliardenspiele, die sie als Propagandaventil benutzen, ermöglicht. Zum Beispiel Verhandlungen mit den Tibetern und den Uiguren. In der Olympischen Charta steht, dass die Spiele nur in einem Land stattzufinden haben, das die Menschenrechte achtet. Deshalb hätten diese Bedingungen an die Vergabe der Spiele geknüpft werden müssen. Aber Herr Rogge sitzt da wie ein kleiner Schulbub, schweigt zu allem und küsst von morgen bis abends die Hintern des Zentralkomitees.
sueddeutsche.de: Und als klar wurde, dass die Bedingungen nicht erfüllt wurden...?
Jaenicke: Spätestens als die Chinesen die Tibeter zusammengeschlagen haben, hätte das IOC eingreifen müssen. Die Spiele hätten völlig problemlos nach Sydney oder Athen verlegt werden können, die Anlagen dort stehen ja noch.
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sueddeutsche.de: Die Unterdrückung der Chinesen nahm durch noch strengere Kontrollen zu, Hunderttausende Menschen verloren während der Vorbereitungen der Olympischen Spiele ihre Häuser. Denken Sie, dass das chinesische Volk trotzdem einen Nutzen aus den Spielen ziehen kann?
Jaenicke: Sehr gute Frage. Für die Menschenrechtsaktivisten hat sich die Situation erschwert. Ich gehe aber davon aus, dass sich die bislang nicht systemkritischen Chinesen nun in irgendeiner Form mit ihrer Regierung auseinandersetzen müssen. Die Chinesen selbst sind durch die massive Zensur so miserabel informiert, dass sie zum größten Teil gar nicht wissen, was bei den Uiguren, in der Mongolei und in Tibet los ist.
Es kann sein, dass die dadurch ein bisschen mehr Aufklärung erfahren. Das ist aber auch wieder ein naiver, hoffnungsvoller Gedanke. Das Einzige, was dem Land wirklich etwas bringen würde, wäre eine Demokratisierungsbewegung und die ist im Moment nicht sichtbar.
sueddeutsche.de: Strenge Sicherheitsvorkehrungen und die Reaktion auf den letzten Anschlag in Xinjiang, bei dem sieben der mutmaßlichen Täter erschossen wurden, schrecken Demonstranten ab. Gehen Sie trotzdem davon aus, dass es im Verlauf der Spiele weitere Proteste geben wird?
Jaenicke: Diese "Students for A Free Tibet" sind sehr mutig. Ich hoffe, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern lassen. Die Chinesen werden einen Teufel tun, Europäer oder Amerikaner umzunieten, das wäre schließlich schlechte Eigen-PR. Ich denke, dass sie bei ihren eigenen Leuten rücksichtslos zuschlagen und hoffe, dass ausländische Demonstranen weitermachen. Mir wird wegen meines Engagements für Tibet leider die Einreise nach China verweigert, sonst wäre ich sofort dabei gewesen.
sueddeutsche.de: Im letzten Jahr haben Sie eine Dokumentation über tibetische Flüchtlinge in Indien gedreht. Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt? Hat Sie diese Erfahrung zu der kritischen Haltung gegenüber China gebracht?
Jaenicke: Ich habe vorher schon gesunde Vorurteile über die Chinesen gepflegt und habe auch nicht unbedingt erwartet, dass diese korrigiert werden. Und es wurde noch viel schlimmer. Ich habe ungefähr 40 Flüchtlingskinder interviewt, die zum Teil als Siebenjährige in den chinesischen Knästen in Lhasa gelandet sind.
Was die noch für Geschichten aus Tibet erzählen, das ist hanebüchen. Im Gegensatz zu den Brachialmethoden der Nazis damals wie Gaskammer oder Massenerschießung gehen die Chinesen einfach viel subtiler und mit einer unendlichen Geduld vor. Sie nehmen sich 50 Jahre Zeit, um so eine Kultur ganz langsam klein zu kriegen.
Es werden keine Tibeter angestellt, weil sie natürlich kein Chinesisch reden, es wird aber gleichzeitig verhindert, dass tibetische Kinder Chinesisch lernen. So werden diese direkt in die Arbeits- und Obdachlosigkeit dirigiert. Die Raffinesse des chinesischen Regimes verschlägt einem die Sprache.
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sueddeutsche.de: Ihr eigener Boykott umfasst nicht nur die Fernsehübertragung von Olympia. Sie kaufen grundsätzlich auch keine Produkte aus China und anderen Ländern, in denen die Menschenrechte verletzt werden...
Jaenicke: Soweit das möglich ist, ja. Bei Textilien ist das ziemlich einfach, da steht es überall drin. Bei Elektrogeräten wird es sehr viel schwieriger, aber ich versuche es auch dort.
sueddeutsche.de: Welchen Effekt erhoffen Sie sich davon?
Jaenicke: Ich kann einfach besser schlafen. Das mache ich nur für mich.
sueddeutsche.de: Wie waren die Reaktionen in Ihrem Umfeld auf diese Maßnahmen? Konnten Sie Kollegen von der Idee begeistern?
Jaenicke: Das kann ich ehrlich gesagt nicht behaupten. In der deutschen Filmszene gibt es nur wenige Akteure, sie sich jenseits der Eigen-PR engagieren. Natürlich gibt es einige Ausnahmen wie Ralf Bauer, Dietmar Schönherr, Jutta Speidel oder Iris Berben, ansonsten ist die Branche aber eher apolitisch.
sueddeutsche.de: Sie setzen sich nicht nur für die Rechte von Menschen, sondern auch für die von Tieren ein. Aktuell haben Sie sich mit der Misshandlung der vom Aussterben bedrohten Orang-Utans auf Borneo befasst, die unter anderem in Bordellen für sexuelle Spiele gehalten werden. Wie sind Sie auf diese Missstände aufmerksam geworden?
Jaenicke: Ob man sich für Menschen oder Tiere einsetzt, das ist doch das Selbe. Die Idee dafür ist nicht von mir, ich habe schon vor 25 Jahren ein Buch über vom Aussterben bedrohte Tiere gelesen und mich immer gewundert, warum das keiner fürs Fernsehen macht. Ich habe mit dieser Doku eigentlich einen Film über all das gemacht, was der Mensch gerade mit der Natur veranstaltet - und die fatalen Folgen davon. Das lässt sich anhand gewisser Tierarten besonders gut erzählen.
sueddeutsche.de: Die Dreharbeiten für den ersten Teil der Dokumentation sind abgeschlossen, sie ist heute Abend im ZDF zu sehen. Welche Projekte haben Sie nun geplant?
Jaenicke: Wir drehen als Nächstes wohl einen Film über Haie und Eisbären, in Bezug auf das gleiche Thema. Die Liste aussterbender Tiere ist verdammt lang und wird jeden Tag länger. Da könnte man im Prinzip eine Endlosserie draus machen.
sueddeutsche.de: Sie widmen sich also aber weiterhin den aussterbenden Tieren und planen keine anti-chinesischen Filme?
Jaenicke: Nein, das ist ein fataler Irrtum. Denn einer der Gründe, warum die meisten Tiere momentan so schnell ausgerottet werden, ist China. Orang-Utan-Knochen werden zu Potenzmitteln verarbeitet. Man isst auch in China gerne Orang-Utan-Fleisch, weil es angeblich stark und potent macht. Auch die Hörner von Nashörnen werden zerrieben und konsumiert, weil sie angeblich potenzfördernd sind.
Es gibt fast immer einen ziemlich direkten Zusammenhang zwischen dem chinesischen Aphrodisiakummarkt und ausgerotteten Tieren, das wissen alle Tier- und Umweltschützer. Und illegal gehandelte Orang-Utan-Babys landen in China bei Regierungsbeamten. Bei denen ist das so: Da muss in der Garage ein Porsche stehen und im Privatzoo ein kleiner Orang-Utan sitzen. Die Wege von Umweltzerstörungen und Tiermisshandlungen führen uns eigentlich immer ziemlich schnörkellos nach China.
Der deutsche Schauspieler Hannes Jaenicke absolvierte seine Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, der Wiener Opernschule und der London School of Modern Dance. Neben seiner Schauspielkarriere engagiert sich der 48-jährige Dalai-Lama-Anhänger aktiv für Menschenrechte und den Umweltschutz. Seine aktuelle Dokumentation "Hannes Jaenicke: Einsatz für Orang-Utans" wird am 13. August um 23:15 Uhr im ZDF ausgestrahlt.