Süddeutsche Zeitung

Interview mit Hildegard Hamm-Brücher:"Die SPD ist in der Falle"

Egal, ob Gesine Schwan Bundespräsidentin wird oder nicht: Die SPD steht als Verliererin der Wahl schon fest, prophezeit Hildegard Hamm-Brücher. Die langjährige FDP-Politikerin und Ex-Bundespräsidentenkandidatin warnt nun vor einem politischen "Desaster".

Marcel Burkhardt

Hildegard Hamm-Brücher, Jahrgang 1921, engagierte sich früh in der Politik.1948 trat sie in die FDP ein. Nach ihrer Arbeit in der bayerischen Landespolitik und als Staatssekretärin in Hessen, saß sie zwischen 1976 und 1990 im Bundestag. Während der Sozial-liberalen Koalition war sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt.

An der Bundespräsidentenwahl 1994 nahm Hamm-Brücher als Kandidatin der Liberalen teil. 2002 trat sie nach 54 Jahren aus der FDP aus - aus Protest gegen die "Annäherung der FDP an die antiisraelischen und einseitig propalästinensischen Positionen des Herrn Möllemann". Hildegard Hamm-Brücher lebt in München.

sueddeutsche.de: Missbraucht die SPD Gesine Schwan als Kandidatin für die Wahl des Bundespräsidenten, um vor der Bundestagswahl 2009 aus dem Tief zu kommen?

Hildegard Hamm-Brücher: Ich sehe das so, weil die SPD in einem desolaten Zustand ist. Sie braucht eine Art Aufputschmittel, um wieder Mut zu fassen. Gesine Schwan hat sich aber selbst intensiv um das Amt beworben - und sie ist klug genug, um die Parteipolitik zu durchschauen.

sueddeutsche.de: CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla rügt die SPD. Sie sei bereit, durch Gesine Schwan als Köhlers Gegenkandidatin und mit Hilfe der Linkspartei einen hochangesehenen und beliebten Bundespräsidenten zu demontieren. Teilen Sie diese Sicht?

Hamm-Brücher: Nein, das ist Parteigeplänkel in der großen Koalition, die sowieso praktisch nicht mehr funktioniert. Gesine Schwan halte ich für eine hervorragende Persönlichkeit. Vor vier Jahren habe ich mich mit all meiner Kraft für die Präsidentschaftskandidatur Gesine Schwans eingesetzt. Da hatten wir aber weder eine Bundeskanzlerin noch eine Idee, wer Herr Köhler eigentlich ist. Nun ist die Konstellation jedoch ganz anders - und die SPD bedenkt zu wenig die Folgen für den Fall, dass Gesine Schwan durchkommt.

sueddeutsche.de: Was wären die Konsequenzen?

Hamm-Brücher: Der äußerst beliebte und erfolgreiche Bundespräsident Horst Köhler würde aus dem Amt gejagt - so empfänden es viele Leute. Das wird für die SPD ungeheuer nachteilig bei den Bundestagswahlen ausfallen. Wenn Schwan nicht durchkommen sollte, wäre die Pleite der SPD doppelt groß. Die Sozialdemokraten haben sich dieses Aufputschmittel verabreicht, ohne zu bedenken, wie der Kater ausfallen wird. Die SPD manövriert sich geradewegs in eine selbstgestellte Falle.

sueddeutsche.de: Nach außen hin zeigt die SPD-Spitze aktuell Geschlossenheit. Hinter verschlossenen Türen soll es aber Uneinigkeit über die Nominierung Gesine Schwans gegeben haben. Rutscht die Partei damit noch tiefer in die Krise?

Hamm-Brücher: Jetzt werden sie die Zähne erst mal zusammenbeißen und es versuchen. Aber bis Mai 2009 ist es noch lange hin. Das Risiko ist groß. Im ganzen Land sind die Sympathien für Köhler enorm. Überall, wo er hinkommt, wird er mit Beifall überschüttet. Der aktuelle Coup der SPD wird keinesfalls erfolgreich sein.

sueddeutsche.de: Geht das Parteiengezänk zwischen Union und SPD so weiter, ist die Regierung gelähmt ...

Hamm-Brücher: ... Ich glaube, dass das ein großer Schaden für unsere Demokratie ist, wenn die große Koalition am Ende so kläglich scheitert. Das Gerangel der Parteien, dieses Geschiebe, ist unerträglich. Der Bundespräsident wird als Pfand in die Parteikämpfe eingeführt. Es ist ein Missbrauch dieser Persönlichkeiten. Das ist nicht gut für das Amt und für unsere Demokratie. Die Demokratie ist zwar anerkannt, aber wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass sie so gefestigt ist, dass sie all diese Machtspiele aushält. Ich denke, es wäre auch Zeit, auf die Bürger zu hören, die das Parteiengezänk nicht verstehen und selbst mitbestimmen wollen, wer Staatsoberhaupt werden soll.

sueddeutsche.de: Wenn der Streit in Berlin ein Jahr lang weiter anhält, droht bei der Wahl des Bundespräsidenten dann ein Desaster?

Hamm-Brücher: Es wird ein wahnsinniger Druck auf die Wahlmänner ausgeübt, par ordre du mufti zu stimmen, also gezwungenermaßen und gegen die eigene Überzeugung. Ich bin ein Anhänger des Grundgesetzes, Artikel 38, in dem die Gewissensfreiheit des Abgeordneten garantiert ist. Wenn der Bundestagspräsident das vor der Bundespräsidentenwahl nochmals laut sagen würde, wäre das sehr gut. Das Wahlergebnis wird auf jeden Fall interessant: Es werden meiner Ansicht nach Frauen aus anderen Parteien Gesine Schwan wählen und viele SPD-Leute Horst Köhler, weil sie so einen erfolgreichen Präsidenten nicht aus dem Amt drängen - um nicht zu sagen: hinauswerfen - wollen.

sueddeutsche.de: Gesine Schwan will "um die Stimmen aller werben". Daraufhin hat der Geschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, angekündigt, dass es die Unterstützung seiner Partei nicht "zum Nulltarif" geben werde. Was steckt da dahinter?

Hamm-Brücher: Ich bin gegen dieses Schüren der Angst vor den Kommunisten. Da war ich nie dabei. Aber ich finde, wir sollten alles versuchen, damit die Linkspartei keinen Auftrieb bekommt. Zurzeit profitiert die Linkspartei enorm von der Parteien- und Demokratieverdrossenheit. Die SPD hat den Linken jetzt eine Steilvorlage geliefert. Dass die das jetzt ausnutzen, kann man ihnen nicht verdenken. Ich möchte nicht dasselbe Spektakel machen wie die CDU/CSU - aber dieses heiter-fröhliche Spielchen, dass die SPD-Kandidatin gestern gezeigt hat, ist nicht angebracht.

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